»Es geht voran, es bleibt, wie es ist«

»Monarchie und Alltag«, die Debütplatte der Fehlfarben aus dem Jahr 1980, ist vielleicht die beste, bestimmt aber die einflussreichste deutsche Postpunkplatte, die je erschienen ist. Der Sänger und Texter Peter Hein verabschiedete sich nach dieser Platte, um mit Family Five weiterzumachen, bei denen er heute, genauso wie bei den Fehlfarben, wieder Sänger und Texter ist.

»Knietief im Dispo«, eure neue Platte, wird als Comeback der Fehlfarben wahrgenommen. Dabei seid ihr nie wirklich weg gewesen.

Thomas Schwebel: Na ja, wir haben tatsächlich nicht diese eine Platte vor 22 Jahren gemacht und jetzt wieder eine. Das ist nun insgesamt die siebte Fehlfarben-Platte. Aber natürlich haben wir uns zwischendurch auch anderen Sachen gewidmet. Unseren Jobs werden wir auch weiterhin nachgehen, bis die Platte zwölf Jahre hintereinander auf Platz eins in zehn europäischen Ländern steht.

Peter Hein: Und auch dann noch. Auch wenn ich im Lotto gewinnen würde, würde ich weiter ins Büro gehen.

Wie seid ihr überhaupt auf die Idee gekommen, es nach all den Jahren nochmals versuchen zu wollen, gut zehn Jahre nach eurer letzten gemeinsamen Platte, die kaum jemanden interessierte?

Schwebel: Vor zwei Jahren haben wir uns getroffen, weil wir von unserer Plattenfirma für unser Debüt eine goldene Schallplatte bekommen haben. Und da haben wir uns eben gesagt, es ist wäre an der Zeit, mal wieder gemeinsam etwas zu machen.

Damals, in der Aufbruchphase des deutschen New Wave, wart ihr bei einem Major Label, während alle anderen guten deutschen Bands dazu beitrugen, Independentstrukturen zu errichten. Heute, wo potenzielle Indiebands gleich beim Major landen, seit ihr nun bei einer kleinen Plattenfirma.

Schwebel: Wir verhalten uns eben antizyklisch. Es war aber auch relativ schnell klar, dass unsere neue Platte kein Thema für eine große Plattenfirma sein würde. Denn die sind ja inzwischen total popstarorientiert und bauen sich ihre gecasteten Bands auf.

Die großen Plattenfirmen wussten vor zwei Jahren ja auch noch nicht, dass es bald ein Buch geben würde, das »Verschwende deine Jugend« heißt und ein ungeheures Interesse an der Geschichte des deutschen Punk und New Wave hervorrufen würde, in der ihr eine zentrale Rolle einnehmt.

Schwebel:Auch wenn es zu dem Zeitpunkt das Buch bereits gegeben hätte, hätte das wohl kaum etwas geändert. Es wäre einfach nicht gut gewesen, bei einer großen Firma zu landen.

Kemner: Die hätten bloß gefragt: »Wo ist das zweite 'Es geht voran'? Wo ist der Hit auf der Platte?«

Aber es gibt doch wieder Hits.

Hein: Klar. Wir machen nur Hits. Wir waren ja immer der Meinung, alle unsere Songs wären Hits.

Schwebel: Eines der wenigen Stücke, von denen ich niemals gedacht hätte, dass sie ein Hit werden würden, war »Es geht voran«.

Als ihr das Stück schriebt, konntet ihr ja noch nicht wissen, in welchem Kontext es so gut ankommen würde, dass es zur Linksradikalen- und Hausbesetzerhymne werden würde, gerade wegen einer Textzeile wie »es geht voran«. Weil die Linke sich damit wunderbar selbst einreden konnte: Wir lassen uns nicht unterkriegen, wir machen weiter.

Schwebel: Dennoch ist mir inhaltlich nicht klar, warum es gerade dieses Stück sein musste. »Macht kaputt, was euch kaputt macht«, ist klar, da macht es Bumm!, und man denkt an Aufstand. Auch musikalisch konnte ich den Erfolg von »Es geht voran« nie nachvollziehen. Das Stück war ja eine nicht ganz gelungene Disco-Nummer. Ich kann einfach nicht verstehen, wie man protestierend hinter einem Wagen herziehen kann, von dem herab dieser Song ertönt.

In »Verschwende Deine Jugend« wird Peter Hein zu einer Art Säulenheiligem des deutschen Punk. Er ist derjenige, der damals sagte, wir machen eine Platte, und das war's dann erstmal, ich geh jetzt zurück ins Büro, so gut wird es nie wieder.

Hein: Das stimmt aber so nicht. Ich bin ja auch nicht zurückgegangen, ich bin bei meinem Job geblieben. Ich habe nie gesagt, dass ich keinen Erfolg haben oder mich irgendwelchen Hitparaden entziehen möchte. Das einzige, was ich immer gesagt habe, war, dass ich die NDW mit all ihren peinlichen Auswüchsen scheiße fand, vor allem aber, dass die Fehlfarben in einem Atemzug mit Extrabreit oder Hubert Kah genannt wurden.

In all den Jahren nach »Monarchie und Alltag« gab es die Fehlfarben zwar immer noch. Aber das Interesse galt eher deutschen Bands, die sich auf euch bezogen: Blumfeld oder die Sterne, die ganzen Bands der Hamburger Schule. Habt ihr das in irgendeiner Weise verfolgt?

Hein: Ich habe das nicht wirklich verfolgt. Ich habe bis heute noch keine Tocotronic-Platte gehört, außer einer Single (»This Boy is Tocotronic«, A.H.), die ich nicht verstehe und nach der ich nicht nachvollziehen kann, warum diese Band mit uns in Zusammenhang gebracht wird. Weil die ja nicht mal richtig deutsch singen?

Muss man denn richtig deutsch singen?

Hein: Nein. Aber wenn eine Band wegen ihrer Deutschsprachigkeit in einen Zusammenhang mit uns gebracht wird, verstehe ich das nicht, weil die Single ja kein bisschen deutschsprachig ist.

Doch. Nur der Refrain ist auf Englisch.

Hein: Nein. Da ist alles englisch. Ist auch egal. Ich versteh' das nicht. Muss ich auch nicht verstehen.

Vor kurzem habt ihr in einem Interview gesagt, die Zeit sei wieder reif für eine Band wie euch, für eine Band, die mal wieder so richtig sagt, was Sache ist.

Schwebel: Wir haben uns ja nicht hingesetzt und uns gesagt, wir müssen die Platte mit der Wahrheit für das Jahr 2002 machen. Die Platte ist jetzt draußen und die Reaktion der Leute lautet ungefähr: »Endlich gibt es mal wieder eine Platte, die Dinge auf den Punkt bringt.«

Hein: Sie wäre zu jedem Zeitpunkt richtig gewesen. Ob 1990, 1996 oder erst im Jahr 2005.

Die Zeiten werden also nicht besser oder schlechter, sondern bleiben immer gleich scheiße?

Schwebel: Im Prinzip schon. Manchmal wollen die Leute nichts davon wissen, dass die Zeiten scheiße sind. Dann erfinden sie Techno oder so etwas.

Ist Techno also der Soundtrack zur Verblödung?

Schwebel: Nein, ist ja alles OK mit Techno, soll jeder so machen, wie er will, und hören, was er will.

Techno war in vielerlei Weise ja auch politisch.

Schwebel: Ja. Aber er hat keine textliche Botschaft, die Leute wollen einfach das Wort hören.

Hein: Techno ist doch keine Musik, das sind doch bloß Geräusche.

Wenn man sich eure neue Platte durchhört, bekommt man das Gefühl, dass heute immer noch alles gleich beschissen ist wie 1980. Habt ihr die Hoffnung auf eine Verbesserung der Verhältnisse aufgegeben.

Schwebel: Na ja, man kann ja einzelne Maßnahmen zur Verbesserung der Welt treffen, man kann etwa Religionen verbieten. Aber ein Gesellschaftsmodell, das besser ist als das, was existiert, das zu erdenken, würde ich mir nie mehr anmaßen.

Da muss man ja depressiv werden.

Kemner: Nö, warum denn, es geht ja weiter.

Es geht voran.

Kemner: Genau, es geht voran.

Schwebel: Es geht voran, es bleibt, wie es ist.