Der neue James Bond

Schon wieder: Gerettet!

Zum zwanzigsten Mal zieht James Bond los und tut was für die Menschheit.

Ein britisches Start-up-Wunderkind namens Gustav Graves (Toby Stephens) - eine Waise mit Lehrjahren in Argentinien, die in ihrer antiseptischen Hochnäsigkeit wie eine geklonte Bond-Parodie wirkt - hat von seiner isländischen Firmenbasis aus Satelliten mit Sonnenkollektoren in eine Umlaufbahn geschossen. Sie sollen zum Segen der Menschheit die dunkle Seite der Erde künstlich aufhellen und damit multiple Ernten erwirken. Eine durchaus umweltnobelpreiswürdige Aktion, wenn nur die Satelliten nicht mit Diamanten aus afrikanischen Kriegsgebieten bestückt wären. Außerdem sind die Apparate bestens dazu geeignet, mit einem gebündelten Strahl jedes gewünschte Ziel auf der Erde wegzubrennen.

Das klingt gefährlich, das klingt nach Arbeit für James Bond, der gerade erst aus einem nordkoreanischen Folterkeller entkommen konnte. Was an dieser Stelle bereits klar wird, ist, dass Graves' Biographie doch patchworkiger ist, als es zu Beginn den Anschein hatte. So viel zum Inhalt.

Nun zum Rest. Es ist ein schöner alter Brauch, ein neuer Bondfilm läuft an, und die Wächter der Qualitätstradition werden aufquaken und süffisante Bemerkungen ablassen, dass er der soundsovielte Teil einer Filmserie sei, der einmal mehr zeige, dass Hollywood am liebsten mit stereotypen Fortsetzungen die leichte Kohle mache. Manche nennen das dann Kapitalismuskritik.

Dabei sind Filmserien wie James Bond alles andere als Publikumsverarschung. Sie sind ein filmisches Subgenre, bei dem es darum geht, einen Kreis von Figuren und Motiven, eine Ikonographie, eine dramatische Syntax und musikalische Motive mit eigenständiger Prägung zu fixieren. Dem Publikum werden alte Freunde statt ewig neuer Bekannter präsentiert, und bei alten Freunden fühlt man sich immer wohl.

Außerdem bildet die Filmserie mit den ständig wiederkehrenden Prüfungen des Helden die epische Seite des Kinos, sie verbindet einzelne dramatische Episoden zu einem sich fortlaufend ergänzenden Panorama. Was sonst könnte in moderner Zeit deutlicher als Volksepos gelten als der Mainstreamfilm, der einerseits die Vorstellungswelt des Publikums vorformuliert, andererseits gerade durch seine kommerzielle Abhängigkeit von ihm das bieten muss, was das Publikum hören und sehen will?

James Bond ist dabei eine der zahlreichen Inkarnationen des Helden, wie etwa Herakles einer war. Herakles der Unbesiegbare, der Kulturbringer, der die Menschheit (i.e. die Griechen) von Ungeheuern befreite, ihr Schätze sowie Kriegsgerät beschaffte und ihr so den Weg in die Zivilisation ebnete, kehrt zurück in der Gestalt Bonds, nun als Kulturverteidiger. Der Phantasie des Volkes (der Masse) ist es gleich, ob es um das Wehrgehenk einer Amazone geht oder um gestohlene Atomraketen, ob der Auftraggeber des Helden Eurystheus heißt oder M, die schmachtende Eifersucht Deianeira oder Moneypenny, sein Helferlein Iolaos oder Felix Leiter, und ob er seine übermenschlichen Kräfte Zeus verdankt oder Q.

Was aber haben die James-Bond-Filme, dieser antikommunistische Schund, mit der Verteidigung der Zivilisation zu tun? Macht man sich die Mühe, dieses Stück Populärkultur zumindest so ernst zu nehmen, wie seine Verächter es tun, dann gilt es, an dieser Stelle mit eben jener zählebigen Legende aufzuräumen, Bond habe jahrzehntelang gegen den Osten gekämpft und sei ein propagandistisches Relikt des Kalten Krieges.

Das Gegenteil ist der Fall. Bis auf wenige Scharmützel und Seitenhiebe stellten in keinem einzigen Film die Sowjets die Erzbösen, sondern meist waren es voluntaristische Größenwahnsinnige mit privaten Verbrecherorganisationen. Sie sind es, die mit ihren Wunderwaffen die Metropolen bedrohen oder die Weltmächte aufeinanderhetzen, um sich konkurrenzlosen Reichtum zu beschaffen bzw. gleich die Weltherrschaft an sich zu reißen.

Es waren die diabolischsten Ausgeburten der jeweiligen Systeme, allen voran die des kapitalistischen Westens, die dessen Gründungsdoktrin und die bevorzugten Strategien zum Erfolg wörtlicher nahmen, als es vorgesehen war. Bonds Reise führte ihn von Anfang an ins Herz der Finsternis einer Welt der unbegrenzten apokalyptischen Möglichkeiten, egal ob sie nun in Form einer unterirdischen Raketenbasis oder eines isländischen Eispalastes daherkam.

Bond als Kulturverteidiger, das meint nicht den Kampf der eigenen Kultur gegen andere Kulturen, vornehmlich sozialistische, sondern die Bewahrung des Status Quo der bürgerlich-gezähmten Zivilisation jeder Couleur gegen ihre eigenen Rückfälle ins Caesarisch-Barbarische. Bond ist nicht gegen die Kommunisten, sondern stets gegen die guten alten Deutschen angetreten, in welcher Gewandung sie sich auch präsentieren mochten. Bzw. gegen den Deutschen in uns allen.

Die Autoren Neal Purvis und Robert Wade geben sich nun zum zweiten Mal in Folge redlich Mühe, Pierce Brosnan als Bond politisch ernsthaftere Szenarien zu verschaffen und sogar den Charakter auf seine grimmigeren Aspekte hin zu untersuchen. Brosnan hat sich inzwischen in seine Rolle eingelebt und changiert zwischen Nonchalance und Routine.

Unterm Strich ist »Stirb an einem anderen Tag« kein Volltreffer, doch auf jeden Fall eine würdige Fortsetzung des real existierenden chronisch katastrophischen Welttheaters auf solidem Niveau. Alles ist reichlich vorhanden, von Bonds langer Gefangenschaft über ein Duell mit seiner Karikatur bis zu Qs neuen Gimmicks, der endlich auch das Holodeck und die Tarnvorrichtung entdeckt hat.

Überhaupt sind die Story, die Charaktere, die Gags und die Musik wieder erfreulich. Bond bekommt eine ebenbürtige Kombattantin, die natürlich umwerfende NSA-Agentin Jinx (Halle Berry), und ansonsten trifft er einen kooperativen chinesischen Geheimdienstler, einen friedliebenden nordkoreanischen General einen hilfreichen Kubaner, und nicht zuletzt den arroganten US-Agenten Falco (Michael Madsen). Oha. Eine Achse des Bösen lässt sich für James Bond jedenfalls nicht erkennen.

»Stirb an einem anderen Tag (Die Another Day)« (USA/GB 2002), R.: Lee Tamahori. D.: Pierce Brosnan, Halle Berry, Toby Stephens, Rick Yune, Rosamund Pike, Judi Dench u.a. Start: 28. November