»Schmutzige Wäsche«

Bring mich um!

Die Crumbs waschen »Schmutzige Wäsche«.

Bildergeschichten gezeichnet hat Robert Crumb wohl, seitdem er einen Stift halten konnte, aber in den frühen Sechzigern nahm sein artifizieller Kosmos, sein triebhaftes Wahnuniversum langsam Formen an, stellte er es nach und nach mit den Protagonisten voll, die ihn berühmt machen sollten, zunächst zur Ikone des Underground und der Counter Culture, später zum modernen, sogar musealisierten Klassiker: den geschäftstüchtigen und durchtriebenen, aber auch genialen Guru Mr. Natural, den archetypischen Wasp Mr. Whitemen, den geilen Gnom Mr. Snoid, Bill the Pill, Dick Nose, Dirty Dog, das jüdische Cowgirl Gloria Nord, Cheesis K. Reist ... und natürlich vor allen anderen Fritz the Cat, den großmäulig-beredsamen, allzeit rolligen Kater, den Crumb jahrelang durch kürzere und längere Strips jagt, stets auf der Suche nach der immer nächsten Nummer, bis ihn der kommerzielle Erfolg dieser Serie anödet, noch mehr die zwei Zeichentrickfilme, und er ihn eines sehr unnatürlichen Todes sterben lässt - durch den Eispickel des Straußenweibchens Steffi.

Nach der Scheidung von seiner ersten Frau lernt Crumb Anfang der Siebziger Aline Kominsky kennen, die ihm von seinen Freunden vorgestellt wird als die Fleischwerdung des Typs Vollweib, den er in all den Jahren in seinen pathologischen Papierfantasien vergöttert, besungen, begeifert hat. Eine kuriose, ziemlich verdrehte und schon mehr als latent sadomasochistische Liebesbeziehung beginnt, die merkwürdigerweise bis heute anhält, sogar durch eine Ehe sanktioniert wurde und eine Tochter hervorbrachte, und die seit 1974 unregelmäßig, aber doch recht stetig im Comic begleitet, das heißt analysiert und karikiert wird.

In der »Dirty Laundry«-Serie zeichnet und lettert jeder die eigene Person, nur gelegentlich wechselt man die Identität, um den anderen noch besser verspotten zu können, oder verbessert Bob Alines wahrhaft brutales Gestrichel, wenn es mal wieder allzu statisch oder perspektivenverkehrt anmutet.

Was in den zweieinhalb Jahrzehnten dabei herausgekommen ist und seit zwei Jahren als »The Complete Dirty Laundry« vorliegt, jetzt auch auf deutsch als »Schmutzige Wäsche«, ist ein privatistisches Zwiegespräch der beiden, eine Paarbiografie, eine künstlerische Selbstvergewisserung und gleichzeitig wohl so eine Art Gesprächs- und Psychotherapie. Denn gelegentlich stellt sich schon die Frage, was aus diesem Irren geworden wäre, wenn ihm ein gütiger Gott nicht so viel Zeichentalent geschenkt hätte, das es ihm stets erlaubte, seine Obsessionen und Manien mit dem Stift zu sublimieren oder auch nur abzureagieren.

Und was, wenn es nicht Aline gäbe, die sich aus seinen Mordfantasien nichts zu machen und seine gewalttätigen Ausbrüche sogar zu genießen scheint, offensichtlich erst richtig auf Touren kommt, wenn ihr Bob in Ekstase ..., ja, tatsächlich die ganze Hand in den Mund steckt.

Nun muss man das nicht alles glauben, was Crumb hier mit seiner typischen, werwölfisch verzerrten Fratze zu tun vorgibt. Aber wer mal Terry Zwigoffs grandiose Dokumentation »Crumb« gesehen hat, wie er da kurz vor der Emigration nach Frankreich seine Schallplatten zusammenpackt, um ihr Wohl besorgt, und es fast schon wieder bereut, Aline nachgegeben zu haben, fortzumüssen, und dann zu einer halblauten Hasstirade ausholt auf die nebenan werkelnde Ehefrau, der ahnt, dass da durchaus etwas dran sein muss.

Aline kann es mit Gelassenheit nehmen, zum einen hat sie Gefallen an diesem Spiel gefunden, zum anderen wissen beide, dass er ohne ihre Dominanz im Lebenspraktischen aufgeschmissen wäre. »Wenn ich voller Groll bin und das Gefühl habe, in der Falle zu sitzen«, konzediert er denn auch, »muss ich mich daran erinnern, dass ich mit dir leben muss, um zu überleben! Das verstehen nämlich deine Feinde nicht an uns (...). Sie sehen nur, dass du mich beherrschst und kontrollierst (...). Sie verstehen nicht, dass ich mich deiner Fürsorge anvertraut habe.«

Und ein paar Panels weiter folgt dann eine Liebeserklärung after all those years, wie sie jedenfalls ein Crumb nie schöner formulierte: »Vielleicht bist du das lebende Beispiel dafür, dass die Menschen nicht nur Sklaven der Naturgesetze sind. Es gibt welche wie dich, die einem angstgebeutelten, ausgesonderten, neurotischen Männchen den Zugriff auf ihren wohlgeformten, robusten, gesunden Körper gestatten!« Alines Antwort ist dann fast schon erwartbar, aber dadurch nicht weniger liebenswert: »Ich bin bereit wie üblich! Bring mich um!«

Neben der eigenen Perversion gibt es noch ein paar andere, stets wiederkehrende Themen: Alines und möglicherweise auch Robert Crumbs Judentum. Crumb hat stets geleugnet, dem jüdischen Glauben anzugehören, er macht sich gern über Kominskys vermeintlich jüdische Charaktereigenschaften lustig, ironisch zwar, aber doch auch immer mit den alten Stereotypen spielend, was ihm gelegentlich den Vorwurf einbrachte, ein verkappter Antisemit zu sein.

Es ist wohl eher jüdischer Selbsthass, der ihn umtreibt, jedenfalls wenn man Art Spiegelmann glauben darf. Nachdem Crumb mal wieder seitenlang seinen Horror vor den Juden ausgebreitet hat, ihn letztlich aber auch als Paranoia eines drogenumnebelten Hirns ausweist und schließlich sogar einräumt, »nach zwanzig Jahren intensiven Studiums, Diskurses und Nachdenkens zu einer differenzierten Einschätzung der tragischen Situation der Juden gelangt« zu sein, lässt er den in diesen Fragen nun untadeligen Spiegelmann auftreten.

Welch ein Trick, um sich die moralische Absolution zu holen! Er sieht sich die vorangegangenen Zeichnungen an: »Pfui Deibel, immer noch diese halbgaren Ergüsse, um zu übertünchen, dass er Jude ist, wie?« Nun, Crumb legt sich denn auch absichtlich schlafen in dieser Szene, um nicht wieder einmal lautstark widersprechen zu müssen. Das gehört mittlerweile einfach zur Rolle!

Wie er auch einmal seinen Übersetzer Harry Rowohlt niederbrüllte, der ihn damals für Sounds interviewen wollte. Das Interview sei missglückt, berichtet Rowohlt Jahre später in »Pooh's Corner«, »weil Crumb gesagt hatte: 'Ich als Katholik ...', woraufhin ich gesagt hatte: 'Ich dachte immer, du seist Jude ...', woraufhin es aber richtig losging. 'Ich? Jude?' belferte er auf mich ein. 'Ich habe die unbefleckte Empfängnis immer in hohen Ehren gehalten! Du dagegen ...', fuhr er feindselig fort, 'du scheinst mir ein ausgesprochener Itzig zu sein', und meine schlappen Einwände ('Das bisschen Bart ... Das bisschen Brille ...') gingen in Crumbs Geschrei unter: 'CHRISTUSMÖRDER! CHRISTUSMÖRDER!'«

Noch mehr Kopfzerbrechen als das Judentum bereitet ihm eigentlich nur noch seine Kunst, und so sind diese Stories vor allem auch ein groß angelegter Selbstkommentar, der Versuch, sich beim Zeichnen selbst über die Schulter zu kucken, die eigene Arbeit zu reflektieren und diesen Reflexionsprozess wieder in die Comics zu holen. Bevor Aline und Bob mal wieder aufeinander losgehen, hält er inne: »Wir müssen noch ein paar wesenhafte Sachfragen klären! ... Sollen wir in diesem Comic wie früher unverblümte Sex-Szenen darstellen oder nicht? Verstehst du, wegen des Anti-Pornografie-Feldzugs und der ganzen Scheiße«.

Sogar auf die unterschiedlichen Wellen der Rezeption reagieren die beiden, kommentieren schlechte Kritiken, bestärken sich in der Absicht, trotz gegenläufiger Trends »mehr autobiografische Geschichten zu machen«, und diskutieren auf immerhin zwei Seiten, wie sie nun mit dem neuerlichen Ruhm infolge des Zwigoffschen Filmporträts umgehen wollen, der Bob sehr belastet. Kurzum, »Schmutzige Wäsche« ist auch ein suggestives, faszinierendes Stück Metakunst, wie es in diesem Genre ja eher selten zu finden ist.

Robert Crumb, Aline Kominsky-Crumb: Schmutzige Wäsche. Comics. Deutsch von Harry Rowohlt. Zweitausendeins, Frankfurt a.M. 2002. 204 S., 17,90 Euro