Diskussion um NS-Filme

Goebbels' Dissidenten

Eigentlich galt der 15. Kongress der Hamburger Filmforschungsinstitution CineGraph Ende November der Geschichte des deutschen Tobis-Filmkonzerns. Eine Retrospektive mit Unterhaltungsfilmen der Jahre 1931 bis 1945 machte begleitend das Material zugänglich. Doch schon bei der Eröffnung verschob sich der Akzent, als Frank Stern, der Direktor des Zentrums für deutsche Studien an der Ben-Gurion-Universität in Berscheva, einen Begriff ins Spiel brachte, der fortan so manches Panel dominierte. Eine »Ambivalenz« durchziehe all jene Komödien der Nazizeit, in denen die Filmwissenschaft bisher nur subtilere Propagandastreifen erkennen wollte. Stern plädierte dafür, genau hinzusehen. So manches an diesen Filmen finde sich ebenso im zeitgenössischen Hollywoodfilm.

Tatsächlich lässt sich an einem Film wie »Altes Herz wird wieder jung« (1942/43) nicht nur Volksgemeinschaftliches entdecken. Wenn sich dort ein Schokoladenfabrikant plötzlich für die Löhne seiner Stenotypistinnen interessiert, nachdem aus dem Nichts eine Sekretärin aufgetaucht ist, die seine Enkelin sein will, erinnert das auch an den Klassenkompromiss des New Deal. Einerseits macht es dieser Ansatz möglich, Ideologeme des Nationalsozialismus zur selben Zeit an anderen Orten und in Deutschland nach 1945 zu identifizieren. Stern erklärte diese Elemente aber für ideologisch unverdächtig. Und so legte er andererseits nahe, jene Ambivalenz des NS-Unterhaltungsfilms auch als mögliche subversive Kraft zu verstehen.

Das griff später begierig der Germanist Harro Segeberg auf, der mit der Betonung einer Zuschauerautonomie die These Goldhagens von »Hitlers willigen Vollstreckern« widerlegen wollte. Dazu führte er Mitleidsregungen einiger Zuschauer von »Jud Süß« (1940) für die Hauptfigur an.

Den Vortrag des Filmwissenschaftlers Tobias Nagl mochte Segeberg gar nicht erst diskutieren. Nagl hatte anhand der Werbung für den NS-Kassenschlager »Ohm Krüger« (1941) sehr präzise herausgearbeitet, wie eine mit Vorgaben aus dem Hause Goebbels übereinstimmende Rezeption des Films systematisch hergestellt wurde. Von den Cultural Studies hätten wir zu lernen, hielt Segeberg dagegen, dass sich jeder Film für eine gegenläufige Sichtweise eigne, wenn er nur auf ein entsprechend gestimmtes Publikum treffe.

Da aber ging dann endgültig alles durcheinander. Die Cultural Studies prägten sich unter anderem in der Zurückweisung von Adornos und Horkheimers Thesen zur Kulturindustrie aus. Das setzte allerdings voraus, dass der NS, den die beiden theoretisch in den Griff bekommen wollten, nicht mehr existierte. Die Verfechter der Cultural Studies weigern sich lediglich, jene These auf nicht faschistische Gesellschaften anzuwenden.

Und so ließ der Kongress das Publikum gespalten zurück. Auf der einen Seite diejenigen, die partout für Filme und Zuschauer im NS eine Unschuldsvermutung geltend machen möchten. Auf der anderen Seite diejenigen, eine Mehrheit, die an den Filmen studieren wollen, wie das spezifische Amalgam zum Teil widersprüchlicher ideologischer Versatzstücke im NS funktionierte, das in einen Weltkrieg und zur Judenvernichtung führte.