"Justified" von Justin Timberlake

Wie peinlich!

Es macht Eindruck, etwas gut zu finden, was man eigentlich nicht gut finden darf. Das erklärt den Hype um Justin Timberlake.

Pop ist geduldig, Pop hat für jeden etwas im Angebot. Pop ist etwas Großartiges, das Angebot ist reichlich, und indem man sich einfach aus ihm bedient, kann man sich seine Identität zusammenzimmern und den Kauf der richtigen Platten als subversive Tat empfinden. Dass es mit dem Pop als potenzieller Gegenkultur heute nicht mehr ganz so rund läuft, wie es sich ein paar Denker in der Hochzeit der Poptheorie der Achtziger ausdachten, ist auch schon wieder ein alter Hut. Heute liest es sich letztlich nur noch rührend, wie Kurt Cobain in seinen Tagebüchern davon träumte, von seiner damaligen Labelklitsche zur Plattenindustrie zu wechseln, um ihr von innen heraus gehörig den Marsch zu blasen.

Inzwischen sind die Fragen, die sich Cobain einmal gestellt haben mag, obsolet. Sich der Kulturindustrie zu entziehen, geht eh nicht, also macht man lieber gleich mit. Völlig abhanden gekommen sind auch Instrumentarien, mit denen sich der Gehalt von Popmusik messen lässt. Eine adornitische Materialanalyse, wie sie gelegentlich gefordert wird, ist trotzdem Quatsch, da bei Pop noch nie die Musik das entscheidende Kriterium war, sondern immer, wer mit ihr wie umgeht.

Das grassierende anything goes ist jedoch genauso lästig. Die Kategorie »peinlichstes Lieblingslied« wurde im Spex-Leserpoll schon vor Jahren abgeschafft, da einem anscheinend nichts mehr peinlich zu sein hat. Im Gegenteil. Geschmackloses gut zu finden, um Distinktion zu gewinnen, ist inzwischen beliebter geworden, als irgendetwas scheiße zu finden. Etwas scheiße finden kann schließlich jeder, doch etwas gut finden, was man eigentlich nicht gut finden darf, das macht Eindruck.

Und so sind wir inzwischen so weit, dass wir uns gegenseitig im Gut-Finden von irgendwelchen gecasteten Trotteln, die mit den Jahren von sich behaupten, endlich mehr darstellen zu wollen als gecastete Trottel, übertreffen. Robbie Williams war nur der Anfang. Musikalisch war mit ihm noch nie was los, aber dann gestand er seine Sympathien für glaubwürdige englische Rockmusiker, gab freche Interviews, und seither darf man nichts mehr gegen ihn sagen.

Der Typ ist deswegen sakrosankt, weil er sich vor den Augen der Öffentlichkeit ein Leben nach dem Boygroup-Wahnsinn erkämpft hat. Er tanzt nicht mehr wie ein Hampelmann, steht zu seiner Plautze, und schon gilt er als glaubwürdiger als sämtliche Nachfolgebands von Nirvana zusammen. Denn er hat sich bereits als Rebell erwiesen, während die traurigen Rocker immer nur behaupten können, Rebellen zu sein.

Die Spitze des Trends, Retortenpopper zur stolzen Pflege des eigenen Habitus gut zu finden, ist nun der Hype um Justin Timberlake. Bis vor kurzem war er noch dafür bekannt, nicht viel mehr geleistet zu haben, als Millionen Platten in seiner Rolle als Sänger von N'Sync an picklige Pubertäre und deren Muttis verkauft und es Britney Spears oral (zur Beibehaltung ihrer Jungfräulichkeit) besorgt zu haben.

Doch jetzt hat er eine Soloplatte aufgenommen und sich dafür die heißesten amerikanischen R&B-Produzenten zusammengekauft. Und schon gilt Timberlake als großer Nonkonformist vor dem Herrn. Dass das Trendblatt Face den Boy ohne Boygoup in seiner letzten Ausgabe zum Hoffungsträger des nächsten Jahres ausrief und ihm gleich ein Fotoshooting besorgte, bei dem er eine blutige Nase gemalt bekam, passt ins Bild. Da ist aber einer mutig, heißt es nun, und Face macht der Leserschaft klar: Seid auch ihr dieser Meinung, ihr Trendsetter und Hipster, seid auch ihr mutig.

Ich schließe mich jedoch der Meinung des Feiglings an, der in der aktuellen Ausgabe von Face in seinem Leserbrief über Justin Timberlake meint: »Wie könnt ihr sagen, er sei ein Freigeist, ein Außenseiter oder ein Revolutionär? Er ist nichts anderes als ein ehemaliges Mitglied von N'Sync.«