Städte und Kommunen in finanzieller Not

Leih dir eine Stadt!

Viele Städte und Kommunen sind in finanzieller Not. Manche haben eine zweifelhafte Strategie dagegen entwickelt: das Cross-Border-Leasing.

Stellen Sie sich vor, Sie seien ein US-Investor, der zu viel Geld hat und ein geeignetes Investitionsobjekt sucht. Sie könnten das Angebot eines Arrangeurs nutzen, der Ihnen Steuervorteile für die nächsten 50 Jahre verschafft. Und zwar indem Sie die U-Bahn einer Stadt wie Nürnberg oder die Klärwerke und das Abwassernetz der Stadt Fürth leasen.

Das so genannte Cross-Border-Leasing wird in Deutschland inzwischen von einem guten Dutzend Städte praktiziert, u.a. von Köln, Essen und Dortmund, aber auch in der Schweiz von der Stadt Zürich oder in den Niederlanden von Amsterdam. Der US-Investor kann das so erworbene Eigentum in seiner Bilanz als so genannte Assets einstellen und steuerlich abschreiben. Die Republikaner setzten 1994 im US-Kongress die dafür nötige Deregulierung der Finanz- und Bilanzvorschriften durch.

Von dem Steuervorteil, der dem Investor erwächst, zahlt er der deutschen Kommune einen Teil, den so genannten Barwertvorteil. Die Stadt least später ihre Infrastruktur zurück, was den Steuervorteil des Investors nicht aufhebt, da im US-amerikanischen Recht Leasingverträge mit einer Laufzeit von 50 Jahren und mehr als Eigentumsübertragung gelten.

Der Investor muss sich auch nicht weiter um dieses Eigentum kümmern, denn das macht, so ist es vertraglich geregelt, der frühere Eigentümer, die deutsche Kommune. Das wirtschaftliche Risiko des Investors ist gering, denn falls eine Kommune pleite geht und die betroffenen Einrichtungen nicht mehr betreiben kann, springt die Bundesrepublik ein.

Der Barwertvorteil, auf den es die Kommunen abgesehen haben, beträgt in der Regel vier bis acht Prozent des Auftragsvolumens. Je nach der Größe der verleasten Anlage handelt es sich um zweistellige Millionenbeträge. Also sind alle glücklich. Scheinbar.

Die Kommunen lassen sich vor allem wegen ihrer schlechten Finanzlage auf solche Geschäfte ein. Für dieses Jahr rechnen die deutschen Städte und Gemeinden mit einem Defizit von 6,5 Milliarden Euro. Um Geld in die Kassen zu bekommen, greifen immer mehr Kommunen auf das Cross-Border-Leasing zurück. Wie auch die Stadt Fürth in Bayern. Angespornt vom Beispiel Nürnbergs, wollte die Stadt das städtische Klärwerk und das Abwassernetz an einen US-Investor verleasen. Dagegen regte sich Protest. Am 16. November begann in der Stadt ein Bürgerbegehren unter dem Motto: »Keine Steuertricks mit Abwasser«.

Denn das Cross-Border-Leasing ist für die Kommunen mit großen Risiken behaftet, die im schlimmsten Fall ihren Ruin bedeuten können. So kann der Investor auf Schadenersatz klagen, wenn Teile der geleasten Infrastruktur nicht mehr funktionieren oder aus Umweltschutzgründen nicht mehr betrieben werden können. Im Fall der Stadt Fürth könnte das ein Betrag von 600 Millionen Euro sein.

Gegner des Cross-Border-Leasings, wie etwa die Grünen in Fürth, kritisieren, »dass es zwei Verträge gibt, einen deutschen Vertrag und einen weitergehenden über 1 000seitigen US-amerikanischen Vertrag, der nicht öffentlich ist«.

Der Name des Investors wird der Öffentlichkeit nicht mitgeteilt. Der Stadtkämmerer einer großen Stadt im Ruhrgebiet räumte ein, dass er den Leasing-Vertrag nie gelesen habe. Er vertraute den Arrangeuren, die meist von der Deutschen Bank oder der Dresdner Kleinwort Wasserstein kommen.

Offensichtlich sind diese Probleme mit dem Cross-Border-Leasing mittlerweile auch dem bayerischen Innenministerium bekannt. Nach einer Anfrage der Grünen von Mitte November erklärte das Ministerium, dass man solche Praktiken inzwischen negativ beurteile. Der Oberbürgermeister der Stadt Fürth, Thomas Jung, wurde ins bayerische Innenministerium zitiert, wo ihm der Innenminister Günther Beckstein (CSU) mitteilte, dass der bayerische Staat notfalls den Fürther Haushalt nicht genehmigen werde. Daraufhin erklärte Jung, das Cross-Border-Leasing-Projekt sei gestorben.

Man steige ohne finanzielle Risiken aus, beteuert der Kämmerer der Stadt Fürth, Rudolf Becker, im Gespräch mit der Jungle World. Selbst die Honorare für die Beratungsfirma Ernst & Young seien nach dem Vertrag vom Arrangeur zu zahlen. An dieser Version hat die grüne Stadträtin Waltraud Galaske jedoch ihre Zweifel. Sie befürchtet, dass die Stadt Fürth Zahlungsverpflichtungen eingegangen sei, die sie nun dazu zwingen könnte, den Cross-Border-Leasing-Vertrag notfalls gerichtlich gegen das Land Bayern durchzusetzen. Zumindest wenn man keinen Verlust machen wolle. Der Stadt Aachen entstanden nach einem geplatzten Cross-Border-Leasing 19 Millionen Euro an Anwalts- und Beratungshonoraren, wie die taz berichtete.

Es stellt sich auch die Frage, warum das bayerische Innenministerium diese Praxis plötzlich negativ beurteilt, obwohl es sie bisher duldete. Der Pressesprecher Michael Ziegler sagte, dafür seien zwei Punkte ausschlaggebend gewesen: erstens das langfristige Risiko und zweitens die Komplexität der Verträge. Mit dem Widerstand einiger Bürgerinitiativen in der fränkischen Kleinstadt Kulmbach habe das nichts zu tun. Dort stimmten am 10. November dieses Jahres 88 Prozent der Teilnehmer an einem Bürgerbegehren gegen ein Cross-Border-Leasing des Abwassernetzes und der Kläranlage.

Hinzu kommt, dass die oberste US-amerikanische Steuerbehörde, der Internal Revenue Service (IRC), dieses Leasing ausdrücklich verbot. Es handelt sich nach den Revenue Rulings 99-14 und 2002-69 um ein Scheingeschäft ohne ökonomische Substanz, das keinen Steuervorteil begründen könne. In der Praxis wird dies jedoch nicht weiter verfolgt, wohl weil die Kontrolleure fehlen.

Der Fürther Stadtkämmerer Becker weiß nichts von der Verordnung der US-amerikanischen Steuerbehörde. Man würde sich keinesfalls auf illegale Geschäfte einlassen, beteuerte er. Der Stadt sei vom Arrangeur zugesichert worden, dass diese Geschäftspraxis vollkommen unbedenklich sei.

An diese Unbedenklichkeit glaubt man im Bundesfinanzministerium offensichtlich auch. Bisher hat Barbara Hendricks, die zuständige Staatssekretärin, keine Einwände gegen solche Transaktionen. Sie sagte der Jungle World, man habe mit der US-amerikanischen Steuergesetzgebung genauso wenig zu tun wie mit der Finanzkontrolle der Kommunen. Diese obliege den Ländern.

Also gilt weiterhin: Leih dir ein Klärwerk! Oder gleich eine ganze Stadt.