»Schmidt traut sich nicht ran«

Ein Gespräch mit jochen lehner, einem Assistenzarzt in der neurologischen Abteilung einer Klinik in Brandenburg

Die Ärztevereinigung Hartmannbund ruft die Ärzte für Ende Januar dazu auf, nur noch Dienst nach Vorschrift zu tun, um gegen eine Nullrunde bei den Honoraren zu protestieren. Was halten Sie davon?

Ärzte haben immer noch einen recht privilegierten Job und die meisten leben sicher nicht von der Hand in den Mund. Es stimmt, dass es in den vergangenen Jahren Einkommensverluste gab, aber das Niveau war zuvor sehr hoch. Und ein Dienst nach Vorschrift trifft nicht die Richtigen.

Andererseits wird ja auch berichtet, dass die Belastung der Ärzte in Kliniken sehr hoch ist.

Das wird Ulla Schmidt berücksichtigen müssen, weil es ein Urteil aus Brüssel zur Arbeitszeit von Ärzten gibt. 24 Stunden Bereitschaftsdienst am Stück, wie heute üblich, werden bald nicht mehr möglich sein. Wenn das Urteil in deutsches Recht umgesetzt worden ist, müssen 30 000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden.

Aus dem Gesundheitsministerium kam auch der Vorschlag, dass in Zukunft die kassenärztliche Zulassung nicht mehr ein Leben lang gelten soll.

Das fände ich richtig, denn ein großes Problem besteht darin, dass es überhaupt keine Kontrolle der ärztlichen Arbeit gibt. Der Patient hat meist keine Ahnung davon, ob er richtig behandelt wird. Es muss ein effektives System geben, das eine Beurteilung von Ärzten ermöglicht.

Die Patienten müssen das Gefühl bekommen, ja, mein Arzt ist auf dem neuesten Stand des Wissens und handelt auch danach. Deswegen ist es sinnvoll, dass eine Approbation nicht mehr für die ganze Berufslaufbahn erteilt wird, sondern dass ein Arzt seine Fähigkeiten immer wieder nachweisen muss.

Welche Rolle spielen die kassenärztlichen Vereinigungen, die auch entschiedene Kritik an den Plänen der Gesundheitsministerin Ulla Schmidt üben?

Sie spielen eine sehr große Rolle. Sie bekommen die Gelder von den Kassen und verteilen sie auf die Ärzte. Daher haben sie im Moment eine große Macht. Es hat aber eigentlich nicht viel Sinn, dass es diese Vereinigungen gibt. Es ist nicht einzusehen, warum die Kassen nicht direkt mit den Ärzten oder den Krankenhäusern zu tun haben.

Schmidt plant, die Hausärzte zu stärken. Sie erwägt, Patienten zu belohnen, die zuerst einen Hausarzt aufsuchen, bevor sie zum Facharzt gehen.

Ein Hausarzt kann vieles erstmal einschätzen, und wenn er sich dann doch überfordert fühlt, weil es schließlich unendlich viele Krankheiten gibt, kann der Hausarzt der Lotse sein, der den Patienten weitervermittelt.

Ich erlebe es häufig, dass viele Patienten ein unglaubliches »Ärzte-Hopping« betreiben und von einem Arzt zum anderen laufen. Ich finde, jeder sollte gut behandelt werden, wir sind ein reiches Land und können es uns leisten, aber man muss auch realistisch sein. Der Hausarzt kann ein Wegweiser sein, ein finanzieller Anreiz für die Patienten mag da helfen, dies zu nutzen.

Ein Gegenbeispiel: Wenn jemand an Angina leidet und sich bei seinem Hals-Nasen-Ohren-Arzt am besten aufgehoben fühlt, müsste er dennoch zuerst zum Hausarzt gehen, der ihm vielleicht nur Schmerztabletten verschreibt. Auch das könnte zu mehrfachen Arztbesuchen führen, die man eigentlich vermeiden will.

Ein Hausarzt sollte kompetent sein und über das Budget verfügen, eine Angina gut und richtig zu behandeln. Der Facharzt ist für andere Sachen zuständig.

Was halten Sie von der geplanten Einführung eines Gesundheitspasses, auf dem medizinische Daten über den betreffenden Patienten gespeichert sein sollen?

So ein Pass ist unter dem Gesichtspunkt des Datenschutzes gefährlich. Unter der Prämisse, dass man den Datenschutz gewährleisten kann, dass also die Daten nicht etwa in die Hände von Versicherungen gelangen, fände ich den Pass sinnvoll. Ich erlebe ganz häufig in meiner alltäglichen Arbeit, dass Patienten schon Untersuchungen hinter sich haben und wir nicht an die Informationen rankommen.

Da wurde schon einmal ein CT gemacht, ein Röntgenbild vom Gehirn, und das befindet sich entweder noch in der Klinik oder zu Hause, aber wir bräuchten den Befund. Schnell macht man das Röntgenbild noch mal. Was wir an doppelten Untersuchungen machen, ist unglaublich. Und das ist im ganzen Gesundheitswesen so.

Wenn es eine Karte gäbe, auf der die Information vermerkt wäre, könnte man die Kosten senken und dem Patienten gesundheitliche Belastungen ersparen. Röntenstrahlen sind ein Krebsrisiko. Aber wie gesagt, befürworten kann ich den Pass nur, wenn der Datenschutz gewährleistet ist.

Von konservativer Seite wird kritisiert, Ulla Schmidt würde noch immer nicht ausreichend auf die Eigenverantwortung der Patienten setzen. Eigenverantwortung hört sich ja immer danach an: Schaut selbst, wo ihr bleibt.

Das finde ich auch bedenklich. Es gibt sicher Leistungen, bei denen man überprüfen muss, ob sie wirklich bezahlt werden müssen. Etwa Augenlaserbehandlungen. Die sind privat zu bezahlen, denn du könntest ja auch eine Brille aufsetzen. Aber es gibt viele Dinge, die zum Wohlbefinden gehören, und dieser Katalog sollte eher großzügig gestaltet sein.

Ich finde es gefährlich, wenn man Patienten belohnt, wenn sie nicht zum Arzt gehen. Viele werden es sich dann genau überlegen, ob sie zum Arzt gehen sollen, wenn sie krank sind. Dazu darf es im Gesundheitswesen nicht kommen.

Bernd Raffelhüschen von der Rürup-Kommission forderte kürzlich, Patienten sollten sich mit einem Betrag von 900 Euro jährlich an den Behandlungskosten beteiligen. Auch eine Art »Eintrittsgeld« bei Arztbesuchen ist im Gespräch.

Da bin ich strikt dagegen. Diese Leistung sollte die Allgemeinheit erbringen.

Auch eine Liberalisierung des Handels mit Arzneimitteln ist im Gespräch, etwa dass Medikamente im Internet bestellt werden können.

Es wird gegenwärtig eine hohe Anzahl von Medikamenten verabreicht, die keine Wirkung haben. Schuld daran sind Lobbyismus und Korruption. Da gibt es hier und da ein Geschenk oder der Arzt denkt an ein bestimmtes Medikament, weil er gerade von einem Pharmavertreter Besuch hatte. Das macht viel aus.

Wichtig wäre die Erstellung einer Liste mit wirksamen Präparaten, die die Kasse auch bezahlt. Was darüber hinausgeht, sind dann Lifestyle-Produkte, die man selbst bezahlen muss. Heute ist es so, dass es das gleiche Medikament, das es vorher als Tablette gab, plötzlich als Kapsel gibt, und weil es patentgeschützt ist, kostet es plötzlich das Zehnfache. Trotzdem wird es verschrieben. Das nenne ich korrupt.

An der Pharmabranche hängen hunderttausende Arbeitsplätze. Wenn man das Gesundheitssystem effektiver gestalten würde, stünden schnell tausende Menschen auf der Straße. Es ist eben ein sich selbst erhaltender Betrieb. Ich habe die Befürchtung, dass Ulla Schmidt sich nicht wirklich herantraut an die Lobbygruppen, die kassenärztlichen Vereinigungen, die Pharmaindustrie oder auch die Apotheken.

interview: stefan wirner