Bist du schon off?

Mit dem Rücktritt des AOL-Präsidenten Steve Case zerbröselt die spektakulärste Fusion der Mediengeschichte. von martin schwarz

Die Gesetzmäßigkeiten der Pizza-Branche unterscheiden sich nur wenig von den Regeln in der Medienindustrie. Das musste sich in der vergangenen Woche wohl der ehemalige Pizza-Hut-Manager und nunmehr zurückgetretene Präsident des Online-Giganten America Online (AOL) eingestehen. Die Konsumenten von Cardinale, Quattro Stagione, Capricciosa und Funghi legen ein ähnlich konservatives Verbraucherverhalten an den Tage wie Medienjunkies und Websurfer. Sie alle nämlich sind für Experimente nur beschränkt zugänglich. Doch die Online-Branche hat das in den Jahren der Hausse nicht wahrnehmen wollen und tischte den Medienrezipienten unverdauliche Visionen über Medienkonvergenz auf wie die PC-Maus, die als Regiepult für die Bedienung von TV, Internet und Print dienen sollte.

Der wohl sinnfälligste Ausdruck dieser Technologiegetriebenheit war das Zusammengehen von AOL und dem Mediengiganten Time Warner. Erstmals in der noch jungen Geschichte der New Economy schluckte ein auf Virtualität gebautes Online-Unternehmen einen klassischen Medienriesen. Drei Jahre nach dem Merger, der den Konsumenten völlig neue Welten erschließen sollte, ist beinahe alles vorbei, und Steve Case, der Visionär, muss auf Druck der Shareholder des Unternehmens als Präsident zurücktreten.

Die Visionen aber hat er sich dennoch bewahrt: »Ich bin sicher, dass die Menschen in zehn oder 15 Jahren über diesen Zusammenschluss ganz anders urteilen werden«, bemühte der Superstar der Bits & Bytes noch einmal jene Argumentation, die zumindest bis vor einigen Jahren viele Menschen dazu nötigte, die Internetblase durch megalomanische Investitionen erst aufzublähen und dann zum Platzen zu bringen.

Case beharrt auch jetzt darauf, dass der Merger von damals ein Modell für morgen ist. Die Verschmelzung neuer Internettechnologien mit klassischen Medienformen sollte den Websurfer zum zahlenden Medienjunkie machen. Insofern war AOL Time Warner ja ganz gut positioniert. Schließlich gehört die News-Maschine CNN ebenso zum Konzern wie das Nachrichtenmagazin Time, das Plattenlabel Warner Music Entertainment oder der Filmkanal HBO.

Die New York Times verglich den Zusammenschluss der beiden Unternehmen mit dem Gespann Ginger Rogers & Fred Astaire. AOL sollte das Unternehmen sexy machen, Time Warner für Klasse sorgen. Von Sexyness und Klasse aber bemerkte der User nur wenig, ein Link zum Download des Instant Messenger von AOL auf der CNN-Website ist bisher offensichtlich der stärkste Ausdruck von Medienkonvergenz, den der Konzern zustande brachte.

»Die digitale Zukunft der Medien, die Herr Case und andere proklamiert haben, wird wie auch andere Errungenschaften nur durch Evolution und nicht durch Revolution in unsere Gesellschaft einsickern«, schreibt der Publizist Steve Lohr in der New York Times. Evolution aber ist keine Kategorie der Shareholder Value, und die wurde bei AOL ohnehin ordentlich strapaziert. Der Börsenwert von AOL fiel in den drei Jahren seit der Fusion um 80 Prozent. Deshalb tüftelte Case kurz vor seinem Abgang an der brachialen Durchsetzung der alten Visionen. Der Inhalt der Time Warner-Sparten sollte nur noch zahlenden Usern von AOL zugänglich sein, alle anderen Internet-User kämen nicht mehr in ihren Genuss.

Das heißt, wesentliche Inhalte des Time Magazine oder des People Magazine sollten nur noch in der Printausgabe oder eben nur für AOL-User verfügbar sein. Ein Projekt mit kulturell bemerkenswerten Folgen. Die Hierarchie von Content und Technologie wird damit endgültig verkehrt. Der Inhalt selbst ist nur noch ein Anreiz, die Technologie zu erwerben, mit der dieser Inhalt transportiert wird.

Natürlich gibt es schon jetzt mehrere Versuche großer Medienunternehmen, sich von der Gratiskultur im Internet zu verabschieden und mit so genanntem »Premium Content« jene Einnahmen zu erzielen, die wegen der anhaltenden Werbeflaute im Web weggebrochen sind. Doch den Zugang zu Informationen von der technologischen Plattform abhängig zu machen, wäre ein revolutionärer Versuch von AOL Time Warner und würde den Charakter des Internet nachhaltig verändern.

Schließlich arbeitet nicht nur AOL Time Warner an solchen Überlegungen. Auch der Software-Gigant Microsoft und der Fernsehsender NBC betreiben gemeinsam den Nachrichten-Channel MSNBC und werden mittelfristig wohl auch versuchen, Inhalt und Technologie zu bündeln.

Freilich, AOL hat gute Gründe zu versuchen, Inhalte zu monopolisieren, schließlich will das Unternehmen seine Marktposition als Internet-Provider halten. In den letzten beiden Jahren fiel der Marktanteil von AOL als Provider in den Vereinigten Staaten von 41 auf 37 Prozent, was im Wesentlichen auf die eben nicht enorm visionäre Technologie zurückzuführen ist, die AOL anbietet.

Noch immer vertraut das Unternehmen auf Einwählverbindungen im Internet, während andere Konzerne längst das Breitband (DSL) für sich und ihre Kunden entdeckt haben. Das Breitbandangebot von AOL aber hat sich am Markt noch nicht richtig durchgesetzt. Womit wiederum die von Case beschworene Medienkonvergenz ins Spiel kommt. Das Multimedia-Angebot des Konzerns über eine Einwählverbindung durchsurfen zu wollen, erfordert viel zu viel Zeit und Geduld und macht den Surfer wegen der langen Online-Zeit vermutlich eher arm als wissend. Das Breitbandangebot wäre daher eventuell der »Missing Link« gewesen, der dem Unternehmen fehlte.

Als der Zusammenschluss vor drei Jahren an einem einzigen Wochenende beschlossen wurde, hoffte man auch, dass die Werbeindustrie mitspielen würde. Der Plan war verwegen. Unternehmen, die Werbung schalten wollten, konnten kostengünstige Packages für die Gesamtheit der Medien des Konzerns buchen. Werbung sollte als Web-Banner, als Printinserat und als TV-Werbespot geschaltet werden. Bloß machten allzu wenige Unternehmen Gebrauch davon und der Zusammenbruch des Online-Werbemarktes ließ die Idee scheitern. »Kunden mochten eben die Idee, sich jenes Medium auszusuchen, mit dem sie am ehesten ihre Zielgruppe erreichen«, so der Analyst David Simons.

Was einst das Aushängeschild des Konzerns war, nämlich der Markenname AOL und der charismatische Konzerngründer Steve Case, wird nun abgeräumt. Amerikanische Medien vermuten, dass die drei Buchstaben AOL bald aus dem Firmennamen verschwinden. Den Investoren will man wohl nicht zumuten, dauernd an die schwache New Economy erinnert zu werden. AOL wird dann eine von vielen Marken unter dem Dach von Time Warner sein.

Auch personell setzt der Konzern nun aufs Kontrastprogramm. Steve Case folgt Richard Parsons, ein Veteran bei Time Warner. Parsons hat den Vorzug, das niemand ihm unterstellt, ein Internet-Visionär zu sein.