Fahndung im Kopf

Ein Vortrag des Hirnforschers Bernhard Bogerts wurde gestört. Seine Untersuchungen sind beispielhaft für einen zweifelhaften medizinischen Trend. von marc zoller

Ein intimes Treffen engagierter Wissenschaftler hätte es werden sollen. Der Magdeburger Hirnforscher Bernhard Bogerts war in die Klinik für Psychotherapie und Psychiatrie der Freien Universität Berlin geladen. Sein Vortrag mit dem sperrigen Titel »Neurobiologie schizophrener und affektiver Erkrankungen« war lange geplant. Die Institutsleitung sei »keiner Brisanz der Veranstaltung gewahr«, sagte der Pressesprecher der Klinik.

Dabei war der sonst in der Abgeschiedenheit universitärer Forschung werkelnde Professor Bogerts im November des vergangenen Jahres einer breiten Öffentlichkeit bekannt geworden. Damals hatte er nach rechtlich fragwürdigen Studien am Gehirn von Ulrike Meinhof verkündet, er habe Veränderungen darin gefunden, die ihr Wirken in der RAF erklärbar machten. Die angekündigte Publikation seiner Erkenntnisse will er jedoch mit Rücksicht auf die »emotionalen Reaktionen direkt oder auch nur marginal Betroffener« noch um eine Weile verzögern. Und an der FU Berlin sollte der Name Meinhof gar nicht erst fallen.

Doch es kam anders. In dem kleinen Hörsaal nahmen in den vorderen Reihen die Mediziner Platz, während sich weiter hinten ein außeruniversitäres, wenngleich interessiertes Publikum einfand. Flugblätter wurden verteilt, Plakate aufgehängt. Aufgeschreckt verkündete die Institutsleiterin Isabella Heuser, man werde »Konsequenzen ergreifen«, falls es zu »Störungen« komme. Von einer Zuhörerin auf den Verbleib der Gehirne anderer toter RAF-Gefangener angesprochen, konnte Bogerts gerade noch zu einer Erwiderung ansetzen, als Heuser schon die Veranstaltung für beendet erklärte und die Polizei rufen ließ.

Schade eigentlich, wären doch die Prämissen, die der Hirnforscher zu Beginn seines Vortrages präsentierte, eine Diskussion wert gewesen. Den »immer wieder geäußerten Vorwurf des platten Biologismus« versuchte er mit dem Hinweis zu widerlegen, »gesunde seelische Vorgänge« erforderten »gesunde Hirnfunktionen«. Oder noch deutlicher: »Das Seelenleben spielt sich im Gehirn ab.« Bogerts sieht die Neurobiologie als neuere Wissenschaft konfrontiert mit einer übermächtigen »humanistischen Tradition«, die der Seele eine erkennbare materielle Grundlage abspreche.

Die Verortung abweichenden menschlichen Denkens und Verhaltens in bestimmten Strukturen des Körpers ist jedoch keineswegs neu. Im 19. Jahrhundert wurde der durch Kerkerhaft im Kindesalter versehrte Kaspar Hauser zur Klärung seines rätselhaften Verhaltens kurz nach seiner Ermordung seziert. Dabei entdeckte Veränderungen an seinem Gehirn wurden bereitwillig als Ursache akzeptiert, wodurch sich eine Auseinandersetzung mit dem psychosozialen Umfeld erübrigte.

Knapp 100 Jahre später untersuchte der Berliner Hirnforscher Oskar Vogt im Auftrag der sowjetischen Regierung das Gehirn des toten Lenin. Aufgrund des vermehrten Auftretens eines bestimmten Zelltyps in der Großhirnrinde befand er, Wladimir Iljitsch müsse ein »Assoziationsgenie« gewesen sein. Die Oktoberrevolution eine Folge besonderer Hirnstruktur? Die Reihe der Beispiele ließe sich noch lange fortsetzen.

Während zumindest kritische Psychologen und Psychiater schon lange wissen, welche große Rolle es bei der Definition von Krankheit und Gesundheit spielt, was gesellschaftlich gewünscht ist, wird diese Haltung mit der Biologisierung psychischer Phänomene merklich geschwächt. Bogerts führte in der Hoffnung auf einen Konsens zu Beginn der Berliner Veranstaltung aus: »Psychosoziale und hirnbiologische Betrachtungsweisen beleuchten unterschiedliche Aspekte der gleichen Vorgänge. Wahrscheinlich wird man in nicht allzu ferner Zukunft zu einer gemeinsamen Sicht finden.«

Die Hirnbiologie leistete in den letzten zehn Jahren vor allem neuen Untersuchungstechniken Vorschub. Mit dem Aufkommen der tomografischen Verfahren wurde erstmals die Vermessung von Hirnstrukturen am lebenden Menschen möglich. Bestimmte Techniken können sogar die Funktion einzelner Hirnteile bildlich darstellen. So gewonnene Erkenntnisse veränderten nicht nur die Vorstellung von Krankheiten, »an deren hirnbiologischer Grundlage niemand mehr zweifelt« (Bogerts), wie etwa der Alzheimerschen oder der Parkinsonschen Erkrankung.

Der Schwerpunkt von Bogerts Untersuchungen ist die Anwendung dieser Techniken auf Krankheiten, bei denen die Biologie bisher allenfalls eine untergeordnete Rolle spielte, etwa auf Schizophrenie, Depressionen oder Zwangsstörungen. Bei den zum Teil sehr kleinen Patientengruppen stellten der Professor und seine Mitarbeiter Veränderungen der Größe, der Zellzusammensetzung oder der molekularen Struktur bestimmter Hirnareale fest und schlossen daraus, die Befunde seien zumindest teilweise der Grund für die vorliegende Erkrankung. Schließlich ließen sich durch die Verletzung bestimmter Hirnteile bei Tieren ebenfalls Verhaltensweisen provozieren, die denen Schizophrener angeblich ähnelten.

Besondere Brisanz erhalten neurobiologische Erklärungen, wenn sie wie im Falle Meinhofs zur Pathologisierung abweichenden Verhaltens dienen. Die Journalistin wurde wegen ihrer Zugehörigkeit zur RAF und der Beteiligung an diversen Anschlägen verurteilt, bis dahin ein juristischer Vorgang in einem politischen Prozess.

Nun aber bescheinigt Bogerts Meinhof posthum »ein pathologisches Ausmaß an Agressivität«, das auf den Druck eines Blutschwammes auf den Rest ihres Gehirns zurückzuführen sei. Der Vergleich ihres Gehirns mit dem eines Serienmörders vom Anfang des vergangenen Jahrhunderts ist zwar von zweifelhaftem Erkenntniswert, legt aber die Richtung fest. Bogerts schränkte immerhin ein, dass linksextremes Gedankengut kein Produkt einer krankhaften Hirnentwicklung sei, weil sonst in den Siebzigern jeder zweite Soziologiestudent in die Psychiatrie gehört hätte.

Im Spiegel konnte man jedoch mit wohligem Schauer vom »Terrorhirn« und von »Dämonen« in Meinhofs Kopf lesen. Und schon wird aus dem politischen Prozess eine Krankengeschichte. Der Spiegel-Autor Jürgen Dahlkamp trieb die Sache mit einer Verzerrung der Verhältnisse auf die Spitze, als er Briefzitate Meinhofs über die Qualen der Isolationshaft als krankheitsbedingt darstellte.

Zur Isolationshaft hat auch Bogerts ein ganz eigenes Verhältnis. Er promovierte in den siebziger Jahren an der Universität Hamburg über sensorische Deprivation (Entzug sinnlicher Reize). Das Projekt war nach Ansicht vieler die wissenschaftliche Voraussetzung für das Isolationshaftregime. Hierauf angesprochen, weist Bogerts auf eine »lediglich tierexperimentelle« Grundlage seiner Dissertation.

Eine Auseinandersetzung fand in Berlin über keines der genannten Themen statt. Nach dem verfrühten Ende der Veranstaltung bewertete Bogerts die Einwände der ungebetenen Gäste: »politischer Fanatismus ohne gesellschaftliche Repräsentativität«.