Es ist zum Auswandern!

Das rot-grüne Zuwanderungsgesetz ist endgültig gescheitert. Die CDU will noch mehr Verschlechterungen für Einwanderer, Edmund Stoiber gar keinen Kompromiss mehr. von verena herzog

Edmund Stoiber eröffnete in der vergangenen Woche den Wahlkampf in Bayern. Nachdem er bemerkt hat, dass er nicht mehr Bundeskanzler werden wird, konzentriert er sich nun offensichtlich darauf, sein Amt als bayerischer Ministerpräsident zu verteidigen. Er hat auch schon eine Idee, wie er die Wahl im Herbst noch höher gewinnen könnte als für die CSU sonst üblich: mit einer Blockade des rot-grünen Zuwanderungsgesetzes.

In einem Interview mit dem stern sagte Stoiber in der vorigen Woche, dass er sich keine Einigung mit der Bundesregierung auf ein Zuwanderungsgesetz vorstellen könne. Er halte »nur eine kleine Lösung mit einem Kompromiss über praktische Verbesserungen bei der Integration, beim Nachzugsalter für Kinder oder beim wissenschaftlichen Austausch« für möglich. Bei mehr als 4,6 Millionen Arbeitslosen und leeren Staatskassen könne es keine Zuwanderung mehr geben. Im Schnitt koste ein Einwanderer über zehn Jahre hinweg pro Jahr 2 300 Euro.

»Statt über Zuwanderung muss über die Gefahren der Auswanderung diskutiert werden«, sagte Stoiber. Die Elite verlasse Deutschland, rund 15 Prozent aller Doktoranden wanderten aus. Von den 150 000 deutschen Studierenden im Ausland kehre fast ein Drittel nicht zurück. Dass dies am Zustand dieses Landes liegen könnte, darauf kam Stoiber allerdings nicht.

Es war wirklich nicht weiter verwunderlich, dass die CDU und die CSU in der Sitzung des Bundesrates am 14. Februar gegen das Zuwanderungsgesetz der rot-grünen Koalition stimmten. Nach den klaren Siegen bei den Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen fühlt sich so manch einer in den schwarzen Reihen schon wie kurz vor dem Wiedereinzug ins Kanzleramt.

Dabei macht sich die rot-grüne Bundesregierung mit ihrem Gesetzesentwurf nicht gerade verdächtig, die Situation der in Deutschland lebenden Flüchtlinge verbessern zu wollen oder eine andere als die den »nationalen Interessen dienende« Migration zu erleichtern. Das zeigt schon die Abschaffung des Duldungsstatus, der nach Einschätzung von Flüchtlingsorganisationen katastrophale Folgen für die meisten der 230 000 Menschen haben wird, die derzeit mit einer Duldung in Deutschland leben.

Nach der Einschätzung des Berliner Flüchtlingsrates haben nur etwa zehn Prozent der Geduldeten Aussicht, eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen, obwohl sie zum großen Teil mehr als fünf Jahre in Deutschland leben. Von der Möglichkeit, einen legalen Aufenthaltstitel zu bekommen, sind diejenigen Flüchtlinge ausgeschlossen, die auf die Sozialhilfe angewiesen sind oder deren Ausreise prinzipiell möglich sei. Die Hürden für die Anerkennung eines so genannten rechtlichen Abschiebehindernisses sind hoch.

Erschwerend kommt hinzu, dass immer öfter die Ausreise in einen anderen Staat als zumutbar gilt und so der Erwerb eines Aufenthaltsrechts verhindert wird. So wird zum Beispiel im Falle irakischer Flüchtlinge verfahren, für die die Möglichkeit, über die Türkei in den Nordirak einzureisen, als zumutbar angesehen wird.

Mit der Neuregelung des Ausländergesetzes will die Bundesregierung den Druck auf diejenigen erhöhen, die ausreisen könnten, aber nicht wollen und sich so ihrer »Ausreisepflicht absichtsvoll zu entziehen versuchen«, wie es in einer Erklärung des Bundesinnenministeriums heißt. Als repressives Instrument ist die Einweisung entsprechender Personen in so genannte Ausreisezentren vorgesehen.

Die »räumliche Beschränkung des Aufenthaltes« fördere »die Bereitschaft zur freiwilligen Ausreise«. Als Ersatz für die Duldung würden in Zukunft lediglich Bescheinigungen über ein Abschiebehindernis ausgestellt, die jedoch eine sofortige Abschiebung ermöglichten, sobald das Hindernis »unwirksam« werde. Zudem würde über Personen, die eine solche Bescheinigung besitzen, ein generelles Arbeits- und Ausbildungsverbot verhängt, was für einige bisher geduldete Personen den Verlust ihres Arbeitsplatzes bedeuten würde. Georg Classen vom Berliner Flüchtlingsrat nennt diesen Teil des Gesetzes ein »Programm zur Illegalisierung«.

Angesichts einer derartigen Verschlechterung der Situation von Flüchtlingen und Einwanderern haben verschiedene Flüchtlingsinitiativen, unter anderem Pro Asyl, diverse Wohlfahrtsverbände und Menschenrechtsorganisationen, die Kirchen und der DGB eine Kampagne unter dem Motto »Hier geblieben!« ins Leben gerufen. Sie fordern ein dauerhaftes Bleiberecht aller seit mehreren Jahren mit Duldung hier lebenden Menschen.

Die in dem rot-grünen Zuwanderungsgesetz vorgesehenen Einschränkungen des Flüchtlingsschutzes gehen der CDU und der CSU aber noch nicht weit genug. Obwohl diese Vorschläge eine Begrenzung der Zuwanderung beabsichtigen, rufen die Pläne der Bundesregierung in der Frage der Arbeitsmigration bei der Opposition wieder einmal die Sorge um die deutsche Leitkultur hervor. Die Koalition wolle »die Gesellschaft aufbrechen«, empörte sich Ulrich de Taillez, Ministerialdirigent im bayrischen Innenministerium.

Um dies zu verhindern, hatte die Union 137 Änderungsvorschläge zum rot-grünen Gesetzentwurf formuliert. Dank der Funktion der FDP als »Scharnier der Vernunft«, wie es die Generalsekretärin der Partei, Cornelia Pieper, ausdrückte, wurde eine Abstimmung über die 137 Einwände im Bundesrat zwar verhindert, doch in der stattdessen verabschiedeten Formel wurde eine »umfassende Bearbeitung« des Gesetzes gefordert.

Zur Rhetorik der Konservativen gehört die Beschwörung einer angeblich zu erwartenden Zuwanderung von jährlich 300 000 Menschen infolge der Osterweiterung der Europäischen Union und des angeblichen Asylmissbrauchs, den mehr als achtzig Prozent der Asylbewerber betrieben. Deshalb müsse verhindert werden, dass mit dem rot-grünen Gesetz »weitere Anreize zur Zuwanderung unter humanitären Gesichtspunkten« geboten würden, meint Taillez. Gemeint ist vor allem die Anerkennung nicht staatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung als Asylgründe, die als eines der wenigen Verdienste der Grünen in dem Gesetz auftaucht.

Lässt sich an dieser Stelle noch ein inhaltlicher Dissens zwischen der Opposition und der Bundesregierung feststellen, so wird dies bei der Frage der in Zukunft vorgeschriebenen Sprachkurse für Ausländer schon schwieriger. Ein gesetzlicher Anspruch auf einen solchen Kurs wäre ja durchaus zu begrüßen. Die »Integrationsmaßnahme« verkehrt sich aber schnell in ihr Gegenteil, wenn eine Teilnahme an einem Kurs zur Voraussetzung für das Aufenthaltsrecht wird. »Ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache sowie Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung« sollen künftig die Bedingung für ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht sein.

Wer nicht teilnimmt, wird bestraft, das hat die Bundesregierung bereits in ihre Vorlage aufgenommen. Die Union fordert darüber hinaus, dass die »nicht ernsthafte oder erfolglose Teilnahme an einem Integrationskurs« eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis verhindern solle. Einig sind sich alle, dass »integrationsunwillige Ausländer« diszipliniert werden müssen.

Der jetzt abgelehnte rot-grüne Gesetzentwurf war nicht nur nach Ansicht der Grünen bereits ein Kompromiss, auf den man sich nur eingelassen habe, »weil er wesentliche Reformschritte« enthalte, wie der Parteirat der Grünen am Montag der vergangenen Woche feststellte. Wie sich die Grünen verhalten, wenn die SPD im Vermittlungsausschuss des Bundestages und des Bundesrats noch weiter auf die Union zugeht, wird spannend zu beobachten sein. Denn Edmund Stoiber ist im Wahlkampf. Und die Union im Aufwind.