Lolita für den Dirndlfan

Annette Miersch analysiert die Erfolgsgeschichte des deutschen Sexfilms in den Siebzigern. von andreas hartmann

Im Jahr 1974, das berichtet die Chronik »Der Neue Deutsche Film« von Robert Fischer und Joe Hembus, sieht es im Land von Wenders, Kluge und Faßbinder so aus: »Jahresproduktion 77 Filme, davon 18 deutsch-ausländische Coproduktionen. Geschäftlich am erfolgreichsten sind ›Geh, zieh dein Dirndl aus‹ und ›Unterm Dirndl wird gejodelt‹«. Die Deutschen haben sich zwischen 1968 und dem Deutschen Herbst also durchaus für die Filmproduktion im eigenen Land interessiert, allerdings weniger für Filme wie »Alice in den Städten« oder »Angst essen Seele auf«, sondern für Sexklamotten mit bierbäuchigen Senioren, die sich bevorzugt vor Heimatfilmkulisse bezopfte Siebzehnjährige nach dem Fensterln krallen. Auf die Frage, warum in den Jahren zwischen 1968 und 1974 rund 50 Prozent aller deutschen Filmproduktionen aus enorm erfolgreichen Sexfilmen mit solch einfallsreichen Titeln wie »Urlaubsgrüße aus dem Unterhöschen« oder »Der Ostfriesen-Report – O mei, haben die Ostfriesen Riesen« bestand, hat der Produzent der 13 runtergekurbelten »Schulmädchen-Reporte«, Wolf C. Hartwig, mit Blick auf seine Zielgruppe eine Antwort: »Also, im reiferen Alter besteht an den sexuellen Tätigkeiten von Schulmädchen, nämlich von unreifen, jungen Dingern, das glauben Sie nicht, ein großes Interesse. Das ist einer der Haupterfolgsgründe, dieses Geheimnisvolle, was machen die jungen Dinger?«

Annette Miersch stellt in »Schulmädchen-Report – Der deutsche Sexfilm der siebziger Jahre« ein mit Hartwig geführtes Interview an den Anfang ihres Buches. Und damit bekommt man gleich einen tollen Einblick in das bizarre Universum dieses eigenwilligen Kapitels deutscher Filmgeschichte. Denn Hartwig redet sich um Kopf und Kragen, nennt Alice Schwarzer »Madame Schweizer« und lässt sich darüber aus, dass er damals unzählige Millionen gescheffelt hat mit seinem Reportsystem im – so nennt er das – »Semi documentary style« amerikanischer Machart. Dieser funktionierte so, dass in den Sexreporten Interviews – »zu 90 Prozent waren die spontan echt, und zehn Prozent waren getürkt« – mit irgendwelchen Hausfrauen oder eben Schulmädchen geführt wurden, in denen diese über ihre ersten Masturbationserfahrungen Auskunft geben durften, oder darüber, ob sie schonmal die erschreckende sexuelle Phantasie gehabt hätten, mit dem eigenen Bruder oder dem Opa in die Kiste zu steigen. Diese zumeist erschütternden Bekenntnisse, bei denen die Massen in den Kinosälen – »über 100 Millionen Besucher habe ich damit erreicht« – gehörig raunen mussten, wurden genüsslich mit Kurzfilmen unterlegt, bei denen »Schauspielerinnen«, junge Hüpfer – »Sie werden lachen, wo ich die meisten hergeholt hab: aus dem Kaufhof. Die Verkäuferinnen« – viel Fleisch zeigen mussten und vor allem so rattenscharf auf alles über 50 und mit Schwanz waren, dass deutsche Rentner endlich mal von was anderem träumen durften als vom Dritten Reich.

Das Prinzip der Pseudoaufklärung, das im deutschen Sexfilm gerne angewandt wurde, war äußerst raffiniert. So wurden minutenlange Vergewaltigungen gezeigt, Inzest-Aufreger, Schmuddelkram aller Art – und stets konnte man sich damit herausreden, das sei eben die Abbildung der Realität und es würde sich dabei um aus dem Leben gegriffene Szenen handeln – Semi documentary style eben. Mit der Zensur gab es deswegen keine großen Probleme, zumal ja auch nach dem Durchleben all der gezeigten sexuellen Verirrungen gilt: »In jedem Schulmädchen-Report gibt’s zum Schluss ein echtes Liebespaar, ein positives Ende.«

Der deutsche Sexfilm der Siebziger ist nicht aus dem Nichts heraus entstanden. Den Boden dafür haben der Kinsey-Report, Oswald Kolles Aufklärungsfilme, Beate Uhses Seximperium und Günter Amendts Buch »Sexfront« bereitet. Und natürlich die 68er, der Minirock und die Pille. Nun könnte man meinen, dass Deutschland in eine Sexfilmwelle geschliddert ist, entkräfte die These, dass die Siebziger das Jahrzehnt der Piefigkeit waren und wieder Schluss machten mit der fröhlichen Achtundsechziger-Promiskuität. Doch nicht umsonst widmet Annette Miersch in ihrem Buch ein ganzes Kapitel den Theorien Michel Foucaults zum Dispositiv der Sexualität. Foucault arbeitete heraus, dass durch das offene Reden über Sex, wie es schließlich auch die »Sexreporte« eifrig praktizierten, keinesfalls eine Befreiung von einer Triebunterdrückung stattfinde. Im Gegenteil werde der Sex, sobald er Teil eines Diskurses wird, viel besser unter die Kontrolle einer antiemanzipatorischen Bewegung gebracht.

Aufklärung war in den »Sexreporten« tatsächlich nur vorgeschoben, um eigene Vorstellungen eines erlaubten Sexualverhaltens durchzusetzen. Rein musste es beispielsweise zugehen: richtig kopuliert samt Körpersaftaustausch wurde nie, ja manchmal blieb sogar absurderweise die Lederhose beim bloß angedeuteten Vollzug an. Sex fand so gut wie immer nur unter Deutschen statt, und schwuler Sex wäre niemals drin gewesen, denn, so sagt Hartwig heute: »Ich bin ein absoluter Gegner der Homosexualität. Ich finde sie schmuddelig.«

Egal, was für Probleme verhandelt wurden, sich schuldig zu fühlen am eventuellen Elend, in das sie mit ihren Verführungskünsten die Herren gestürzt hatten, das blieb den Mädels, diesen sexgeilen Ludern, nicht erspart. Und wenn sie gar vergewaltigt wurden, lag’s eben am zu kurzen Rock, und für Hartwig ist klar: »Die waren ja auch zum Teil schuldig.«

Die deutsche Sexfilmindustrie der Siebziger sagt einiges über den traurigen Zustand des deutschen Films zu dieser Zeit aus, noch mehr aber über den noch viel traurigeren Zustand der Republik. Bumsfilme auf unterstem Niveau, das trieb die Angehörigen der Dichter- und Denkernation ins Kino. Nicht vergessen darf man auch, dass diese Dirndl-Filme ein bis heute gültiges deutsches Starsystem etablierten. Konstantin Wecker wurde als Darsteller in einer dieser Sexklamotten entdeckt, Ingrid Steeger natürlich, die Heulboje Lisa Fitz, Sascha Hehn und Heiner Lauterbach, der damals noch den Schüchternen und Unerfahrenen spielte.

Man muss der Autorin des »Schulmädchen-Report«-Reports Annette Miersch dankbar sein, dass sie die deutschen Lederhosen-Filme der Siebziger nicht als reines Trashphänomen verhandelt, sondern ernst nimmt – schließlich sagen die vielen tollen Fotos in dem Band schon genug über das Kuriositätslevel dieser Filme. Allerdings geht der Autorin auf halber Strecke ihres Buchs die Puste aus. Sie wiederholt sich und zitiert dauernd aus dem Interview mit Hartwig, der Stoff geht ihr schlichtweg viel zu früh aus. Vielleicht hätte sie doch noch ein wenig darauf eingehen können, wie Anfang der Neunziger nach Wiederholungen auf Sat.1 oder RTL II deutsche Sexklamotten zu »Kult«, zu Trash geadelt wurden. Das Label Crippled Dick Hot Waxed brachte schließlich Gert Wildens Original-Scores zu den »Schulmädchen-Reporten« heraus, und in den Neunzigern war trashiger Schwachsinn eben auch bei Szenehipstern mit betont schlechtem Geschmack hip.

Annette Miersch: Schulmädchen-Report. Der deutsche Sexfilm der siebziger Jahre. Bertz, Berlin 2003, 256 S., 25 Euro