Das Ende der Revolte

Die Detroiter Rock-Legende MC5 gab ein Comeback-Konzert in London, die neue Platte der White Stripes ist jedoch um einiges erfreulicher. von alex bohn
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Meg und Jack White führen mit ihrer neuen Platte »Elephant« gekonnt eine Rolle rückwärts vor und erhalten dafür als Bewertung eine glatte zehn. Bei den Whities sitzt das Indie-Herz eben immer noch am rechten Fleck und der schnöde Mammon mit allen Begleiterscheinungen zählt erst in letzter Instanz.

Die visuelle Identität von Meg und Jack White, die immer noch offen lassen, ob sie Geschwister oder ein bereits wieder geschiedenes Ehepaar sind – eher wahrscheinlich ist letzteres –, ist erneut ziemlich stimmig. Von den Pressefotos bis hin zum Cover der neuen Platte dominieren wieder die White-Stripes-Hausfarben Rot und Weiß.

Jack hat einmal als Lebensziel formuliert: »Ich möchte keinen normalen Job machen müssen!« Die Anzahl ihrer verkauften Tonträger hat ihnen inzwischen mehrfachen Gold-Status eingebracht. Keine Frage, mit Mac-Jobs müssen die beiden sich bis auf weiteres wohl nicht mehr plagen.

Auch MC5, die Urväter des Detroiter Garagen-Rocks, wollen jetzt wieder vom Rock’n’Roll leben. Sie führten immerhin vor gut dreißig Jahren »motherfucker« als gängigen Begriff in die Rock-Lyrics ein, es gibt also einen Ruf zu verlieren. Ihr Klassiker »Kick Out The Jams« ist ein sowohl bis heute gern gehörter Angriff auf die Trommelfelle, als auch selbst auferlegtes Motto der Fünfer-Formation. Das Bandmitglied Dennis Thompson meint dazu: »Wenn wir in Detroit loszogen, um uns Konzerte anzusehen, dann hieß es: ›Kick out the jams or get off the fucking stage!‹ Das war dann eben auch unser Motto.«

MC 5 waren durch ihre unmittelbare Nähe zu den White Panthers, personifiziert durch ihren Manager John Sinclair, die Speerspitze linksradikal politisierter und entsprechend inhaltlich aufgeladener Protestmusik Ende der Sechziger. Ihren Weg pflasterten alle Exzesse und Ausschweifungen, Gewalttätigkeiten und Skandale, die man sich für die Aufnahme in die Hall of Fame des Rock nur wünschen kann. Die Famous Five schrumpften im Laufe der Jahre und diversen Drogenabhängigkeiten jedoch zum weit weniger erfolgreichen Terzett. Bis es ganz still um sie wurde.

Nun wird die Credibilität der verbliebenen drei Mannen nochmals auf eine harte Probe gestellt. »Reunion« murmeln die einen und beschwören Bilder hochgerutschter Haaransätze, lümmeliger Bierbäuche und arthritischer Bühnenperformances, statt Mind Blowing und Trommelfell zerschmetternde Gitarrenorkane. Andere munkeln gleich von Ausverkauf und verweisen auf den Bekleidungshersteller Levi’s, der das eben erst stattgefundene »Comeback«-Konzert von MC5 in London präsentiert hatte.

Traurig. Deshalb erstmal wieder zurück zur Zukunft des Garagenrocks von gestern, zurück zu den White Stripes. Hier gibt es keine Exzesse und Schlagzeilen. Die beiden sind erklärte Freunde der Selbstbeschränkung, auch wenn das in diesem Fall in erster Linie für die Produktion ihrer Musik gilt. Im Produktionsort ihrer Wahl, den Londoner Toe Rag Studios, hat das digitale Zeitalter noch nicht Einzug gehalten. Optimal für den Konservatismus der White Stripes. Ton-Ingenieur Liam Watson versorgte hier die Detroiter Kids mit dem besten Equipment der sechziger Jahre, und zwar ausschließlich; Gerätschaften jüngeren Datums gab es hier gar nicht. Passend zum Outfit der Whities trug Watson zur Arbeit natürlich einen weißen Kittel.

Was wir nun auf »Elephant« zu hören bekommen, klingt erstmal vertraut: Weiße Kids schreddern den Blues mit ihren Gitarren, das kennt man mindestens seit den Stones. Für einen kurzen Moment wird man dann doch unsicher: Stört am Ende gar die stilistische und formale Stringenz ihrer Musik? Hat man nicht doch ein paar Experimente erwartet? Eine Weiterentwicklung, die sich durch die Ergänzung der doch ziemlich spartanischen Instrumentierung Bass und Schlagzeug ergeben hätte?

Im Stück »Seven Nation Army« vermutet man dann einen Basslauf. Aber: falsch gedacht. Jack White nennt es: »Gitarre durch ein Oktav-Pedal gepielt. Damit das Ganze live dann auch hinhaut.« A propos: Wer die White Stripes jemals live erleben durfte, weiß, dass das mit der Reduzierung der Mittel auch auf der Bühne sehr wohl hinhaut. Jack White, der auf seine Gitarre eindrischt und dessen Gesang ein wirrer Silbenfluss ist und der jeden Zentimeter der Bühne einzunehmen weiß, trägt jede Menge Gefühle nach außen: Liebe, Hass, Verzweiflung, Orientierungslosigkeit. Keine Filter, keine Enhancer. Unmittelbarer geht es kaum.

Auch textlich geht es auf »Elephant« wieder traditionell zu: Jacks bereits auf den letzten Platten angestimmte und zum Teil weinerliche Tiraden ob der Unfähigkeit im Umgang mit dem weiblichen Geschlecht, finden ihre Fortsetzung. Aber auch Meg hat ihren ersten komplett eigenen Song geschrieben: »In The Cold Cold Night«. Meg singt, wie sie aussieht: ätherisch, rein, schlicht. Ihr Gesang ist die exakt feminine Version dessen, was die White Stripes insgesamt zu bieten haben: eine Dekonstruktion dessen, was Popmusik in ihren besten Momenten liefert, nämlich süße wie bittere, herzzerreißend traurige wie todkomische Momente.

Pop heute geriert sich allzu oft als Show, die Gefühle nur synthetisiert. »Glamour pur« ist das plumpe Gütesiegel schematisierter Befindlichkeiten, die in vorgefertigte Melodiemuster gezwungen werden und unendlich kompatibel an die Masse verramscht werden.

Kein Wunder, dass derjenige, dem Gefühl, Herzblut und Passion alles bedeuten, kaputt machen muss, was ihn kaputt macht. Um neu anzufangen. Ganz simpel. Mit begrenzten Mitteln. Mit einer gehörigen Phobie vor Technik und einer verständlichen romantischen Verklärung des Simplen. Die White Stripes sind vom Glauben beseelt, dass sie, je kindlicher und unbedarfter sie sich ihrer Passion widmen, die größtmögliche Ursprünglichkeit und Wahrhaftigkeit erreichen werden. Ein Glaube, den die Band mit diversen Acts des kontemporären Indie-Rock-Universums teilt. Man denke da etwa nur an die famosen Moldy Peaches, British Sea Power, Jack and Jeffrey Lewis oder eine der anderen Detroiter Bands, The Von Bondies. Je direkter und einfacher, desto besser, so lautet ihr Credo.

Die Detroiter Verheißung lautete bereits in den Sechzigern: Hier entsteht Musik, die dich von den Füßen reißt. Dich umpustet, wegspült. Und dabei am besten so laut ist, wie du es in deinem Leben noch nicht gehört hast. Womit wir wieder zurück bei MC5 wären. Doch Wayne Kramer und seine zwei verbleibenden Buddies haben nun eben ihre Seelen dem Teufel verkauft. Oder brauchten einfach ein bißchen Cash Flow. Die Reaktionen auf ihren Londoner Reunion-Gig Mitte März waren jedenfalls alles andere als begeistert. Im Webforum von Wayne Kramer schrieb jemand:

»Man darf nur hoffen, dass das der letzte MC5-Gig war und sich die Leute ihre echten Erinnerungen bewahren können, an eine der unglaublichsten Rockbands, die je existiert haben. Was die Welt nicht braucht, sind DVDs mit gefaktem Surround Sound und Gutscheinen für den verbilligten Kauf von Levi’s Jeans. Bezahlt den MC5 ihre Gage und dann beendet dieses Fiasko!«

Kramer antwortete über seine WebSite: »Ich habe keinen Schimmer, warum ihr ›Tastatur-Revoluzzer‹ euch über einen vermeintlichen Ausverkauf der MC5 aufregt. (…) Wenn wir uns entschließen, unseren Namen und das, was damit assoziiert ist, zu verkaufen, dann ist das allein unsere Entscheidung. Ich sage euch das ungern, aber: es gibt keine Revolution. Macht weiter. Schließt ab damit.«

Und wieder eine Band, die der Verheißung, ein paar Dollars zu verdienen, die eigene Legende opfert. Nur die Kohle zählt. Jack White hat eine Rolle im demnächst anlaufenden Hollywood-Streifen »Cold Mountain«. Sein Interesse an Glamour, Bling Bling und Champagner-Partys, davon kann man ausgehen, geht dagegen gegen null. Wem diese Haltung als zu verklemmt und engstirnig erscheint, der möge bitte mal kurz innehalten. Romantik hat eben einfach ihren Preis. Dieser ist jedoch nicht mit Geld bezahlbar.

The White Stripes: »Elephant« (XL/Connected)