Vorbild Górnoslaski

In Polen wirbt eine unbeliebte Regierung mit einer schwachen PR-Kampagne für den EU-Beitritt. Die Folge könnte ein verpatztes Referendum sein. von konrad lischka

Gerade noch rechtzeitig vor dem Referendum über den EU-Beitritt am 7. und 8. Juni hat die polnische Regierung es geschafft, die transatlantische mit der europäischen Allianz zu vereinen. Die künftige EU-Außengrenze werden polnische Beamte auf Kosten der USA bewachen. 25 GPS-Geräte zur Standortbestimmung per Satellit und eine Schulung im Fährtenlesen bei indianischen Zöllnern in Arizona spendeten die Vereinigten Staaten.

Das wäre vielleicht nettes Medienfutter für die Spin Doctors der polnischen Regierung, nur bewegen die außenpolitischen Aspekte des EU-Beitritts derzeit kaum einen Wähler in Polen. Am vergangenen Wochenende kam selbst der Rechtspopulist Andrzej Lepper auf dem Parteitag seiner Bauernvereinigung Samoobrona in Warschau bei seiner Tirade gegen den Beitritt ohne die üblichen Hinweise auf »externe Elemente« wie »Freimaurer« und »Deutschlandfreunde« aus, die angeblich den EU-Beitritt und den Untergang Polens betreiben.

Statt von der Unterjochung Polens durch andere Staaten redete Lepper am Tag nach dem deutsch-polnischen Treffen in Berlin von der wirtschaftlichen Lage in Polen. Die Unsicherheit, ob der EU-Beitritt die Situation kurzfristig besser oder schlimmer macht, wird vielleicht nicht allzu viele Gegner zur Abstimmung treiben. Doch je mehr sie fern hält, desto weniger wahrscheinlich wird die nötige Wahlbeteiligung von 50 Prozent der Berechtigten. Und bei 18,4 Prozent Arbeitslosigkeit ist die Unsicherheit groß.

Am Ende der vergangenen Woche hat EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen Polen auf acht Problemfelder hingewiesen. Der Ausbau der Verwaltung in der Finanzkontrolle, die Vernetzung der Zollcomputer, die Anpassung der Milchquoten – all das dürfte viel Geld kosten. Statt zu hetzen, konnte Lepper ganz entspannt mit derselben Wirkung fragen: »Wenn es so gut sein soll, dann fragen wir, warum es derzeit dem Land so schlecht geht: Warum haben fünf Millionen Menschen keine Arbeit, warum leben 25 Prozent der Polen unter der Armutsgrenze, warum sind die Müllkippen voller Bettler?«

Lepper gibt sich angesichts der dominierenden Meinung in der Bevölkerung nicht mehr als prinzipieller Beitrittsgegner. Samoobrona sehe keine Bedrohung für die polnische Kultur, sondern lediglich eine wirtschaftliche Gefahr: »Die ausgehandelten Beitrittsbedingungen lassen Polen keine Chance, die Produktivität unserer Industrie und Landwirtschaft auszunutzen.«

Um diese Sektoren sorgen sich auch die Wähler am meisten. Allerdings glauben nur wenige, dass auch die Regierung ihre Sorgen teilt. Eine Umfrage im Auftrag des europäischen Parlaments von Anfang Mai ergab, dass knapp 60 Prozent der Befragten die Leistung des Parlaments und der Kommission der EU positiv beurteilen – die Zustimmungsrate für die eigene Regierung liegt bei nur zwölf Prozent.

So ungewöhnlich es ist, dass EU-Institutionen bessere Noten als die eigene Regierung bekommen, zur Abstimmung wird das nur wenige Polen treiben. Denn Neuwahlen dürfte es nach einem Pro-Beitritts-Referendum sogar erst ein wenig später geben als bei einer Ablehnung. Der stellvertretende Parlamentspräsident Donald Tusk von der liberalen Bürgerplattform (PO) kritisierte schon die Werbestrategie der Regierung: »Das Problem ist nicht die allgemeine Zustimmung zum Beitritt, sondern die Teilnahme am Referendum. Die Regierungspropaganda erfüllt allerdings keine der Erwartungen: Naive Werbeclips, Reklametafeln mit der Frau des Präsidenten, die ein stolzes Gesicht aufsetzt – das kann die Menschen sogar abhalten.«

Ministerpräsident Leszek Miller wirbt allerdings auf seinen Touren in den Wojewodschaften auch mit harten wirtschaftlichen Argumenten. Im oberschlesischen Ruda Slask sprach er von den katastrophalen wirtschaftlichen Folgen eines Nicht-Beitritts: »Die Investoren würden sich zurückziehen, Polen hätte mit den Zollbarrieren der EU zu kämpfen, als Folge würde die Arbeitslosigkeit weiter steigen.«

Nur ziehen sich die Investoren in Ruda Slask wahrscheinlich auch nach einem Beitritt zurück. Selbst bei einer milden Umstrukturierung des Bergbaus geht die Gewerkschaft OPZZ von 25 000 verlorenen Arbeitsplätzen bis Jahresende aus. Derzeit sind 330 000 Menschen in Schlesien arbeitslos. Die Hoffnung auf Jobs in neuen Werken von Toyota und Citroen hat sich im Frühjahr zerschlagen, denn diese Firmen produzieren nun doch lieber in Tschechien beziehungsweise der Slowakei. Wenn Zechen schließen, leiden zudem auch ihre Zulieferer. Sie müssen schon heute auf ihre Forderungen aus alten Aufträgen verzichten, wie die Zeitung Gazeta Wyborcza berichtet, um neue zu erhalten.

Wie der EU-Beitritt hier helfen kann, vermittelt die Kampagne der polnischen Regierung fürs Referendum so wenig wie Miller auf seiner Werbetour in Oberschlesien. Natürlich kann alles noch schlimmer werden. Und natürlich ist es eine große historische Chance, was Europaministerin Danuta Hübner immer wieder herausstellt: »Wir konnten in den fünfziger Jahren nicht am Integrationsprozess teilnehmen, weil wir auf der anderen Seite des Flusses waren. Jetzt betreten wir Europa, mit dem uns so viel verbindet.«

Das klingt ganz nach der so wohlfeilen wie allgemeinen Unterstützung der Kirche für den Beitritt, auch der Danziger Erzbischof Tadeusz Goclowski sprach davon, dass die katholische Kirche schon immer für »die Suche nach Wegen zur Einheit des Kontinents« gewesen ist.

Die Beitrittsgegner sind da konkreter, wenn auch der Zusammenhang zwischen ihren Zahlen und der Union nie klar wird. Die Vertreter der Samoobrona zählen in Interviews immer wieder die Arbeitslosenquote, die Zahl der Rentner und natürlich der Bauern auf. Die Schlussfolgerung ist auch immer wieder dieselbe. »Vielleicht werden es einige Beamte nach dem Beitritt besser haben, doch die Arbeiter werden gewiss verlieren«, sagte zum Beispiel der Samoobrona-Regionalfürst Tadeusz Debicki. Als die polnische Nachrichtenagentur PAP ihn fragte, wie denn genau der Zusammenhang zwischen Beitritt und Nachteilen für Arbeiter und Rentner sei, konnte er nur etwas von »steigenden Preisen« erzählen.

Ähnlich halten es die klerikal-fundamentalistische Familienliga LPR und Teile der Bauernpartei PSL, die schon seit Wochen den Eindruck zu erwecken versucht, bei der Abstimmung werde nicht alles mit rechten Dingen zugehen. Als die Parlamentskommission zum Referendum die Redezeit bei der Abstimmung über 308 Veränderungsvorschläge auf 30 Sekunden je Vorschlag beschränkte, sprach Bogdan Pek (PSL) von einer »Gefahr für die Demokratie«.

Die Mischung aus wirtschaftlicher Unsicherheit, einer unpopulären Regierung, schwacher Werbung für das Referendum und Gerüchten über vermeintliche Schiebungen könnte die Teilnahme an der Abstimmung gefährlich senken, auch wenn nach Angaben der Meinungsforscher knapp 70 Prozent der Befragten für den Beitritt sind. Die Beteiligung lag schon in Ungarn bei nur 48 Prozent.

Auch bei einem positiven Ergebnis rechnen selbst Optimisten nicht damit, dass Premier Miller im nächsten Jahr noch im Amt sein wird. Die Bilanz seiner Regierung mag schlecht sein – schlecht verkauft wird sie auf jeden Fall. Auf seiner Werbetour durchs schlesische Industriegebiet lobte Miller die über den Konkurs gerettete Brauerei Browar Górnoslaski SA als Beispiel für die Improvisationskunst polnischer Unternehmen. 170 Menschen sind dort beschäftigt. Es wären also knapp 150 neue Brauereien nötig, allein um den für dieses Jahr erwarteten Stellenabbau im Bergbau auszugleichen.