Imperiales Europa, europäisches Empire

Die Auseinandersetzung zwischen Europa und Amerika offenbart, dass auch weltweit operierende Konzerne nach wie vor an Nationalstaaten gebunden sind. von max brym
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Das Buch »Empire« von Michael Hardt und Antonio Negri war schon vor seiner Drucklegung im Jahr 2000 offensichtlich veraltet. Besonders deutlich wird dies an der gegebenen Konfliktlage zwischen der sich formierenden Achse Paris–Berlin– Moskau auf der einen und den USA auf der anderen Seite.

Die Rede, die Gerhard Schröder am 14. März im Bundestag hielt, zeigte bereits, wohin die Reise geht. Massenarmut soll in Deutschland wieder sichtbar werden, und alle sozialen Errungenschaften werden grundsätzlich zur Disposition gestellt, auch wenn das im Widerspruch selbst zu sozialdemokratischen Axiomen steht.

Auffällig an Schöders Rede war, dass er zwar beinah alle Ressorts zum Sparen verdonnerte, jedoch einen Haushalt ausließ, der nicht gekürzt werden soll – den Wehretat. Dazu passt der kürzlich von Verteidigungsminister Peter Struck geäußerte Wunsch, die Verteidigungsausgaben grundsätzlich von den Maastrichtkriterien auszunehmen.

Nach dem Beginn des Irakkriegs deuteten einige Politiker aus der zweite Reihe und durchaus aus beinah allen Parteien die mögliche Erhöhung des Wehretats an. Nach dieser Vorarbeit ergriff der Kanzler das Wort und brachte höchstselbst die Erhöhung der Verteidigungsausgaben ins Spiel, also die Aufrüstung.

In den sechziger Jahren predigte Franz-Josef Strauß in einer seiner Bierzeltreden noch: »Wir können nicht auf die Dauer ein wirtschaftliche Riese und ein politischer Zwerg sein.« Heute ergänzt der Kanzler und erklärt, um politisch etwas darzustellen, wird das nötige Militärpotenzial gebraucht.

»Diesem Europa hat eine gemeinsame Verteidigungsmacht in den diplomatischen Verhandlungen vor dem Irakkrieg gefehlt«, meint auch der belgische Außenminister Louis Michel. Sein deutscher Amtskollege Joseph Fischer zog im Spiegel daraus die Konsequenzen und forderte eine eigenständige europäische Außenpolitik und eine selbständige europäische Verteidigungspolitik. An einer EU-Einsatztruppe wird fleißig gebastelt. Den Rahmen bildet die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP).

Immer häufiger taucht in der bürgerlichen Presse der vor Jahren von Wolfgang Schäuble eingeführte Begriff »Kerneuropa« auf, da der EU, vor allem mit den gerade beigetretenen osteuropäischen Ländern, den USA freundlich gesonnene Abweichler aufgetaucht sind.

Der Kurs der kerneuropäischen Mächte, zu denen vor allem Deutschland und Frankreich gehören, richtet sich eindeutig gegen die USA. Eine Entwicklung, die die Theorie eines geschlossenen globalen Kapitalismus gründlich blamiert.

Die hektische Betriebsamkeit der Pariser und Berliner Diplomatie geht von folgender Befürchtung aus: Die Außen- und Militärpolitik der USA könnte die eigenen kapitalistischen Interessen gefährden. Kerneuropa steht also vor der Tatsache, dass die europäische Union zwar wirtschaftlich mit den USA gleichgezogen hat, militärisch jedoch bei weitem nicht an die Bedeutung der Vereinigten Staaten heranreicht. Der jüngst geführte Irakkrieg lehrt die europäischen Kapitalfraktionen, dass nur durch die Schaffung einer eigenständigen EU-Armee sowie durch einen gemeinsamen politischen Block militärische Handlungsfähigkeit gewonnen werden kann.

Der von Bundeskanzler Schröder während des Irakkriegs formulierte »Friedenskurs« des deutschen Kapitals deutete diese Haltung schon lange an. Man wollte mit den mörderischen Regimen im Nahen und Mittleren Osten, auch mit Saddam Hussein, stärker ins Geschäft kommen, um die US-Konkurrenz auszubooten. Friedlich wollte die deutsche Industrie den arabischen Raum durchdringen. Mittlerweile ist Deutschland der größte Gläubiger des Iran, und deutsche Kapitalinvestitionen genießen dort höchste Priorität. Syrien wurde in den letzten Jahren zum viertwichtigsten Öllieferanten Deutschlands. Und noch im letzten Jahr, anlässlich der Handelsmesse in Bagdad, forderten die Spitzen der deutschen Industrie eine Aufhebung des UN-Embargos gegen den Irak. Diese Forderung traf sich mit den französischen Interessen, speziell mit der Hoffnung der französischen Firma Elf auf ein kommendes Irakgeschäft. Und auch Russland hat mit dem alten Regime Vorverträge für die Ausbeutung diverser Ölquellen geschlossen. So viel zum ökonomischen Hintergrund der Achse zwischen Paris, Berlin und Moskau.

Was aus der gerade skizzierten Entwicklung folgte, die so genannte Friedensachse in Opposition zum Irakkrieg der USA und Großbritanniens nämlich, brachte US-Außenminister Colin Powell in Rage. »Wir hätten uns nicht gedacht, dass Deutschland derart aktiv gegen uns arbeitet«, vertraute er in einem Interview der Süddeutschen Zeitung an. Bekanntlich gehen nun, nach dem Krieg, die rentablen Verträge für den Wiederaufbau des Irak vor allem an US-Unternehmen, der Zugriff auf Ölquellen wird selbstverständlich auch von der US-Regierung gemanagt.

Die friedliche Absicht der Kerneuropäer, den arabischen Raum im eigenen imperialen Interesse zu durchdringen, ist gescheitert, die USA haben die ökonomische und geostrategische Dominanz in der Region zurückgewonnen. Die europäische Konsequenz heißt, speziell für das deutsche Kapital, dass die »friedliche«, also ökonomische Durchdringung bestimmter Gebiete ergänzt und kombiniert wird mit der militärischen Option, die vor allem durch die eigenständige EU-Armee realisiert werden soll. Auch die neuen verteidigungspolitischen Richtlinien, die im Mai im Bundestag vorgelegt wurden, sind ein deutliches Zeichen.

Die politische Klasse Kerneuropas begriff langsam, dass, um mit dem belgischen Außenminister zu sprechen, »die nötigen militärischen Mittel während der Irakkrise fehlten, um diplomatisch den USA entgegentreten zu können«.

Dieses koordinierte Handeln europäischer Staaten ist ein Ausdruck dafür, dass die weltweit operierenden Konzerne nach wie vor an ihre nationalstaatlichen Heimatbiotope gebunden sind. Die Nationalstaaten sind nach wie vor notwendig, um im »Spiel ohne Grenzen« eigene Interessen durchzusetzen.

»Unsere Verteidigung beginnt am Hindukusch«, verkündete bereits vor einiger Zeit Verteidigungsminister Struck – mit Betonung auf »unser«. Mit der Schaffung der ESVP zieht das europäische Möchtegern-Imperium die Konsequenzen aus der gegebenen weltpolitischen Lage und formuliert eine Antwort auf die in den USA laut werdenden Bemühungen um eine New World Order.

Selbständig sollen militärische Einsätze führbar werden. Da der deutschen Elite jedoch bewusst ist, dass Deutschland allein keine siegreichen Kriege führen kann, wird Frankreich hinzugezogen. Gegenüber diesem Nachbarland sind die Rivalitäten weniger stark entwickelt als gegenüber den USA, zudem kann man sich auf einen verbreiteten Antiamerikanismus stützen.

Um die eigenen Interessen wahrzunehmen, sollen nun eigenständige hochtechnologisierte militärische Verbände aufgebaut werden. Selbstverständlich ist Kerneuropa den USA militärisch noch weit unterlegen, weshalb fieberhaft an einer europäischen Militärplanung gearbeitet wird, unter Ausschluss der US-Konkurrenten, also unter Umgehung der über vierzig Jahre funktionierenden Arbeitsteilung in der Nato.

Die friedliche Konkurrenz auf dem Weltmarkt muss auf einer gewissen Stufe der weltwirtschaftlichen Krise durch außerökonomische Maßnahmen ersetzt werden. Die Intensivierung der militärischen Planungen und der Aufbau der kerneuropäischen Truppe belegen, dass imperiale Mächte wie Deutschland, neben der aggressiven Friedensrhetorik, an eine militärische Struktur gebunden sind. Die Nato wird durch die EU-Truppe mit der Betonung auf Eigenständigkeit grundsätzlich in Frage gestellt.

Gerade jüngst hat diese autonome Verteidigungspolitik eine konkrete Struktur angenommen. Ende April beschlossen Deutschland, Frankreich, Belgien und Luxemburg die Einrichtung eines eigenen Generalstabes. Ab 2004 operiert dieser Generalstab außerhalb der Nato-Struktur. Den kerneuropäischen Generälen wird ein eigenes militärisches Beschaffungsamt in die Hand gegeben. Die Aufträge erhält im Spiel ohne Grenzen die deutsch-französische Kapitalverbindung European Aeronautic Defense and Space Company (EADS), die bereits vor vier Jahren in Strasbourg gegründet wurde.

Wie leicht Krieg und Frieden zu verwechseln sind, zeigt die Financial Times Deutschland, die im Januar den belgischen Ministerpräsidenten Guy Verhofstadt zitiert: »Es ist paradox, aber je mehr Menschen auf unseren Straßen für den Frieden demonstrieren, desto dringender wird der Ausbau einer wirklich europäischen Verteidigungspolitik.«