Vorsicht, Deutschland!

Ermittlungen gegen Michel Friedman von stefan wirner

Wie wirklich ist eigentlich die Wirklichkeit? Als Jürgen W. Möllemann mit seinem Fallschirm in den Tod sprang, wirkte das bizarr. Dass Michel Friedman, der Vizepräsident des Zentralrats der Juden, noch bevor Möllemann beerdigt war, in den Verdacht geriet, Kokain zu schnupfen und mit dem Rotlichtmilieu zu tun zu haben, scheint fast kein Zufall mehr zu sein.

Inzwischen gibt es Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der Durchsuchungen der Wohnung und der Anwaltskanzlei Friedmans. Verantwortlich zeichnet hierfür die Berliner Staatsanwaltschaft. Der Generalstaatsanwalt Hansjürgen Karge, der sich, wie er sagt, »preußischen Tugenden« verpflichtet fühlt, entschuldigte sich mittlerweile bei den hessischen Kollegen dafür, sie nicht vor der Aktion in Frankfurt informiert zu haben.

In der Frankfurter Behörde bezweifelt man, dass die gefundene Menge Kokain überhaupt für eine Anklageerhebung gegen Friedman ausreicht. Der Strafrechtler Gerhard Grüner kritisierte zudem die Entnahme einer Haarprobe. Das Vorgehen der Staatsanwaltschaft wecke den Verdacht, dass Friedman gezwungen werden sollte, »aus Selbstschutzgründen tätig an seiner eigenen Überführung teilzunehmen«, sagte Grüner der Welt.

Die Bewertung der Auseinandersetzung zwischen Möllemann und Friedman erfuhr nun jedenfalls eine gefährliche Wendung. Nicht wenige Deutsche stimmen jener Frau zu, die in das Kondolenzbuch bei Möllemanns Beerdigung schrieb, der Politiker sei in »unverhältnismäßiger Art« dafür bestraft worden, »dass er aussprach, was alle denken«. Die Familie Möllemanns fragte in einer Todesanzeige: »Werden uns diejenigen Rechenschaft geben, die auf niederträchtige Weise versucht haben, sowohl den Menschen Jürgen Möllemann wie auch sein politisches Lebenswerk zu zerstören?«

Während Möllemann, der die Selbstmordattentate in Israel rechtfertigte und hemmungslos den Zentralrat der Juden angriff, demnach in den Tod gehetzt wurde, scheint Friedman jahrelang sein Publikum getäuscht zu haben. Er, der die Gäste seiner Talkshow »schonungslos« befragt habe, »muss sich nun selbst unangenehme Fragen gefallen lassen«, schrieb der Spiegel. Nun schweigt der »outrierte Lackel«, wie die taz ihn nennt, hieß die allgemeine Formel.

Die Geschichte wird zu einer deutschen Erzählung.

Man kann sich vorstellen, wie sich manche nun in ihren Ressentiments bestätigt fühlen. Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Frankfurts, Salomon Korn, befürchtet, dass nun »alte Rechnungen beglichen« werden könnten. Es werde sich zeigen, »wie weit wir in Deutschland von der Normalität entfernt sind, ob Michel Friedman behandelt wird wie jeder andere auch«, sagte er.

Als der Musiker Konstantin Wecker 1995 des Gebrauchs von Kokain überführt wurde, stellte sich sein Freund Rudolf Scharping demonstrativ vor ihn. Außer Vertretern der jüdischen Gemeinden unterstützt bisher kaum jemand Friedman. Immerhin warnt der Intendant des Hessischen Rundfunks, Helmut Reitze, vor einer Vorverurteilung.

Drogen können für den, der sie nimmt, zum Problem werden, vor allem angesichts der deutschen Drogenpolitik. Wenn aber zwei leere und ein volles Tütchen Kokain schwerer wiegen als dubiose Waffengeschäfte, mögliche Schmiergeldzahlungen und der Versuch, mit antisemitischen Ressentiments Wahlen zu gewinnen, dann wäre das nicht mehr nur bizarr. Dann hätte Möllemann am Ende doch gewonnen.