Knockin’ im Untergrund

Wie sich Rock und Religion im tschechischen Untergrund berührten. Über The Plastic People of the Universe und ihr Vorspiel zum Prager Frühling. von jan faktor

Einige Interessierte wissen vielleicht noch, dass der unmittelbare Anlass zur Gründung der Charta 77 die Verfolgung der Rockgruppe The Plastic People of the Universe (PPU) im Jahre 1976 war. Die Inhaftierung der Musiker brachte einen bis dahin nicht dagewesenen Solidarisierungsprozess unter den Dissidenten in Gang. Über den – im damaligen Ostblock einmaligen – Weg dieser Rockmusiker zur Religiosität weiß man bis heute aber praktisch nichts.

Die Anfänge von The Plastic People habe ich in den Jahren 1968/69, und zwar im Lokal Oøechovka, wohin ich regelmäßig ging, mitbekommen, leider ohne dass ich eine einzige Erinnerung daran habe. Es gab damals Unmengen von guten Rockgruppen; die künstlerischen Freiheiten waren auf diesem Feld noch nicht beschnitten. Mir kam damals das Gebaren der zu der Zeit noch nicht so genannten »Underground«-Bands, die happeningartige Bühnen-Spektakel veranstalteten und den so genannten Psychedelic Sound produzierten, etwas gewollt vor; auf mich wirkte der Schnickschnack drumherum nicht besonders, obwohl er programmatisch auf alle Sinne wirken sollte. Bewusst wahrgenommen habe ich aus diesem Spektrum damals eine andere psychedelische Prager Band – The Primitives Group, im Grunde die Vorgänger von PPU. Die Primitives haben verschiedene Rock-Feste veranstaltet – fisch-feast, bird-feast, diese hatten ein bisschen was von Fasching, im Saal glitzerte es heftig, das weiß ich noch. Aber vielleicht war ich noch zu jung (1968 war ich siebzehn), vielleicht habe ich die besten psychedelischen Konzerte nicht mitbekommen.

Die Plastic People sind dem Kunsthistoriker Ivan Jirous damals sofort aufgefallen; und er ist bald ihr intellektueller Kopf und künstlerischer Leiter geworden. Und er hat die Geschichte von PPU und des gesamten tschechischen Undergrounds in mehreren Aufsätzen festgehalten. Sein Spitzname, unter dem er im »Tschechenland« bekannt ist, ist »Magor«, was übersetzt so etwas wie Depp bedeutet. Das Husák-Regime hat Jirous-Magor seine repressiven Möglichkeiten hart spüren lassen. Er saß in den 21 Jahren zwischen 1968 und 1989 ganze achteinhalb Jahre im Gefängnis – zum Teil (als »Wiederholungstäter«) unter verschärften Bedingungen.

Die Plastic People entdeckten als die ersten in Prag die New Yorker Band The Velvet Underground, als diese auch woanders in der Welt noch ganz unbekannt war, sie machten die Prager Rockfans – wie vorher auch schon die Primitives – mit The Fugs bekannt, spielten Frank Zappa und vieles andere, womit das Publikum wirklich erst bekannt gemacht werden musste. Magor war als ein impulsiver und rebellischer Mensch von den Plastic People ganz hingerissen. Und er entschloss sich mit seiner Frau Vìra – obwohl die Plastics musikalisch damals noch überhaupt nicht sehr professionell waren – diese wilden Rocker ohne Abitur oder ernsthafte musikalische Ausbildung künstlerisch zu begleiten und auch intellektuell weiterzubringen.

Das verhalf der Gruppe nicht nur zu qualitativ großen Entwicklungsschritten, es ließ sie auch in ihrer politischen, moralischen Radikalität schnell weiter reifen. Eine solche Stütze fehlte vielen anderen Bands in den entscheidenden Phasen des kulturellen Zerfalls nach 1968. Und Magor bewahrte die Gruppe vor einigen falschen Entscheidungen. Die Musiker haben zum Beispiel erst nach einer massiven Intervention von ihm ein Angebot, in einer Bar in Malaysia zu spielen, ausgeschlagen. (Sie wollten sich Geld für eine neue Anlage verdienen – und dann wieder zurückkommen.) Außerdem haben sich die Plastic People – durch ihre happeningartigen Inszenierungen – im Niveau sehr schnell von anderen Bands abgehoben.

Magor schleppte die Musiker mit seiner Frau in kunsthistorisch wertvolle Kirchen oder zu Landart-Aktionen, hielt ihnen Vorträge über Andy Warhol und über Avantgarde-Strömungen in der Welt. Und die PPU bezogen in dieser Zeit der Gleichschalterei der Kulturlandschaft klar begründete Positionen. Den Underground verstand man damals als eine Welt anderer, dem Establishment konträrer Mentalität, meint Magor, also eher mythologisch, als ein ästhetisches Prinzip. Aus dieser erstmal nur künstlerisch relevanten, aus Amerika geborgten Haltung (einige wichtige Namen dazu: Ed Sanders, Tuli Kupferberg von The Fugs, Abbie Hoffman, Allen Ginsberg, Timothy Leary) ist erst später – also unter den nach-68er Bedingungen in Prag – eine wirklich radikale Haltung im kulturell-soziologischen Sinne geworden.

Alles fing aber relativ harmlos und apolitisch an. Milan Hlavsa, der inzwischen verstorbene Bassgitarrist, Sänger und Komponist der gesamten Musik der Gruppe und Mitglied der Band von Anfang an, betonte rückblickend in Interviews, dass die Band anfangs keinerlei politische Intentionen hatte, nur und nur Musik – diese aber ohne Kompromisse – machen wollte. Auch Magor war grundsätzlich fürs Ignorieren alles Politischen in der Kunst. Politisch – aber nie plakativ politisch – sind die Plastic People erst nach und nach durch den enormen Druck von außen geworden. Alle Rock-Gruppen wurden in der Zeit der so genannten Normalisierung – eingeleitet durch Husák im April 1969 – gezwungen, ihre englischen Namen abzulegen, ausschließlich tschechisch zu singen, »ihre Haare (also Haarlänge) in Ordnung« zu bringen und ihre Texte der Zensur vorzulegen. Alles dies war für die PPU nicht akzeptabel; der allgemeine Druck war aber so enorm, dass diese Band für einige Jahre die einzige bedeutende bleiben sollte, die den Weg in die faktische Illegalität wagte. Sich ihre Texte genehmigen zu lassen, kam zwar nicht in Frage, viele der Texte waren aber an sich relativ harmlos und wären (manche vielleicht nur wegen einiger vulgärer Ausdrücke) schwer angreifbar gewesen – und die PPU gingen sowieso von sich aus sehr bald dazu über, ausschließlich tschechisch zu singen. Dafür waren die PPU für die Kulturfunktionäre aus vielen anderen Gründen ein Schreckgepenst. Dazu nur ein Ausspruch nach einem – einmal gewagten – Vorspiel bei der Genehmigungskommission: »Haare abschneiden und in die Kohlengrube schicken.«

Zum Problem der Anpassung, Vereinnahmung, Kommerzialisierung meint Magor ironisch: »Wir hatten es besser (im Vergleich zu Rockmusikern im Westen; J.F.), da wir in vollkommener Übereinstimmung lebten. Die offizielle (erste) Kultur wollte uns nicht, und wir wollten mit dieser Kultur ebenfalls nichts zu tun haben.« Anfangs ahnten die PPU-Musiker nicht, worauf sie sich – wenn sie bei ihrer Haltung blieben – eigentlich einließen. Aber die Plastic People machten weiter und wurden immer professioneller; die Band wandelte sich teilweise auch ohne das Zutun von Magor, der selbst kein Musiker war. In die Band kamen erstklassige Musiker wie der Geiger Jiri Kabes und der Saxophonist und Theologe Vratislav Brabenec, der später auch als Texter enorm wichtig wurde. Der Sound der Gruppe wurde jazziger – und bekam etwas Unverwechselbares. Und die Plastic People stießen durch die Mithilfe von Magor auf Gedichte des abseitigen und natürlich nicht publizierbaren Schreibers Egon Bondy – und Hlavsa begann sofort, Bondys gedichtartige Gebilde zu vertonen. Bondy führte als Psychiatriepatient und – wie man heute weiß – erpressbarer Agent der Staatssicherheit nicht nur ein kompliziertes Mehrfach-Leben, er schrieb in den manischen Phasen seines Lebens u.a. auch ehrlich-böse Texte, die für die PPU wie geschaffen waren. Ich selbst kannte Bondy lange Jahre nur als den ordentliche Bücher produzierenden marxistischen Philosophen Zbynek Fiöer, las seine Monografie über Buddha – und ahnte nicht (wie auch viele andere), dass er und der in Prager Kneipen mit Legenden umwitterte Dichter Bondy, der auch in einigen Erzählungen von Bohumil Hrabal herumgeistert, ein und dieselbe Person waren.

Das Prager Kollaboranten-Regime hatte, was die Undergroundkultur betrifft, in einem Punkt sehr schlechte Karten: In diesem letzen Hort des rockmusikalischen Widerstandes waren die Gegner nicht irgendwelche unreifen Provokateure; und es waren nicht Einzelpersonen; es war eine Gemeinschaft, eine Gruppierung von sehr begabten Musikern und Künstlern.

Für die Qualität und die Bedeutung des Undergrounds in Prag spielten viele günstige Zufälle eine Rolle, die aus dieser Sozietät etwas Einmaliges im damaligen Ostblock machten. Der ganze Umkreis war sehr offen und demokratisch; Bildung oder gesellschaftliche Stellung von früher spielten hier keine Rolle; bei den Zusammenkünften kamen ehemalige Professoren und ehemalige Fleischerlehrlinge zusammen, Intellektuelle wurden (auch durch ihre zwangsweise ausgeübten Berufe) proletarischer, Arbeiter holten Bildung nach. In meinem Interview mit der Mutter Courage des tschechischen Undergrounds, der schon erwähnten Vìra Jirousová, der ersten Frau von Magor, sagte sie mit ihrer sanften Stimme: »Es ist doch einfach – der Staat spuckte alles aus, was sich nicht knechten ließ; und so kamen dort die radikalsten, besten Leute zusammen. Und diese – auch die Rocker – waren für alles offen, auch für die Religion zum Beispiel.« Und weiter: »Gerade diesen Leuten half die Religion, auch eindeutige Verantwortung in ihrem Leben zu übernehmen; und einiges dabei klarer zu vertreten.« Dank der rigiden Haltung des Staates den Kirchen gegenüber, die staatlich sehr streng reglementiert wurden (kein Vergleich zu der auch in diesem Punkt viel liberaleren DDR), verloren auch viele unliebsame Theologen ihre Stellen und landeten an diesem äußeren Rand der Gesellschaft. Auf diese Art und Weise kam auf ganz natürlichem Weg die Religion in den tschechischen Untergrund hinein.

Magor vergleicht das Verhalten der Band und ihres Umfelds mehrmals mit der Praxis der Hussiten, die anfangs illegale Gottesdienste unter freiem Himmel abhielten. »Chodit na hor« – »Auf die Berge gehen«, hieß es damals im 15. Jahrhundert. Die Termine der illegalen Konzerte wurden ganz kurzfristig bekannt gegeben, um der Staatssicherheit keine Zeit zum Einschreiten zu lassen. Und die Freunde der Band zogen oft tatsächlich wie Hussiten zu den Konzerten von irgendwelchen Bahnhöfen durch die Landschaft in entlegene Dorfkneipen oder auf Privatgrundstücke. Gespielt wurde an einem Ort in der Regel nur ein einziges Mal. Bei diesen Anlässen, für die lange geprobt wurde, wurden ganze thematische Komplexe von Kompositionen vorgestellt – und eben nur dieses eine Mal gespielt; zum Glück aber auch aufgenommen.

Zu einer schlimmen Schlagstockorgie kam es 1974 bei Èeské Budìjovice (Budweis), wohin so viele auffällige langhaarige Gestalten (»Gespenster«, wie selbst Magor mit Freude manchmal sagt) reisten, dass sie von mehreren, vom örtlichen Parteisekretär herbeigerufenen Überfallkommandos – trotz ihres völlig friedlichen Verhaltens – brutal und wahllos zusammengeschlagen wurden. Eine Bahnunterführung in Èeské Budìjovice war nach diesem Einsatz den Zeugenaussagen nach voller Blut. Wenn ich erzähle, dass das Ausmaß von Angst in der CSSR viel größer war als in der DDR, wird es mir oft nicht geglaubt. Die tschechische Staatssicherheit war sicher nicht effektiver als die ostdeutsche, brutaler war sie aber auf alle Fälle.

Magor erzählt eine Geschichte von einem finnischen Künstlerpaar, das sich längere Zeit in Prag aufhielt, die Schönheit der Stadt und das kulturelle Angebot beeindruckend fand. Und natürlich auch die Freundlichkeit der Leute, die Ruhe und den Frieden auf den Straßen. Und die beiden Finnen regten sich auf, was für Versteckspiele die Leute aus dem Umfeld des kulturellen Untergrunds betrieben, wie viel Ängstlichkeit sie verbreiteten. Nachdem dann eine Hochzeitsfeier, bei der sie anwesend waren und bei der die Gruppe DG 307 spielen sollte, von der Übermacht eines Rollkommandos mit Maschinenpistolen gestürmt wurde, blieben sie bis zum Ende ihres Aufenthaltes sehr still.

Die Plastic People gingen aus Sicherheitsgründen konsequent dazu über, nur bei Anlässen wie Hochzeiten oder Geburtstagen zu spielen und die jeweiligen Konzerte als musikalische Begleitung der Feierlichkeiten zu tarnen. Das war schon nach den Erfahrungen aus Budweis nötig, natürlich auch später nach 1977, als sie aus dem Gefängnis kamen. Die Haftstrafen der Musiker (nicht aber die von Magor) sind – durch den enormen politischen Druck aus dem Westen – relativ gering ausgefallen, einige besonders lächerliche Anklagepunkte (bei einem Auftritt kam in einem Song mehrmals das tschechiche Wort für »Scheiße« vor) mussten von der Staatssicherheit fallen gelassen werden. Der exemplarische Schlag gegen den Underground ist also – wirklich nur dank der Publizität, die dieser Fall hatte – zum Glück völlig misslungen.

Die Bedrohung blieb aber natürlich bestehen. Die Gruppe – heute klingt das kurios – musste sich z.B. auch vor zu viel Publikum schützen. Das letzte Live-Konzert fand 1980 in Kerhatice statt, die letzten freigegebenen Aufnahmen der Gruppe gibt es von 1984. Aber schon davor wurde Brabenec in die Emigration getrieben. Und weil Jirous – nur durch kurze Pausen unterbrochen – immer wieder im Gefängnis verschwand und niemand mit vergleichbarer organisatorischer Energie da war, konnte nicht sehr viel zustande kommen. Zeitweilig hat Václav Havel mit der Auswahl von Texten (Gedichten) für zwei der letzten Alben ausgeholfen, die dann vertont wurden. Offiziell ist die Gruppe erst 1988 zerfallen. Zum Anlass des 20jährigen Jubiläums der Charta 77 gab es dann 1997 – also nach einer neunjährigen Pause – auf der Prager Burg ein Konzert. Durch dieses Ereignis kamen die Plastic People wieder zusammen; und es gab dann auch wieder öffentliche Konzerte.

Die Plastic People spielten – wie gesagt – nur noch in privat angemieteten Räumen oder auf Grundstücken. Kirchliche Räume waren – anders als in der DDR – in keiner Weise verfügbar. Trotzdem war die Religion im Umfeld der Gruppe immer präsent. Unter anderem auch durch die privat organisierten Vorträge zu religiösen und biblischen Themen, die bekannte Philosophen oder Theologen abhielten (Ladislav Hejdánek, Miloö Rejchert, Jan Sokol, Jiøí Nìmec). Die katholische Ausrichtung war stärker, es spielte aber keine große Rolle, ob man katholisch oder evangelisch war. Bei Vìra Jirousová und vielen anderen war der Grund für diese Hinwendung nicht nur der religiöse Hintergrund aus der Kindheit, es gehörte auch – wie sie sagt – zum Beispiel zu ihrem Beruf; ohne die Kenntnis der Bibel hätte sie niemals kompetent Kunstgeschichte betreiben können. Aber auch Zufälle spielten eine Rolle. Hlavsa freundete sich in Mähren beim Trampen mit einem katholischen Pfarrer an und erhielt dann seinen Religionsunterricht angeblich bei einem karpatischen Schnaps. Er ließ sich von ihm später taufen und noch später auch trauen. Die nicht angepassten Christen – und in erster Linie die Katholiken – waren dem Prager Regime so verhasst, dass der Sog, sich dem System als ein gläubiger Mensch entgegenzustellen, sehr groß war. Es war – auch durch die vergangene, ziemlich brutale Verfolgung der Katholiken in den fünfziger Jahren – eine der radikalsten Möglichkeiten, das Regime zu provozieren. Aber diese Hinwendung zur Religion kann man nicht einfach als eine Trotz- und Trutzhaltung denunzieren. Am Rande der Gesellschaft wuchs unter dem staatlichen Druck wie von alleine so etwas wie eine neue Urreligiosität.

Ich habe es am Anfang der siebziger Jahre eine Zeitlang mit dem Judentum versucht, an anderen Orten wuchs eben ein neues Christentum. Ich habe dieses Phänomen verspätet beim Hören der »Passionsspiele« von PPU nachvollziehen können. Einige Titel erinnern durch die unisono gesungenen Refrains direkt an hussitische Choräle. Was für mich so frappierend war, war die Intensität, die Urkraft, mit der Hlavsa die Texte sang. Einige dieser Texte stammen vom Brabenec, dem Saxophonisten der Band und nicht praktizierenden evangelischen Theologen. Das Unbeirrbare, Unbedingte in Hlavsas Stimme konnte ich beim Hören nicht einfach zur Seite schieben; ich habe – es war bei einer Nachtfahrt im Auto – endlich klar erlebt, wie echt und innig auch diese mir bis dahin so suspekte Religion empfunden werden kann. Auch diejenigen Titel, die melodisch wie liturgisch-katholische Gesänge klingen, waren für mich problemlos erträglich. Ich würde mich scheuen, in diesem Zusammenhang das Wort Bluesmesse in den Mund zu nehmen. Das, was ich in der DDR erlebte, war etwas eher Außerkirchliches, was sich eben unter dem Dach der Kirche abspielte. Auch in Polen gab es zu diesem tschechischen Phänomen nichts Vergleichbares, wie ich bei meinen Nachforschungen von mehreren Seiten erfahren habe. Es ist aber nachvollziehbar: Die Kirche in Polen war stark präsent, hatte auch real mehr Macht, blieb als in erster Linie an Rom angebundene Institution bestehen. Dieses ursprüngliche, kämpferische, auf sich gestellte Christentum des tschechischen Undergrounds konnte sich dagegen nur außerhalb von jeglichen Institutionen entwickeln.

Um die religiöse Natur der Tschechen etwas besser zu verstehen, muss man ziemlich weit in die Geschichte zurückschauen. Ganz kurz: Die Tschechen haben im 15. Jahrhundert wirklich aus tiefster Seele ihren reformatorischen, hussitischen Verteidigungskrieg geführt. Das letzte Aufbegehren – allerdings des tschechischen Adels – fand dann 1620 in der Schlacht auf dem Weißen Berg gegen die Habsburger statt. Die Tschechen unterlagen, und die Gläubigen in den tschechischen Ländern wurden – wenn sie nicht auswanderten – nach und nach zwangsrekatholisiert. Dreihundert Jahre sind eine lange Zeit, und das Volk wurde wirklich wieder katholisch; also so gut, wie es ging. Im Allgemeinen aber eben nie wieder von ganzem Herzen. Dies prägte insgesamt die Beziehung der Tschechen zu Gott und zur Religion überhaupt.

Man glaubte zwar, man war aber auch skeptisch, weil der Glaube gleichzeitig der Glaube der Besatzungsmacht war. Der vom Magor angestellte Vergleich zu den Hussiten ist also in mehrfacher Hinsicht richtig. Echte Religiosität – traue ich mir jetzt zu behaupten – wurde nach 500 Jahren wieder gelebt; und gerade außerhalb der Kirchen. Manche Titel von PPU haben etwas Alttestamentarisches, Hlavsas Stimme könnte die Stimme eines Propheten sein. Und zwar auch in dem Sinne, dass es eine Stimme ist, die sich direkt an Gott wendet.