Kishon für Neuarme

Die Generation Golf ist in der Spießer-Tristesse angekommen, und mit ihr das Rolemodel Florian Illies. von jens friebe

Florian Illies hat ein neues Buch geschrieben: »Generation Golf 2«. Es ist furchtbar. Alle, die ich dazu sprach oder las, sind der gleichen Meinung. Unklarheit besteht allerdings bezüglich der Frage, ob der erste Band schon genauso furchtbar war oder noch irgendwie okay ging. Erinnerung, sprich!

»Generation Golf« war im Kern eine eiskalte Faktensammlung, ein enzyklopädisches Nachschlagewerk der Accessoires, mit denen die Vergangenheit der zwischen 1965 und 1975 Geborenen angefüllt war. Den wohligen Schock, der entsteht, wenn man an Fernsehserien, Eissorten oder Modetrends aus vergessen geglaubten Kindheits- und Jugendtagen erinnert wird, kennt wohl jeder. Das ideale Format für derartige Selbsterfahrungen ist die mündliche Konversation. Nach zweihundert Seiten professionell beschworener Nostalgie nutzt sich der Effekt hingegen ab, und es wird langweilig. Sollte man meinen. Aber hierzulande langweilt man sich nicht so leicht, man schätzt die Geborgenheit des Repetitiven. Das war das Glück des Autors, sein Sechser im Lotto. Nun hätte man nach zehn Seiten zuklappen und Illies seinen Erfolg gönnen können, hätte es da nicht dieses kleine Problem gegeben. Das Problem war, dass dem Autor sein eigener virtueller Trödelmarkt wohl selbst zu defizitär erschien und er seinem Buch eine weitere Ebene verlieh, nämlich das Psychogramm der älter gewordenen Generation, ihre Verfasstheit in der damaligen Jetztzeit: Sie ist unengagiert, schick, egoistisch, geldgeil.

Wenn Adorno sagt, dass es bei manchen Menschen schon eine Unverschämtheit ist, wenn sie »ich« sagen, so bestand hier die Unverschämtheit darin, nicht »ich« zu sagen, sondern »wir«. Denn welchen kleinen Ausschnitt der Bevölkerung Illies mit diesem »wir« meinte, wusste man spätestens, wenn er sagte, die Alten, Schröder und Fischer, hätten bei ihnen, den »Jurastudenten und Generation Golf-Werbeagenturen«, Stilbewusstsein gelernt. Um Werber und Jurastudenten ging es, um niemanden sonst, ihren Wertekatalog schrieb Illies nieder und bejubelte ihn. Die 68er wurden zwar nicht so treffsicher und sprachgewaltig gebasht wie bei Goetz oder Lottmann, dafür aber viel ausgiebiger. Dabei, so der Denker Illies in seinem am häufigsten wiederholten Bonmot, seien es ja gerade diese 68er gewesen, die ihn und die ihm verwandten Lackaffen erst möglich gemacht hätten. Die antiautoritäre Erziehung sei Schuld gewesen an deren Egoismus, die »Dauerpräsentation unserer Schande« (ja, auch M. Walser wurde zustimmend zitiert) an ihrem politischen Desinteresse.

Verbündete fand die so entstandene Brut in der Generation der Großväter, mit denen sie »Zigarre rauchen und am Kamin bei einem Glas Whiskey über die Vorzüge der Großwildjagd debattieren« konnte. Ob das Großwild im Falle des Großvaters einen gelben Stern trug, interessierte den schreibenden Jungverdiener natürlich nicht. Dennoch war bei all dem demonstrativen »Tongue in cheek«-Zynismus schon damals zu merken, dass die Sicht auf die eigene Dekadenz gar nicht so lustvoll war, wie sie tat. Die ganze Zeit gab es so ein seltsames, kryptomoralischen Nebengeräusch. Wenn man zum Beispiel las, wie wenig sich Monsieur Ich-Erzähler beim Wegwerfen der Nadeln, die in seinen Designerhemden zu stecken pflegten, angeblich darum scherte, »ob sich dann arme Müllsortierer die Finger stachen« und an seinem »Zynismus verbluteten«, wollte man ihm zurufen: »Hey Alter, entweder es ist dir wirklich egal, warum schreibst du dann drüber? Oder es ist dir nicht egal, warum wirst du dann kein besserer Mensch?« Das war damals. Da wusste man noch nicht, was Florian Illies unter einem besseren Menschen versteht.

Jetzt aber das neue Buch: Vier Jahre später, inzwischen ist viel passiert. Zum Beispiel hat Florian Illies für die FAZ sein ehemaliges Idol Max Goldt verrissen (wahrscheinlich, weil ihm letztlich doch klar wurde, dass der Abstand zwischen den beiden einfach zu groß ist, dass Goldt selbst tot noch besser schreiben würde als Illies in Hochform). Außerdem sind die Vertreter der Generation Golf etwas älter geworden, haben viel Geld an der Börse und teilweise ihre Jobs verloren. Es ist nichts mehr übrig vom mondänen Lifestyle, der ja schon in den früheren Schilderungen so unendlich viel schaler rüberkam als bei Stuckrad-Barre, wo wenigstens noch Koks und Pop im Spiel waren. Der einzige Kick der Werber und Jurastudenten war der Nemax, der nun, wo er weg ist, nichts als Leere in Form einer höllischen Spießer-Tristesse hinterlässt.

Die Männer in Illies’ Berlin kennen weder Partys noch Clubs, sondern nur Cafés, in denen sie Folgendes (und für ihre Kreise wahrscheinlich leider sogar Zutreffendes) über Frauen wissen: »Für Thomas gibt es in unserer Generation drei Frauentypen: die Frau, die man sofort heiraten muss. Dann (…) die Übereifrigen und Fleißigen, die schon früher immer im Matheunterricht mit den Fingern schnippten, wenn sie was wussten, und nun ihre Kostüme wie Panzer tragen. Und dann die, die er machohaft Bewunderungsgirls nennt.« Frauentyp eins scheint zu überwiegen, denn dauernd wird geheiratet. Und zwar so: »Selbst abends, bei den Sketchen, ging es wahnsinnig zivilisiert zu, rührende Reden, teures Essen, artige Kinder. Erst als der DJ ›It’s Raining Men‹ auflegte, gingen die ersten aus sich heraus und hängten die Smokingjacken über den Stuhl.«

Dass einem bei so einem Leben der Spaß vergeht, ist verständlich. Humor gibt es in »Generation Golf 2« nur noch als Spurenelement, etwa in einer zutiefst onkelhaften Burleske über Handys und Faxgeräte. Im Wesentlichen regieren das Zähneklappern und die Reue: »So meinten wir, den verlogenen (…) Idealismus der Eltern ersetzt zu haben durch einen Pragmatismus (…) ohne Utopien. Und merkten gar nicht, wie wir uns unsere eigene Verlogenheit zusammenzimmerten. Wie wir Engagement für kollektive Ziele als rührend verhöhnten, obwohl es unsere Freiheit so nicht gäbe, wenn Ute und Hans damals nicht auf die Straße gegangen wären.« Schon angesichts dieser schleimigen Abbitte wünscht man sich den ironischen Schnösel zurück, noch stärker wird der Wunsch, wenn der Bekehrte berichtet, für welche »kollektiven Ziele« er sich ab jetzt engagieren will.

Neben der Telekom und dem Tarifsystem der Deutschen Bahn macht er als Hauptgefahr fürs kollektive Glück die deutschen Gewerkschaften aus. Gegen sie und ihre unverschämten Forderungen, die verhindern, dass man vorwärts kommt, solle man bitteschön demonstrieren. In einer albernen Kurz-Science-Fiction, die in Sachen abgeschmackter Satirestil und reaktionärer Gesinnung an Kishon erinnert, entwirft Illies das Schreckensszenario, die WM könnte nicht stattfinden, weil »nämlich die Gewerkschaften 2005 erfolgreich eine 12,5-Stundenwoche im Baugewerbe mit vollem Lohnausgleich aushandeln« und die Stadien nicht fertig werden. Außer den Gewerkschaften stört ihn an Deutschland, dass »wir in Sachen Nationalgefühl tatsächlich einen Knacks weghaben«.

Es ist verständlich, dass Illies seine Redakteursstelle bei der FAZ zur Verfügung gestellt hat, denn er hat jetzt, als Rolemodel der geläuterten Generation Golf, noch mehr zu tun als früher. Tagsüber Arbeiter entrechten für’s Vaterland; abends stracks heim zum Bewunderungsgirl. Gute Nacht.

Florian Illies: Generation Golf 2. Blessing, München 2003, 252 S., 16,90 Euro