Die Grenze ist überall

Ein Interview mit hagen kopp, einem Aktivisten der Organisation No Border, und thomas berthold vom Antirassismusbüro Bremen

Welche staatlichen oder staatlich gelenkten Organisationen reglementieren derzeit auf europäischer Ebene die Zuwanderung?

Berthold: Neben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sind das die Europäische Union und das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen UNHCR, das aber Kompetenzen an die IOM verliert. Hier entsteht gerade eine Konkurrenzsituation, da das UNHCR und die IOM um Gelder aus den EU-Mitgliedstaaten buhlen.

Kopp: Im Rahmen der EU-Erweiterung sind die östlichen Beitrittsstaaten gezwungen, das Schengener Abkommen zu übernehmen. Sie sind also unmittelbar in der Pflicht, die Visumspolitik, die Grenzaufrüstungspolitik, die Migrations- und Asylpolitik den EU-Standards anzupassen.

Darüber hinaus gibt es in der EU verschiedene Institutionen, die sich über den EU-Rahmen hinaus mit Migrationsbewegungen beschäftigen. Ein wichtiger Punkt war die Formulierung der EU-Aktionspläne, die bestimmte migrationspolitisch signifikante Regionen im globalen Rahmen markiert haben. Mit diesen Aktionsplänen hat die EU versucht, im Sinne der Regulierung der Migration und der Zerschlagung der Fluchträume einzugreifen. Das betrifft Länder wie Marokko oder die Ukraine, die an die EU angrenzen, aber auch Krisenregionen wie Somalia, Afghanistan oder den Irak.

Liegt der Schwerpunkt der Migrationspolitik der EU derzeit bei der selektiven Einwanderung oder bei der kollektiven Abwehr?

Kopp: Organisationen wie die IOM stellen den Begriff des Managements in den Vordergrund. Damit wird genau beschrieben, dass es der EU um eine Kombination aus Abschottung und Einreise jeweils klar definierter Gruppen geht. Die unwanted, die Unproduktiven, sollen draußen bleiben. Wo im Arbeitsmarkt bestimmte Sektoren unterbesetzt sind, sollen Migranten rekrutiert werden.

Das Outsourcing der Asylfrage, das die britische Regierung in Anlehnung an die australische pacific solution vorgeschlagen hat, wird ein nächster Schritt in Richtung einer total reglementierten Migration sein. Außerhalb der EU sollen Orte geschaffen werden, an denen die ankommenden Migranten festgesetzt und sortiert werden können.

Warum werden Leute aus Ecuador für die Plantagenarbeit in Südspanien angeworben, wenn aus Marokko jährlich Tausende genau dorthin überzusetzen versuchen?

Berthold: Es geht nicht nur darum, Leute gezielt anzuwerben und gleichzeitig alle anderen Bewegungen in Richtung Europa zu stoppen. Es geht auch darum, weiterhin den Status von Illegalisierten aufrechtzuerhalten. Gerade auf den Plantagen sind Leute in prekären Lebensverhältnissen leichter auszubeuten.

Kopp: An der Südküste der so genannten Costa del Plástico sind seit einiger Zeit verstärkt Arbeiter aus Osteuropa angeworben worden. Der Hintergrund ist, dass sich die Arbeiter aus Nordafrika in den vergangenen Jahren zum Teil organisiert haben. Obwohl sie teils ohne Papiere waren, haben sie sich gewehrt. Mit der Anwerbung neuer ethnischer Gruppen wird versucht, diese Widerständigkeit aufzuweichen und die Arbeiterschaft zu spalten. Die illegale Migration hat immer etwas Unkontrollierbares. Das versucht die EU mit befristeten Legalisierungen zu moderieren, zu managen und zu steuern.

Wäre ein einheitliches EU-Asylrecht für Flüchtlinge von Vorteil oder von Nachteil?

Berthold: Die Vereinheitlichung des Asylrechts, gegen die sich Deutschland momentan sperrt, geht einher mit der Ausdehnung der Einrichtungen wie dem Schengen Information System auf weitere Staaten. Wenn es wie vorgesehen bis 2004 eine EU-Asylgesetzgebung gibt, wird das wegen der zu erwartenden Inhalte Nachteile für Flüchtlinge bringen. Relativ humane Asylregelungen wie in Belgien werden dann wegfallen.

Die EU-Außengrenzen verschieben sich, die Pufferzonen liegen jetzt in Weißrussland, Rumänien oder der Türkei. Warum findet das diesjährige Grenzcamp in Köln statt, also mitten in Deutschland, wo immer weniger Migranten aus Nicht-EU-Staaten hinkommen?

Kopp: Wir haben in den vergangenen Jahren die Kontakte speziell nach Osteuropa gepflegt. Seit 1999 gibt es Grenzcamps etwa an der ostpolnischen Grenze, um genau diesen Prozess zu thematisieren.

Trotzdem gibt es eine Vervielfachung der EU-Grenzen auch im Inneren. Der Kölner Hauptbahnhof, an dem täglich Reisende aus Paris wegen ihrer Hautfarbe abgefangen und kontrolliert werden, ist dafür ein hervorstechendes Beispiel. Oder der Düsseldorfer Flughafen, von wo aus Migranten abgeschoben werden. Diese Vervielfachung der Grenzen macht es nötig, in jeder Stadt auf die restriktive EU-Migrationspolitik aufmerksam zu machen.

Berthold: Das Kölner Grenzcamp muss in Zusammenhang mit den anderen No-Border-Camps gesehen werden. Gerade ist ein Grenzcamp in Apulien zu Ende gegangen. Dort liegt eine faktische EU-Außengrenze. Flüchtlinge aus Albanien kommen hier nach Italien. Dieses Jahr gab es auch ein Camp in Rumänien und eines an der polnisch-weißrussischen Grenze. Die Thematisierung der vervielfachten Innengrenzen ist ergänzend dazu ein wichtiges Anliegen.

Wie sieht euer Ansatz in der Frage der vervielfältigten Grenze aus?

Kopp: Im Jahr 2002 gab es ein Grenzcamp in Jena. Dort war ein Schwerpunkt die Selbstorganisierung der Flüchtlinge, die sich seit Jahren gegen die Residenzpflicht wenden. Sie führen Prozesse gegen die Beschränkung ihrer Bewegungsfreiheit, weil sie mit dem Status als Ayslsuchende den ihnen zugewiesenen Landkreis nicht verlassen dürfen. Das ist ein Beispiel, sich gegen die Vervielfachung der Grenzen zu wehren.

Der zweite Punkt sind die öffentlichen Räume. Die Frage der rassistischen Kontrolle des öffentlichen Raums, wie zum Beispiel am Kölner Hauptbahnhof, ist ein wichtiger Ansatz, um gegen die Politik der EU zu demonstrieren.

Gibt es Bestrebungen, das europäische Netzwerk der Flüchtlingsorganisationen auf die Herkunftsstaaten auszuweiten?

Kopp: Die Vernetzung mit Gruppen in den Herkunftsländern ist noch relativ schwach ausgeprägt. Wir haben einen guten Kontakt zu Gruppen in Kiew, das ja eine wichtige Durchgangsstation für Flüchtlinge aus dem asiatischen Raum ist. Außerdem gibt es über migrantische Selbstorganisationen wie Voice oder die Karawane Kontakte in die Herkunftsländer.

Aber selbst auf europäischer Ebene ist die Entwicklung eines stabilen Netzwerks allein aus finanziellen Gründen problematisch. Um die Vernetzung mit Herkunftsorten wie dem Senegal oder der Türkei voranzutreiben, gibt es noch viel zu tun. Momentan sind wir froh, dass die Grenzcamps sich über Europa ausbreiten. Die Erweiterung ist sicher eine große Herausforderung.

interview: sebastian sedlmayr