Dritter Weg ohne Uniform

Nur die afrikanische Zivilgesellschaft kann die Konflikte des Kontinents friedlich lösen. Doch sie erhält kaum westliche Unterstützung. von emanuel matondo

Afrika stirbt, Afrika hungert, Afrika versinkt in einem selbst verschuldeten Blutbad und in hausgemachtem Elend. Afrika kann sich nicht selbst helfen, es muss mit Nahrungsmittel- und Entwicklungshilfe ernährt und durch Interventionen befriedet werden. Dies ist das Klischee, das die westlichen Medien beherrscht und das Bild der Öffentlichkeit von Afrika bestimmt. Es dient der Rechtfertigung politischer Einmischung oder militärischer Interventionen durch westliche Staaten, die am Ende immer den Status quo sichern.

Doch Afrika könnte seine Konflikte friedlich lösen, wenn man nur den Kontinent in Ruhe ließe. Wer nur genau seine überall herangewachsene Zivilgesellschaft anschaut, wird dies bestätigen. Das größte Problem des afrikanischen Kontinents sind die vielen marodierenden Militärs, Warlords und die anderen Herren in Uniform bei Regierungstruppen und Rebellen. Für die Menschen dort, die sich für Frieden und Zivilität einsetzen, sind die größten Hindernisse die herrschende Kultur der Straflosigkeit für Kriegsverbrechen sowie die massive Unterstützung von Mördern, die maßgeblich für die Führung und Verlängerung der Kriege des Kontinents sind, durch den Westen.

Dass afrikanische Despoten zu den besten Freunden der westlichen Welt gehören und ihnen problemlos Zugang zu allen Regierungskanzleien gewährt wird, macht es den Gewaltlosen schwer, sich in den Hauptstädten dieser »Demokratien« Gehör zu verschaffen und eine Alternative zu militärischen Lösungen zu präsentieren. Trotz alledem kämpfen die Basisbewegungen Afrikas für ein Ende dieser Kultur der Straflosigkeit, und mit dem Aufbau von Zivilgesellschaften bieten sie vielerorts Alternativen.

Diese Gruppen versuchen, Konzepte für nichtmilitärische Konfliktlösungen zu entwickeln und zu definieren. Manche von ihnen tragen durch ihre direkte Intervention oder die Vermittlung zwischen den verfeindeten Parteien zur Deeskalation bei. In einigen Fälle werden sie zu Repräsentanten der Mehrheit, die die große Zustimmung aller Bevölkerungsschichten erhalten. Gerade diesen Zivilgesellschaftsgruppen Afrikas sollte die Aufmerksamkeit des Westens und der »internationalen Gemeinschaft« gelten. Doch es ist fraglich, ob die rhetorischen Bekenntnisse zur partizipativen Politik und zur Priorität der Konfliktprävention ernst gemeint sind.

Die Mehrheit der Afrikaner will lieber Gesundheit, Brot, Bildung, Entwicklung und Frieden anstatt Waffen und Kriege. Deshalb entstehen überall Bewegungen gegen kriegerisches Unrecht, Despotismus und Barbarei. Diese Friedenskämpfer sind die Hoffnung für die Zukunft Afrikas, ihretwegen kann man auch sagen: Afrika bewegt sich.

In Kenia herrschte jahrzehntelang der Despot Daniel Arap Moi, der sich nur durch Korruption und Repression gegen Oppositionelle an der Macht hielt. Bis sich die Zivilgesellschaft um die Kirchen und andere Religionsgemeinschaften mit der Regenbogenkoalition aus zivilen Parteien (Narc) vereinigte, um freie und faire Wahlen durchzusetzen. So gelang es Ende 2002 den Reformkräften Kenias, mit von ihnen selbst organisierten Wahlen, den korrupten und gewaltbereiten Präsidenten mit friedlichen Mitteln aus dem Amt zu verjagen. Bemerkenswert bei dieser zivilgesellschaftlichen Koalition Kenias war, dass sie sich nicht auf die Provokationen der Gewaltbereiten und der bewaffneten Gruppen des Despoten einließen. Am Ende hat ganz Kenia gewonnen, und Afrika ist um eine Erfahrung eines friedlichen Übergangs reicher.

Von den »Geberländern« des Westens und jenen, die den Menschen unseres Kontinents vorwerfen, sie seien unfähig, ihre Konflikte zu lösen oder Wahlen durchzuführen, gab es keine nennenswerte Unterstützung für die kenianische Zivilgesellschaft in ihrem Kampf gegen Moi. Kenia hat sich selbst geholfen, der Veränderungsprozess kam von innen und nicht von außen. Die Basis dafür bildete die Zivilgesellschaft mit ihren friedensbewegten und gewaltfreien Gruppen.

In der Demokratischen Republik Kongo, die damals noch Zaire hieß, herrschte jahrzehntelang der Diktator Sese-Seko Mobutu. Er war korrupt und regierte repressiv, Kredite und Entwicklungsgelder überwies er sofort auf eines seiner privaten Schweizer Konten. Trotzdem galt der Despot als Mann des Westens, und damit war er automatisch ein Liebling der internationalen Finanzinstitutionen IWF und Weltbank.

Mitte der achtziger Jahre, als die Menschen in Zaire gegen das Militärregime zu protestieren begannen, formierte sich im Untergrund eine zivile Opposition, später wurden Menschenrechtsgruppen gegründet. Gerade diese zivile Opposition um die charismatische Figur Etienne Tshisekedis trug zur politischen Öffnung Zaires bei und mobilisierte Menschen in allen Provinzen und sozialen Schichten. Es ist der Bewegung um diese Partei zu verdanken, dass es in Zaire Anfang der neunziger Jahre zur Bildung einer gut funktionierenden Zivilgesellschaft kam.

Mit ihrer Gewaltlosigkeit war diese Bewegung die richtige Alternative zum Militärregime Mobutus. Sie wurde jedoch im Ausland nicht wahrgenommen. Der Despot hatte einfach viel zu viele Freunde im Westen und im Ostblock, er galt beiden als Garant der militärischen Stabilität in der Region und der Möglichkeit, ihre Interessen im reichen Zaire wahrzunehmen. Die Durchführung der Nationalen Konferenz durch die Zivilgesellschaft schwächte 1992 die Position des Diktators, der von einigen seiner Kumpane im Westen fallen gelassen wurde. Doch die Gunst der Stunde zur Förderung und Stärkung von zivilen Kräften und Reformbewegungen wurde leider nie genutzt. Mobutu hielt sich an der Macht.

Dann tauchte wie aus dem Nichts eine Gruppe von vorgeblichen Rebellen im Osten auf. Und plötzlich verhandelten nur die Waffenträger, der Rebellenführer und der geschwächte Diktator über die Verteilung der Macht. Die Zivilgesellschaft blieb ausgeschlossen, und die »internationale Gemeinschaft« unterstützte diese Politik. Der Rebellenführer Joseph Desiré Kabila sah dies als Ermutigung, nach dem Sturz Mobutus dessen Politik weiter zu führen. Bis zu seiner Ermordung im Januar 2001 war er Alleinherrscher über den Kongo.

Dass ehemalige Freunde Mobutus wie die USA und ihre Verbündeten nun ihn unterstützten, bestärkte den neuen Diktator darin, repressiv gegen die Zivilgesellschaft und die Opposition vorzugehen. Auch gegen die Besetzung weiter Teile des Kongo durch Ruanda und Uganda hatte der Westen nichts einzuwenden. Die Zivilgesellschaft des Kongo kämpft unermüdlich für einen sofortigen Rückzug der ruandischen und ugandischen Besatzungstruppen, die Einhaltung der Menschenrechte und einen nationalen Dialog zur friedlichen Lösung des Konfliktes in ihrem Land, ohne fremde Interventionen.

In Angola lieferte sich die korrupte, militaristische und brutale Regierung der MPLA über dreißig Jahre lang einen erbitterten Kampf mit der ebenso skrupellosen Rebellenbewegung Unita. Das an Erdöl und Diamanten reiche Land wird von einer Hand voll Militaristen beherrscht, die zunächst stellvertretend für Freunde im Westen und im Ostblock, später dann auf eigene Rechnung Krieg führten.

Erst nach der politischen Öffnung 1992 konnte sich langsam eine Zivilgesellschaft entwickeln. Mitte der neunziger Jahre, als die Stimmen der unabhängigen Journalisten lauter wurden, gewann die Bildung der Zivilgesellschaft an Dynamik. Sie war nach dem erneuten Ausbruch des Bürgerkrieges Ende 1998 so stark, dass sie zum größten Problem für die Kriegsparteien wurde. Viel zu lang haben die Menschen in Angola den Militärs vertraut und ihnen das Feld des politischen Handelns überlassen, bis sie merkten, dass die Männer in Uniform das ganze Land ins Elend gestürzt haben. Nun setzte sich die Überzeugung durch, dass mit den Militärs kein Frieden zu erreichen ist und der Militarismus aller Kriegsparteien die humanitäre Krise nur verschärft.

Deshalb stellte sich die Zivilgesellschaft Angolas gemeinsam mit den Kirchen und den zivilen Oppositionsparteien gegen den Krieg und forderte einen sofortigen Waffenstillstand und einen Dialog aller gesellschaftlichen Kräfte, einschließlich jener, die seit Jahrzehnten von politischen Entscheidungen ausgeschlossen waren. Sie empfahl die ökumenische Friedensorganisation um die beiden großen Kirchen Angolas als Vermittlerin zwischen den Kriegsparteien.

Die hinter dieser Friedensinitiative stehenden Gruppen brachten viele Vorschläge ein und präsentierten zugleich Konzepte für einen Friedensplan. Die Kriegsparteien gerieten unter Druck und es bewegte sich etwas: Gespräche und Kontakte zwischen der ökumenischen Friedensorganisation und der MPLA-Regierung kamen zustande, erste Vermittlungsgespräche mit der am Krieg beteiligten Unita-Fraktion wurden im Ausland geführt. Das veranlasste die Uno später, ihre einseitige Position zugunsten der Regierungspartei teilweise aufzugeben und sich der Logik des direkten politischen Dialoges zwischen den Kriegsparteien anzuschließen.

Und plötzlich kamen einige Regierungen im Westen zu der Einsicht, dass die Zivilgesellschaft als dritte Kraft in Angola eine Alternative sein könnte. So verabschiedete zum Beispiel das Europaparlament am 4. Juli 2001 eine Resolution, die unter anderem feststellt: »Die tragische jüngere Geschichte Angolas lehrt uns eines – wir sollten nur jenen vertrauen, die keine Waffen in der Hand halten, wenn sie von Frieden sprechen«.

Emanuel Matondo betreut angolanische Kriegsdienstverweigerer, er lebt in Dortmund.