Komm mit in den Alltag

Imbissbuden sind hässlich und sympathisch. von ivo bozic

Wenn man sich selbstständig machen möchte, aber nichts kann, dann hat man ein Problem. Vor dieses Problem sahen sich so manche Ostdeutsche nach dem Mauerfall gestellt. Und zwar jene tapferen DDR-Bürger, für die Freiheit mehr als eine Mallorca-Reise oder ein Westauto bedeutete, und die von wahrer Freiheit träumten, der freien Marktwirtschaft nämlich. Endlich selbst ein Geschäft eröffnen und dann ausschließlich in die eigene Tasche wirtschaften. Ein Traum! Man gönnt es jedem. Wem es aber an Talenten fehlt, der eröffnet ein Sonnenstudio. Da muss man nur die Geräte kaufen und fertig. Oder eine Videothek. Wie Pilze aus dem Boden schossen nach der Wende Videotheken und Sonnenstudios, die meisten sind längst wieder geschlossen, die ehemaligen Besitzer sitzen alkoholisiert in Eckkneipen.

Doch noch vor den Videotheken und Sonnenstudios gab es eine andere Gründerwelle: Imbissbuden. Die Mauer fiel und nur wenige Tage später standen auf allen Transitautobahnparkplätzen Wohnwagen, in denen selig lächelnde Ostler Bratwürste grillten. Auch in den Städten und Dörfern roch es zunehmend nach Frittierfett. Jeder war entweder Imbissbudenkunde oder -besitzer. Denn auch hier gilt: Eine Wurst umdrehen kann jeder.

Aber man soll den Beruf des Imbissbudenbetreibers nicht unterschätzen! Er mag zwar leicht zu erlernen sein, aber wie das eben so ist: Solche Jobs sind oft die härtesten. Wer eine Imbissbude hat, stinkt nach Fett. Und muss Getränkekisten schleppen. Und Abfalleimer ausleeren. Über heißen Pfannen und Rosten seinen wertvollen Schweiß verlieren. Mit scharfen Messern Tomaten schneiden – und Zwiebeln!

Nein, wer eine Imbissbude betreibt, kann damit nicht groß auftrumpfen. Beim ersten Date wird er was von »Gastronomiebranche« murmeln, und wer ihn vor der Feierabenddusche trifft, kriegt ein »Lass uns nicht von Sex reden« zu hören. Die Würstchendreher sind die wahren Helden unseres Alltages. Schmutzig, aber frei.

Die Wurst als Symbol der ganzen Lebenshärte. Man sagt ja auch: Es geht um die Wurst. Wie wahr! Und wenn wir schon mitten im Klischee sind: Von der Gegenseite wird es begeistert aufgenommen. Wer Brioni-Anzüge trägt und sich in großen schwarzen Karossen durch die Stadt chauffieren lässt, der muss sich gelegentlich mit einer Currywurst in der Hand fotografieren lassen, es kann auch mal ein Döner oder eine China-Pfanne sein. Das Image verlangt es. Man will ja den Draht zu den »einfachen Leuten« nicht verlieren. Wer Kanzler werden will oder Superstar: Ohne Wurst geht nix.

Vielleicht ist es diese im Grunde völlig verrückte Projektion der Currywurst als Freiheitssymbol, durch die Imbissbuden heute zu so etwas wie dem letzten Hort des Antiautoritären und Unkontrollierbaren geworden sind. Nach wie vor sprießen Buden und Container, Wohnwagen und Baracken aus dem Boden wie Unkraut. Zwar nicht mehr so massenhaft, aber doch immer wild und anarchisch, respektlos gegenüber ästhetischen Stadtkonzepten, ziemlich immun gegenüber Gentrifizierung und Vertreibung aus den Glitzermetropolen der Stadt. Vor fast jedem gläsern funkelnden Einkaufszentrum steht so eine Frittenspelunke oder ein Asia-Imbiss. Drinnen nicht mal ein Kaugummipapier auf dem Boden, private Wachdienste, die dafür sorgen, dass niemand raucht oder Skateboard fährt, und draußen vor der Tür muffelt eine schäbige Frittenbude vor sich hin, immer gut frequentiert, zumindest von den Alkoholikern der Nachbarschaft. »Aussichtslose Lage«, sagen Dezernatsdetektive.

Der Fotograf Christoph Buckstegen hat in Berlin Imbissbuden fotografiert und aus der Fotoserie eine Ausstellung und ein Buch gemacht. »Urbane Anarchisten – Die Kultur der Imbissbude« ist der Titel. Zusammen mit dem Journalisten Jon von Wetzlar entdeckt er die Imbissbude als Freiraum in der durchgestylten Stadt, als die einzigen »Gebäude«, an die kein Architekt oder Stadtdesigner Hand angelegt hat. Ein Foto zeigt den von allen sozialen Widersprüchen gesäuberten Potsdamer Platz mit seinen prahlerischen Hochhäusern – und zu deren Füßen eine verlotterte »Maximilian«-Grillbude.

Aber auch die »schlechten Ecken« der Stadt werden durch Imbissbuden attraktiv gemacht. Da spielt die spezielle Situation Berlins natürlich eine Rolle. Kriegsbedingte Baulücken und der ehemalige Mauerstreifen bieten viel Raum. Rund 2000 Imbissbuden soll es in der Hauptstadt geben. In den Peripherien gibt es sie genauso wie mitten im Zentrum. Aber auch den Imbissbuden droht die Vertreibung. Klar, wo – wie in Einkaufszentren oder auf privatisierten Plätzen – Hausordnungen das vom Gesetzgeber erlassene Recht ersetzen, wo die wirklichen Loser der Gesellschaft in Security-Uniformen gesteckt den Pennern ihre Bierdose aus der Hand schlagen, da soll kein Platz für eine Stätte der sozialen Begegnung sein, kein Platz für einen kleinen Wohnwagen mit der Aufschrift »Moni’s Imbiss«. Nur was als »Stadtmöbel« klassifiziert ist, darf im »Stadtbild« auftauchen.

Das Buch- und Ausstellungsprojekt von Buckstegen und von Wetzlar ist eine drastische Kritik an der Zero-Tolerance-Politik in den Metropolen. Es funktioniert deshalb als Kritik, weil wir alle, ob Manager oder Obdachloser, die Imbissbuden mögen. Sei es als Symbol von Freiheit und wegen des Charmes des »einfachen Lebens«, zwei Meter Gutes mehr, wenn man ein Auge zudrückt vier, sei es als sozialer Treffpunkt und Bierverkaufsstelle. Sie sind sympathisch, diese »urbanen Anarchisten«, und sie sind eine bedrohte Spezies. Auch wenn man für das unternehmerische Anliegen der Kleingewerbetreibenden kein Mitgefühl aufbringen mag, als Gegenbild zur vollständig durchgeplanten Stadt sind Imbissbuden unsere letzte Hoffnung. Wenn wir die Buden aufgeben, haben wir die Innenstädte aufgegeben. Doch noch zeigen sie sich beharrlich. Und wer weiß, vielleicht hat irgendwann alles ein Ende, nur die Wurst nicht.

Jon von Wetzlar (Hg.): Anarchisten, Jonas Verlag, Marburg 2003, 128 Seiten.

Ausstellung: Freilichtmuseum Domäne Dahlem, Mi–Mo 10–18 Uhr, Königin-Luise-Str. 46, Berlin.

Fotos und Texte auch unter: www.imbiss-bude.com