Sleeper Cell

Meldung 3243, Hauptquartier

Dienstag: An Lebensraum mangelt’s hier draußen wirklich nicht. Wir leben am Rande der größten Stadtwüste der Welt, Los Angeles, wo 20 Millionen Menschen alles dafür geben würden, noch schneller noch mehr Lebensglück in sich hineinzustopfen, wenn sie bloß könnten. Wo also sind hier die Golfplätze, die Funparks, was hält die amerikanischen Normalos von diesem Stück Wüste ab? Ist es die Angst vor Außerirdischen? Vor uns?

Manchmal werden Störungen in unserem System sichtbar. Wir starren Richtung Horizont im Osten, als ob dort ein Sehnsuchtsmagnet wirkt. Berlin? Jets auf dem Weg von Los Angeles Richtung Ostküste und Europa schneiden anschwellende, weiße Striche in den Himmel. Nachts sieht man dort in der blauen Senke unerklärliche Lichtspuren. Was hat das zu bedeuten? Signale? Unsere Apparate reagieren nicht. Keine Codierung. Böse Vorahnung.

Hannahs Denken ist in solchen Momenten wie automatisiert. Es ist ein Denken nach der Kritik, ein Denken ohne Rebellion, ohne die heroische Attitüde einer revolutionären Bewegung, ein Denken, das optimistisch Akzente und Positionen setzt, verpackt in viel melancholischen Humor, ohne sich intellektuell zu disqualifizieren. Es ist »authentisches« Denken in der kulturellen Wüste. Davon erzählt sie mir. Uns bleibt viel Zeit, solche Dinge zu besprechen – zwischen Alltagsroutine, Protokollieren, Wartung und Aktion. Hier, am Arsch von Hollywood, sei Amerika in seinem reinsten, archetypischsten Zustand anzutreffen, sagt Hannah.

Das behaupteten schon Adorno und Horkheimer, als sie in den vierziger Jahren in Los Angeles die »Dialektik der Aufklärung« entworfen haben. Das muss es sein, was Hannah antreibt, die reine Form »Amerika«. Eine gute Idee. Was uns aber rein praktisch zur reinsten Form fehlt, ist ein mit Wasser gefüllter Pool.

Get organized! Meistens finden wir Abkühlung in einem Motel-Pool, nahe der Ortschaft Joshua Tree. Dort werden wir womöglich auf neue Verbündete stoßen, vermeldet Informant T.B. Vorsicht! Die nächsten Nachrichten um fünf vor eins. Urteilsnetz gespannt. Achtung! An alle Journalistenschüler! Informanten sind wichtig.

Der Besitzer des Harmony Motel trägt an diesem überbelichteten Nachmittag einen Strohhut, kein T-Shirt, und er zeigt uns einen makellosen Oberkörper. Er nennt sich Jeffrey Jones, und er säubert gerade den Wüstenboden.

Jeffrey träumt von »Found Objects«, das ist seine »Kunst«, die sich mittlerweile in den Kunstmetropolen auf dem Planeten Erde gut verkauft. Sind es Ufo-Trümmer? Keine Antwort. Er habe diesen Flecken ausgesucht, weil ihm Erosion und eingebildete Kamerafahrten mehr bedeuten als die Urbanität von Los Angeles oder die Kunstszene in New York. Nebenbei möchte er Geselligkeit, Sentimentalität und Sexualität von sich fernhalten.

So redet natürlich nur eine Flasche, einer, dem die Realität zu real und die Wirklichkeit zu wahr geworden sind. Einer, dem die Nähe zu nah, das Wort zu buchstäblich und die Bilder in seinem Kopf zu schön sind. Einer, der Ironie und kulturelle Wüste braucht, um damit Distanz und reflektiven Freiraum zu schaffen. Leute wie Jeffrey Jones gehören nicht den Popkult-Untergruppen »New Age« oder den »Raver Hippies« an, wie wir sie vor Jahren beim »Burning Man«-Festival angetroffen haben. Er ist auch kein Nihilist, der hier im Nichts spaßvoll die Liquidierung der Kultur beobachten will. Nach was sucht er dann? Verdächtig.