Imperien im Test

Sind die Amerikaner die Römer von heute? Peter Bender vergleicht zwei Machtsysteme. von philipp janssen

Amerika gilt heute – militärisch, wirtschaftlich, politisch – als die unbestrittene Weltmacht. Seine ungeheuren Einflussmöglichkeiten haben die Frage provoziert, ob die Politik der USA darauf abzielt, ein neues Empire zu schaffen, das dem römischen Imperium gleichkommt. Mit dieser Fragestellung beschäftigt sich auch der Journalist und Althistoriker Peter Bender in seinem neuen Buch. Sein vorläufiges Fazit lautet allerdings: »Amerika hat nur die erste Stufe der Weltmacht erreicht. Es kann gegen den Protest der halben Welt so ziemlich alles tun, was es will (…) Die zweite Stufe der Weltmacht, auf der Rom stand, bleibt für Amerika unerreichbar.« Anders als Rom, behauptet Bender, können die Vereinigten Staaten nicht einfach befehlen, durchsetzen und anordnen, bislang jedenfalls nicht.

Historisch gesehen verkörpert nur das römische Imperium das Prinzip unumschränkter Weltherrschaft. Deswegen zieht Bender den Vergleich zwischen der Entstehung der Weltmacht Rom und der Weltmacht Amerika. Bender will nicht nur die Ähnlichkeit beider Systeme illustrieren, er will ebenfalls um Verständnis für die heutige Position der Vereinigten Staaten werben. Das gelingt seiner im traditionellen althistorischen Erzählton gehaltenen Darstellung. Das rund 260 Seiten dicke Buch liest sich spannend und instruktiv, und das parallele Erzählen von römischer und US-amerikanischer Geschichte funktioniert meistens gut.

Die so genannte »Insellage« der Italiener wie der Nordamerikaner bildet für Bender den Ausgangspunkt des Vergleichs. Rom »musste« sich den Rest der Halbinsel unterwerfen, genauso »musste« sich die amerikanische Republik den Kontinent einverleiben. Zur Begründung verweist Bender knapp auf das Bedürfnis nach Sicherheit. Im Fall der amerikanischen Landnahme, die einen beträchtlichen Blutzoll forderte, entsteht auch das Bild entfesselter Naturgewalt.

Für den Autor sind das notwendige Erzählbausteine. Damit lässt sich der »Kairos«, der »entscheidende Zeitpunkt« im Sinne einer geschichtlichen Fügung, dramatisieren. Bender markiert mit zwei Daten den Einstieg der Republiken in die Weltgeschichte: Nachdem es dem damals recht schwachen Rom überraschend gelungen war, den gefürchteten Feldherrn Pyrrhos aus Italien zu vertreiben (279 v. Chr.), konnten die Römer ihre Landmacht auf der Insel ausbauen. Sie legten so den Grundstein für das spätere Imperium. Die USA dagegen schirmten 1823 durch die Monroe-Doktrin den gesamten amerikanischen Kontinent für immer gegen die europäische Einflussnahme ab. Wie Rom gut 2 000 Jahre zuvor, öffnete die US-Regierung den Kontinent für die Expansion.

Beide Entscheidungen ermöglichten den Republiken die territoriale Herrschaftsfestigung, so dass sie wehrhaft das Ringen mit den Mächten des »Bösen« außerhalb ihrer Inseln bestehen konnten. Dieser Unterscheidung bleibt Bender in seiner Erzählung treu: Der Gegner ist tendenziell moralisch schlechter als das sich verteidigende Rom oder Amerika. Deshalb ist es richtig, dass Rom und die Vereinigten Staaten mit jeder gewonnenen Schlacht den Herrschaftsbezirk erweitern konnten. Auch wenn sich das Motiv der gegnerischen Gefahr nur schwer aufrechterhalten lässt – wie im Fall der nativen Bevölkerung Amerikas – wird die Auslöschung in Benders Darstellung dennoch zur tragischen Notwendigkeit, da so der Raum für die Ausbreitung der künftigen Weltmacht erobert wurde. Alles fügt sich zum Guten?

Für die europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts stimmt, dass die amerikanischen Waffengänge im ersten und zweiten Weltkrieg segensreich, dass der Marshall-Plan eine Gnade war, dass die Standhaftigkeit der Vereinigten Staaten im Kalten Krieg die Berliner Mauer zu Fall brachte. Aber »gut« und »schlecht«, oder »richtig« und »falsch« sind keine Kategorien, mit denen sich die Geschichte verstehen lässt, sondern es sind Gegensatzpaare, in deren Spannung geschichtliche Erzählung produziert wird. Und da kommt in Benders Erzählung der »Kairos« ins Spiel. Der geschichtlichen Fügung entsprechend, bewegen sich Rom und die Vereinigten Staaten zielstrebig in die Welt hinein, obwohl beide nichts so sehr wünschen, wie auf ihren »Inseln« zu bleiben.

Bender schreibt die Geschichte einer Nation, die aus ihrer selbst auferlegten republikanischen Isolation aufbrach, um der Welt Zivilisation und Demokratie zu bringen. So wie Rom unterworfen habe, um dann aber sogleich politische Entscheidungsgewalt an die Unterworfenen zurückzugeben, so hätten die Amerikaner überall dort, wo sie hinkamen, eine informelle Imperialität eingerichtet durch die Eingliederung der Länder in den freien Handel, durch den Kulturtransfer und vertraglich abgesicherte Schutzbündnisse. Im Ergebnis liest sich das so: Rom und Amerika »waren keine zielstrebigen Imperialisten (…) Roms und Amerikas Eroberungen hatten sich im wesentlichen aus der Defensive ergeben, ihnen fehlte daher ein Herrschaftskonzept, es waren Eroberungen, sonst nichts.« Bender erzählt den Mythos von der Weltmacht wider Willen.

Allerdings lässt sich diese Interpretation nur aufrechterhalten, wenn das Doppelspiel der US-amerikanischen Außenpolitik ausgeblendet wird, wenn die Kontinuitäten der Einflussnahme in Lateinamerika oder im asiatisch-pazifischen Raum unterschlagen werden, oder wenn die systematische Vernichtung der amerikanischen Ureinwohner nicht als die Folge moderner Totalisierung, sondern als »Eroberung durch Siedlung«, als tragischer Nebeneffekt einer neuzeitlichen, europäischen Völkerwanderung verstanden wird.

Bender legt dar, dass die Lehre aus der kurzen Phase des offiziellen US-Imperialismus, der Inbesitznahme der Philippinen 1898 in Nachfolge der Spanier, darin bestand, dass die Vereinigten Staaten eine Strategie finden mussten, zu expandieren, ohne sich außerhalb der eigenen Landesgrenzen aufzureiben. Auf den Philippinen wurde die »ehemalige Kolonie« USA zur »Kolonialmacht«. Prompt wurden die neuen Kolonialherren in einen handfesten, blutigen Guerillakrieg verwickelt, die »Vorwegnahme dessen, was die Vereinigten Staaten sechzig Jahre später in Vietnam erlebten«. Bender legt die Spur, verfolgt sie aber nicht konsequent weiter, die Geschichte findet nämlich schon kurz darauf zu ihrer eigentlichen Bestimmung zurück: Die Amerikaner entdeckten die »indirekte Herrschaft«. »Sie brachte die wirtschaftlichen Vorteile, auf die es vor allem ankam.«

Begriffe wie »indirekte Herrschaft«, oder »informelles Imperium« sind immer euphemistisch, wird doch durch sie suggeriert, Herrschaft ohne Gewalt sei möglich. Bender hebt selbst hervor, welche Ziele mit der Expansion nach Lateinamerika und in den asiatisch-pazifischen Raum verfolgt wurden: Es ging um Wirtschaftsinteressen und den geostrategischen Zugang.

Die Idee von der selbst ermächtigten internationalen Polizeimacht stammt aus dieser Zeit; ihr Erfahrungsraum liegt südlich der Staatsgrenze der USA, in der Karibik, in Lateinamerika, im Pazifik, und ihre teils blutigen Spuren ziehen sich bis in die Gegenwart. Das schmälert nicht die Verdienste der Vereinigten Staaten im Europa des 20. Jahrhunderts. Aber das historisch begründete Argument, die US-Außenpolitik diene der Verteidigung und die Expansion sei notwendig, um eine Supermacht hervorzubringen, die, nach US-Präsident Woodrow Wilson, die Welt für die Demokratie sichern sollte, lässt sich kaum aufrechterhalten.

Das Amerika, von dem Bender spricht, ist weiß und »europäisch«. Seine Sicht auf das »Empire« ist die eines Europäers. Weil es aber unschön ist zuzugeben, dass es der internationalen US-Polizeigewalt bedarf, um den »Westen« oder das Abendland gegen den Rest der ganzen Welt zu sichern, also auch die eigene privilegierte Position zu schützen, braucht es den Mythos von der Weltmacht, die groß wurde, um ihre republikanischen Werte zu verteidigen.

Peter Bender: Weltmacht Amerika – Das neue Rom. Klett-Cotta, Stuttgart 2003, 295 S., 19,50 Euro