Sleeper Cell

Meldung 3244, Hauptquartier

Wir schweben im Wasser. Es wird dunkel. Wie eine Oase zieht das Harmony Motel all die Wüstenbewohner an, die sich keinen Pool leisten wollen, weil sie die Cocktail-Ästhetik eines David Hockney nicht brauchen. Neben mir am Poolrand sitzen Leute wie Jack Pierson, New Yorker Konzeptkünstler. Tony, ein Tontechniker des legendären Aufnahmestudios Rancho de la Luna in Joshua Tree. Cannon Hudson, Maler aus New York, und seine Freundin Jennifer Bolande, Fotografin. Oder dieses fremde Wesen, das sich Andrea Zittel nennt. Eine Konzeptfrau. Liebe auf den ersten Blick. Vorsicht. Frau Zittel hat die USA auf der Biennale in Venedig vertreten, sie wurde mit einer Einzelausstellung im Guggenheim-Museum geadelt, und ihre Objekte erreichen mittlerweile Sammlerwerte von über 100 000 Dollar. Ihr Ding ist das menschliche Behausungskonzept, inspiriert vom Bauhaus und dem Affenkäfig. Das Baumaterial für ihre Werke sammelt sie auf Abfallhalden der US-Marines. Verdächtig. Frau Zittel ist in Südkalifornien geboren und sagt manchmal so Dinge wie: Am Morgen sehe die Wüste noch ein bisschen sinnloser aus. Den Dingen – Staub und tausend scharfe kleine Steine – sei die Substanz wie durch eine Zentrifugalkraft herausgezogen worden und sie sei weit hinter dem Horizont gelandet.

Redet so ein echter Mensch? Seit vergangenem Jahr kommen immer mehr von dieser Sorte: Es sind junge, fremde Wesen, die für wenig Geld alte Hütten oder Wüstenland erstehen. Sie bezeichnen sich als Künstler, Architekten, Designer, Intellektuelle, Öko-Aktivisten oder ganz einfach als Wüsten-Boheme. Immerhin: keine Raver. Doch alles ist reine Tarnung. Ich bin sogar überzeugt, diese Leute planen im kalifornischen Hinterland eine Verschwörung: die Selbstsubversion. Um dieses Problem kümmern wir uns später. Prost, Seidl. Jetzt noch die letzten Dinge ordnen.

Abenddämmerung am Pool des Harmony Motels. Motel-Gäste und Freunde von Frau Zittel haben sich ausgezogen und liegen nackt und nahe beieinander. Sie konzentrieren sich auf die Geräusche der Dinge, die vom Wind bewegt werden. Fehlgedanke Deutschland: Die amerikanische Wüste ist eben nicht der Raum, der aller Substanz entleert ist. Aus der Ferne schweben zum Beispiel süße Schreie heran. Süße Angst. Die Schreie kommen immer näher.

Es sind zwei Mädchen auf Sand-Buggys. Sie sind wie Fohlen. Unbändig und schlank. Sie haben uns schon öfter mit ihren Buggys besucht. Sie experimentieren mit Drogen und miteinander. Sie lesen ständig bunte Illustrierte aus Los Angeles. Sie sind vielleicht fünfzehn, vielleicht auch jünger, und sie schwänzen gerne die Schule. Der Vater der Mädchen war mal drei Jahre im Knast wegen einer illegalen Speed-Küche, die er hinter seinem Wohnwagen betrieben hat. Die Mutter arbeitet heute in einer BH-Fabrik. Der Vater betreibt eine chemische Reinigung in 29 Palms.

Manchmal treiben sie es mit einem Marineinfanteristen, der aus dem Irak zurückgekehrt ist und gerade seine Frau und seine Kinder verprügelt hat und jetzt bei den Mädchen Trost sucht.

Manchmal werden die Kunstwerke von Frau Zittel oder Herrn Pierson mit Hakenkreuzen beschmiert. Von Leuten, die hier schon viele, viele Jahre leben. LOCALS! Zu »Amerika«, zum Krieg in Irak und zu den heimkehrenden Marines haben sie keine Meinung. Wenn ein zugereister Künstler aber meint, er könne hier in der Wüste ein Anti-Bush-Kunstwerk zur Alltagskunst erklären, dann liegt er daneben. Dann wird scharf geschossen.

»Sleeper Cell« erscheint als anonymer Kolumnenroman.