De rebus fluxis

Über Rätsel im Werk von George Brecht, Arthur Køpcke und Tomas Schmit. Von Stefan Ripplinger

Weniges ist rätselhafter an der Kunst als ihre Erklärung. Es fängt mit dem Titel an. Den Velázquez betrachtend, habe ich hilflos nach einem Hinweis gesucht und auf dem Täfelchen den verwirrenden gefunden: »Jakob wird Josephs blutiger Rock gebracht«. Ich habe dem Katalog entnommen, wann das Bild entstanden ist (1630). Ich habe in der Bibel die Geschichte der Brüder nachgelesen, die den Vater mit dem ins Blut eines Ziegenbocks getauchten Rock täuschen wollen. Ich habe in Arthur C. Dantos »Embodied Meanings« (N.Y. 1995) gelesen, das Hündchen unten rechts sei ein »wise spaniel«, der den Betrug der Brüder durchschaue und sie deshalb ankläffe. Und ich war danach noch ratloser als zuvor.

Josephs blutiger Rock? Es ist kein Blut auf dem Rock zu sehen. Dafür finden sich rötliche Flecken auf der ebenfalls präsentierten Leibwäsche. Ein schlauer Spaniel? Kein Wort über ihn in der Genesis. Auch schaut er die bösen Brüder gar nicht an, sondern die bunte Kleidung in ihren Händen. Und wenn er nicht den Betrug, sondern Josephs Schweiß gerochen hätte oder das Blut des Bocks? Oder wenn er der Schwarzweiße wäre, der den Betrug der Farbe ankläffte oder den der embodied meanings? Je stärker die Kunst, desto fragwürdiger die Erklärungen.

Wenn es aber ein noch größeres Rätsel gibt als ihre Erklärung, dann ist es die Kunst, die sich selbst erklärt. Gut 300 Jahre, nachdem Velázquez dieses Bild malte, stößt Emmett Williams in London, auf dem »Festival of Misfits« (1962), in eine Hundeflöte, aber nicht um einen schlauen Spaniel herbeizupfeifen, sondern um den Buchstaben »O« darzustellen. In seiner »Alphabet Symphony« schält er einen Apfel (A), schneuzt sich in ein Kleenex-Tuch (K), steckt seinen Kopf in Wasser (W) oder in einen paper sack (S). Der Künstler beschreibt das Verfahren seines Fluxuspiece so: »die buchstaben des alphabets werden durch sechsundzwanzig objekte oder aktivitäten ersetzt, so dass zum beispiel (und ich will durch die beispiele nichts beweisen) in london das wort love hätte buchstabiert werden können: eine zigarre rauchen plus eine stumme hundeflöte blasen plus wie ein junger hund ein stück schokolade vom boden auflecken plus eine nette melodie auf einer flöte blasen; in darmstadt hätte es buchstabiert werden können: durch ein loch die zuschauer ankucken plus einem mädchen eine zigarette anbieten plus ein hartgekochtes ei aus einer tragbaren vagina extrahieren plus eine binde über mein auge legen.« (»bemerkungen und haltungen«, in Becker/Vostell, Hg., »Happenings«, Reinbek 1965)

Die Symphonie erinnerte an einen Rebus, also an das Ratespiel, in dem aus Bildern, Ziffern und Buchstaben ein Wort oder ein Satz zusammengesetzt werden soll, hätte nicht ein Zeremonienmeister – in London war es Dick Higgins – die jeweils dargestellten Buchstaben aus einer Lostrommel gezogen und ausgerufen. Hier bleibt nichts zu erraten, es sei denn das Verhältnis zwischen Buchstabe und Objekt oder Aktion. Und wen es befremdet, dass ein Stück über die Liebe die Buchstaben L, i, e, b, e inszeniert, der sollte bedenken, dass auch ein Liebesgedicht nur aus Buchstaben besteht, und nicht aus so schönen.

Was ist aber der Inhalt des Piece Nr. 38, »simple REBUS« von Arthur (Addi) Køpcke (auch Köpcke, Koepcke, Keupcke, Cupkay)? Zu sehen ist ein wild gestikulierendes Kind, ein »A«, ein Gaskocher, ein Wagen. Ich gestehe, vergeblich darüber gegrübelt zu haben; aber Tomas Schmit gab mir die Lösung: »Mad-a-gas-car«. Ist also die Insel Madagaskar der Inhalt? Wir lagen vor Madagaskar? Das Madagaskar-Projekt? Oder etwa die, auch verglichen mit Køpckes anderen Arbeiten, schlampige Zeichnung? Oder besteht er, wie Susanne Rennert (»Arthur Køpcke. Grenzgänger«, München 1996) behauptet, darin, den »kreativen Umgang mit Sprache« zu stimulieren oder das »Rezeptionsverhalten« des Betrachters zu »aktivieren« und zu »sensibilisieren«? Rätsel über Rätsel.

Dass Køpcke seine Rätsel nicht für bloßen Schabernack hielt, scheint dagegen sicher. Seit 1963 hat er Rebusse, Silben- und Schachrätsel auf Tafeln oder, wie zu Demonstrationszwecken, auf Rollen (»Rollbilder«), auf Blätter und Zettel gemalt oder gezeichnet. Während des berühmten Happenings am 20. Juli 1964 an der TU Aachen wollte er in Korridor und Mensa der Universität Rebusbilder aufhängen. Die im Tumult untergegangene Veranstaltung wird heute meist mit Beuys verbunden, der sich in ihrem Verlauf eine blutige Nase holte, was aber wohl mehr auf sein unkonventionelles Äußeres als auf seine vergleichsweise harmlose Aktion – u.a. schmolz er Margarine ein – zurückzuführen ist (siehe die Darstellungen bei P.M. Pickshaus, »Kunstzerstörer«, Reinbek 1988, und Rennert). Køpcke hingegen fasste das (zunächst zufällige) Datum des Abends politisch auf, wie ein Brief an Nam June Paik vom 28. Juni des Jahres belegt: »am 20. juli sind wir in Aachen = 20. juli! Sie wissen: Attentatversuch auf Hitler = Ich werde eine Rede halten = das centrale: nachdem das Attentat missglückt ist = geht Dr. Goebbels ins Kontor des stadtkommandanten von Berlin = Generaloberst Beck + befiehlt: ›Ihre Pistole!!!‹ + der generaloberst gibt ihm die Pistole!!!! + fragt nachdem Goebbels ihm sagt: betrachten Sie sich als Gefangener!! so sagt da der Generaloberst: darf ich noch eine Bitte vorbringen?? = Goebbels: ›was denn??‹ Generaloberst: ›ich möchte um 2 Semmel bitten, denn ich habe seit heute morgen noch nix gegessen‹!!!«

Nachdem die Veranstaltung, nicht etwa auf Anregung der Künstler, sondern auf Druck der Universitätsleitung, als Gedenkveranstaltung zum 20. Juli deklariert worden war, war der Zusammenstoß mit den patriotischen Studenten, die mit Eiern und Tomaten bewaffnet erschienen, unausweichlich. Seine Rede hielt Køpcke dem entfesselt pfeifenden und buhenden Mob nicht mehr, aber er zeigte ihm nacheinander Pin-Ups und einen Plan der Schlacht an der Marne und schürte damit dessen Wut nur noch. Was ist das?

In »WAS IST DAS. piece no. 2«, seiner stärksten poetischen Arbeit, heißt es: »man wasistdas sollte rätsel aufgeben nochmehr man sollte wasistdas ein rebus sein oder froschmann oder ein wasistdas geheimnis habn« (Arthur Köpcke, »begreifen erleben. Gesammelte Schriften«, hg. v. B. Wien, Köln etc. 1994). Das verleiht dem Rätsel ein existenzielles Gewicht. Das Stück, 1958/59 entstanden, ist selbst aus Rätseln gewoben. »Sagt er«, »sagte er«, »sagte muttern« sind sein Leitmotiv, Zitate aus Literatur, Zeitungen sowie Gedichte und Notizen Køpckes sein Stoff. Nicht immer ist zu ermitteln, was was ist in »WAS IST DAS«. Als ob das nicht rätselhaft genug wäre, hat er in seiner Fluxuszeit, Anfang der Sechziger, jeweils nach jedem siebten Wort ein »wasistdas«-Fragzeichen eingeschaltet. Doch stellt er es dem Leser oder Vortragenden frei, es wieder aufzuheben. In einer tief beeindruckenden Lesung des Stücks, 1974 in New York, drei Jahre vor seinem Tod, spart er es in dieser Passage aus. Man sollte fraglos ein Rebus sein. (Die CD-Edition, 1996 bei Edition Møen / Edition Block, ist noch zu beziehen über »Gelbe Musik«, Berlin.) »alles leben ist immer in frage gestellt. (alles existiert unter einem fragezeichen) das müssen wir uns vor augen halten«, rekapituliert er in »samen ti sat (zusammengesetztes)« (Übers. v. Bäres/Rennert).

Einerseits wird Rebus und Rätsel also das größte Gewicht beigemessen, andererseits erscheinen ihre Auflösungen banal. »Die undatierte Collage Køpcke Piece No.38: ›Simple Rebus‹ Realization in Danish (…) zeigt einen Mann und eine Frau, die auf einem Kasten stehen. (…) Et par på kassen (Ein Paar auf dem Kasten) bedeutet im Dänischen ›ohrfeigen‹.« (Rennert) Buchstäblich genommene Sprichwörter sind häufig die Schlüssel dieser Bilder, aber in welches Schloss passen sie? Ein besonders schöner, wenn man will, der Meta-Rebus (»piece No. 33«), verschlüsselt das Wort »Schlüssel« in Englisch, Deutsch und Französisch, wobei die Anfangsbuchstaben »k« (aus »key«), »S« (»Schlüssel«), »c« (»clef«) jeweils von einem Schlüssel symbolisiert werden. Die Lösung erscheint, weil sie wie in Poes Erzählung vom »Purloined Letter« offen da liegt, umso rätselhafter.

Stellen wir uns vor, wir irrten mit einem Schlüssel umher, er passte aber entweder in alle Türen oder in keine einzige, und am Ende fänden wir, dass der Schlüssel selbst das ist, wonach wir suchen. Wäre da nicht der einfachste gerade der beste? An einer anderen Stelle von »WAS IST DAS« bemerkt Køpcke, dass »das leben im grunde wasistdas tieftraurig ist man sollte es aufschreibn auf wasistdas kleine zettelchen und anderen zum lesen geben.« Es muss einer lange gelebt und nachgedacht haben, um zu wissen, dass mehr Papier dazu nicht nötig ist.

*

»Conversation sur autre chose«, Villefranche 1965, mit Ben Vautier und George Brecht (aus »Jenseits von Ereignissen. Texte zu einer Heterospektive von George Brecht«, Bern 1978. Für den vorliegenden Aufsatz übertragen von Petra Bail).

Vautier: Hast du ein Ziel?

Brecht: Nein, ich habe kein Ziel.

Vautier: Denkst du, dass bestimmte Dinge wichtiger sind als andere?

Brecht: Nein … nein. Im Moment nicht.

(…)

Vautier: Originalität, ist das wichtig?

Brecht: Daran denke ich nie.

Vautier: Soll dich deine Beschäftigung glücklich machen?

Brecht: Nein … nein. (…)

Vautier: Du erklärst, dein Ziel liege weder in der Persönlichkeit noch darin, Neues zu machen. Aber du machst Neues, oder?

Brecht: Eigentlich nicht. Alles was ich mache, ist, die Dinge offen zu legen. Aber sie sind schon da.

Vautier: Glaubst du nicht, dass deine Art, die Dinge offen zu legen, Kunst ist?

Brecht: Daran denke ich nicht.

Vautier: Aber denkst du, dass andere vor dir diese Offenlegung betrieben haben?

Brecht: Nein; aber das änderte auch nichts.

Vautier: Es befriedigt dich doch, der Erste zu sein?

Brecht: Nein.

Vautier: Du willst sagen, kopierte dich morgen jemand, würde dich das nicht stören?

Brecht: Für mich wäre das ein leicht ironischer Scherz.

*

Für Tomas Schmit, wie Williams, Køpcke, Vautier, Brecht in den Sechzigern mit Fluxus assoziiert, ist das Rätsel möglicherweise die »trivialste form des mysteriums«, jedenfalls aber trivial. »Rätsel ist einfach auch eine Form des Spielens. Man kann Klartext reden, der ist aber auf die Dauer langweilig, also drückt man es ein bisschen hintenrum aus oder ironisch oder verschlüsselt. Das sind praktisch alles Verschlüsselungen.« (Gespräch mit S. R., 23.7.)

Ob seine Freunde in Fluxo ebenso darüber dachten, lasse sich heute nicht mehr mit Gewissheit sagen. Man traf sich in Wiesbaden, in Amsterdam, in New York, man führte Pieces auf, man amüsierte und man stritt sich, man trank, man spielte, aber niemand, mit Ausnahme von George Maciunas in seinen »quasi stalinistischen, auf Henry Flynt beruhenden Manifesten« (Schmit), die keiner ernst nahm, habe über Fragen und Antworten der Kunst gesprochen. Die Rätsel hätten vielleicht einen Ausweg aus jener hochnotpeinlichen »Bitte-bitte-Kunst« gewiesen, in der der Künstler das Publikum zum Mittun nötigt. Ein Rätsel kann einer lösen oder es lassen. Die meisten, allen voran die Kunsthistoriker, lassen es.

»Eigentlich sind Rätsel die trivialste Form des Zeitvertreibs. Je anspruchsloser eine Zeitung ist, desto voller ist sie mit Rätseln. Die ganz kaputten Leute sitzen in der U-Bahn oder in Zügen rum mit Rätselheftchen und studieren, ob Italien vielleicht eine Hauptstadt mit drei Buchstaben hat und son Quatsch.«

Immerhin, »qunst qommt von quatsch«, und Schmits eigene Rätsel sind alles andere als trivial; sie siedeln häufig in der Nähe des Paradoxons, das laut George Brecht und Patrick Hughes (»Die Scheinwelt des Paradoxons«, Braunschweig 1978) an seiner »Selbstbezogenheit, Widersprüchlichkeit und Zirkelhaftigkeit« zu erkennen ist. Eine seiner frühesten Arbeiten, das »schreibmaschinengedicht« von 1963, besteht wie ein Zahlenrätsel aus Nummern. Auf der Tastatur einer Schreibmaschine angebracht, ergeben sie, nacheinander getippt, den Satz: »wenn Ihre schreibmaschine anders ist als meine dürfte dies schwer zu lesen sein!«

Selbstbezüglich und zirkelhaft ist der Satz, aber nicht widersprüchlich. Wer eine arabische, kyrillische, japanische Tastatur verwendet, kann ihn nicht lesen. Wer ihn lesen kann, erkennt, dass er wahr und leer ist wie die Lösungen Køpckes, aber eben nicht trivial. Es ist, als ob sich Schmit, ein genauer Student der Werke Lewis Carrolls ebenso wie der Rätselrubrik des Scientific American (als sie, sagt er, noch etwas taugte), über einige der wichtigsten Probleme der mathematischen Grundlagentheorie und der Sprachphilosophie lustig machen wollte.

Sein Buch »das gute dünken« (Berlin 1970) brennt ein Feuerwerk an solchen Fast-Paradoxa, eigentlichen Lesarten uneigentlicher Wendungen und Späßen aller Art ab: »hinten steht in diesem satz vorn«, »bei mao sind die vokale das a und o, bei epikur sieht das schon anders aus«. Mit einer alten Singer-Nähmaschine hat der Künstler die Wörter »VERDAMMT UND« zugenäht.

Im Fluxuspiece »mehrere texte«, 1966, sollen die Buchstaben einer umfänglichen Anweisung neu zusammengesetzt werden, sie ergeben eine zweite, kürzere Anweisung, die sich wiederum in »machen Sie weiter!« auflöst. Ich gebe zu, dass ich, nachdem ich eine ganze Stunde dafür gebraucht habe, um zu diesem Ergebnis zu gelangen, gelacht und mir den Schweiß von der Stirn gewischt, aber nicht weitergemacht habe.

Auch der Rebus tritt bei ihm in mancherlei Mimikry auf. »der grüne durchschlupf vom ding zum hirn« (1974) zeigt, neben vielem andern, eine Wanduhr, davor ein »P«, danach ein »AG«, oder ein »SCH« aus Punkten, oder einen Ablaufplan von »b)« bis »e)«, umstellt von »A« und »F«. Eine Hölle für den Rebusrater, bis ihm auffällt, dass die Uhr und das SCH rot sind, also »P – rot – AG«, »pro Tag«, und »Schrot« ergeben, und der blaue Ablauf den Ablauf. Wie bei Køpcke liegen die Schlüssel offen, aber erst auf den zweiten Blick geben sie sich als solche zu erkennen. Besonders hübsch: FI – schwarze Gräten – ART, »Fisch war zart«. Die Beispiele aus der intelligiblen überwiegen mit der Zeit die aus der essbaren Natur. »ach gott was willst du denn JETZT noch ersch[Zeichnung eines Affen]n?!« fragen 1994 eine Giraffe und ein Baum, vermutlich ein Affenbrotbaum.

Der Nonsense ist die leichteste Weise, die schweren Dinge zu heben. Schmits umsichtige Untersuchungen zu Evolution und Struktur der Wahrnehmung (»erster entwurf (einer zentralen ästhetik)«, Berlin 1989) oder zur Funktion der Sprache (»der sprache vermutliche entsteh und wicklung«, in »das gute dünken«) gehen mit solchen Jongleursstücken spielend zusammen. Denn hier wie dort fällt ein Licht auf den Umstand, dass erstaunlich wenige Winkel und Widersprüche in der widersprüchlichen verwinkelten Welt erscheinen, und dass so viel Wahrheit sich breit macht bei so viel Schein. Nicht umsonst fasziniert ihn von allen Tieren das Chamäleon am meisten.

Es »sitzt auf grünem blatt und macht sich also grün. aber wie macht es das?« Nehmen wir an, es ist ein Künstler, dann hat es ein Betriebsgeheimnis. Aber wie kommt nun der, der erst etwas Grünes, Blätterhaftes erblickt, darauf, es, nach längerem Betrachten, ein Chamäleon zu nennen, das wie grüne Blätter aussieht? Könnte er nicht, gerecht zu sein, auch die Möglichkeit ins Auge fassen, die grünen Blätter sähen wie ein Chamäleon aus? (Übertragen gesprochen: Haben wir auf dem Gemälde des Velázquez Josephs Wäsche oder das Apportstück eines Jagdhundes vor uns?) Hierzu ein psychologisches Experiment: »ein brikett in sonnenlicht ist – physikalisch gesehen, sowas kann man messen – heller, weißer als ein stück weißen papiers in dämmerlicht!!! – und doch käme niemand auf den gedanken, das besonnte brikett irgendetwas anderes als schwarz und das bedämmerte papier irgendetwas anderes als weiß zu nennen!« Das Brikett sagt gewissermaßen: »ich sende zwar im moment für meine verhältnisse viel zu viel licht aus, jedoch, ich bin ein brikett, also bitte seht mich schwarz!« Es ist wie das Chamäleon ein »starker mitteiler«. (»katalog band II«, Berlin 1987)

In allen starken Mitteilungen steckt aber nicht nur Anmaßung, sondern auch falsche Eindeutigkeit. Wer sie fraglos hinnimmt, kommt weiter in Kunst, Kohlenkeller und freier Wildbahn. Schmitsche Rätsel und Rebusse übersetzen die falsche Eindeutigkeit in natürliche Zweideutigkeit zurück, mit Widerhaken in der Wirklichkeit, doch spielerisch, ohne die existenzielle Schwere, die Køpcke den seinen mitgab, als er die Dinge seines Lebens zu Rebussen und für reichlich banal erklärte.

Und so erinnern die Labyrinthe, die Schmit in der letzten Zeit zusammenbastelt, nicht an Verliese und Verlorenheit, sondern an Tanz: »Ursprünglich ist das Labyrinth genau das Gegenteil eines Irrgartens, ein Weg ohne Kreuzung oder Wahlmöglichkeit, der darmartig eine ganze Fläche ausfüllt, auch eine Tanzform, nämlich das, was wir eine Polonaise nennen, eine Kette von jungen Menschen, die Hand in Hand aneinander vorbeiziehen. Dagegen spricht allerdings die Sage mit Ariadne. Denn da geht es um etwas, aus dem man nicht leicht herauskommt. Und Minotaurus ist überhaupt zu doof, um rauszukommen. Man ersetzt das Böse, also den Irrgarten, durch etwas Euphorisierendes, also den Nicht-Irrgarten. Könnte das nicht sein?«

*

Ben Vautier: Hast du in Öl gemalt?

George Brecht: Manchmal. Ich habe das nie verkauft. Zwischen 1955 und 1957 habe ich Gemälde auf Laken gemacht. Ich schüttete Tinte aus, dann spannte ich sie auf. Es waren Untersuchungen zum Thema Zufall.

Vautier: Warum hast du uns zwei Daten genannt?

Brecht: Einzig um den Umstand festzulegen. Wie ich gesagt hätte: »Es ist zwölf Uhr mittags«. Die meisten meiner Werke sind zerstört, wenn niemand sie will.

Vautier: Ich halte dein Werk für wichtig. Ist das gerechtfertigt?

Brecht: Vielleicht ist es für dich wichtig und für mich, wenn ich es mache. Zum Beispiel habe ich an einem Tag zwanzig Ideen. Von denen vergesse ich neunzehn und verwirkliche die zwanzigste. Für mich ist es ein wichtiger Vorgang, neunzehn davon vergessen zu können und die zwanzigste zu behalten.

Vautier: Denkst du nicht, dass es wichtig ist, wichtig zu sein?

Brecht: Nein.

Vautier: Denkst du nicht, dass Ruhm etwas Wichtiges ist?

Brecht: Nein.

Vautier: Bist du niemals eifersüchtig?

Brecht: Nein.

Vautier: Bist du nicht ehrgeizig?

Brecht: Nein. Aber andererseits gibt es auch keinen Grund dafür, nicht wichtig sein zu wollen.

*

Køpcke, Schmit und George Brecht betreiben auf je eigene Weise das, was Adorno mit dem scheußlichen Begriff »Entkunstung der Kunst« belegt hat; wie es ja seit Kant traurige Tradition ist, hässlich über das Schöne zu schreiben. »(Die) jüngste Entkunstung der Kunst bedient sich versteckt des Spielmoments auf Kosten aller anderen. (…) Die Leidenschaft zum Antasten, dazu, kein Werk sein zu lassen, was es ist, ein jegliches herzurichten, seine Distanz zum Betrachter zu verkleinern, ist unmissverständliches Symptom jener Tendenz.« Es ließe sich vielleicht sagen, dass Køpcke die Kunst mit dem Leben, Schmit sie, und nicht versteckt, mit dem Spiel und Brecht sie mit dem Nichts vertauschen will. »I’m an artist, not an art lover«, sagt Emmett Williams. Doch liegt eine Dialektik, die Adorno ausnahmsweise übersehen hat, darin, dass kaum je ein guter Künstler die Kunst liebte und kaum je ein schlechter sie »entkunsten« wollte. Wer sich in ihren Grenzen wohl fühlt, trägt nichts zu ihr bei.

So ergibt sich der innerhalb von Adornos »Ästhetischer Theorie« nicht aufzulösende Widerspruch, dass die Arbeit genau derselben, die zu spielen begannen und die feierliche »Distanz zum Betrachter« überwanden, eben jenen »Rätselcharakter« aufweist, der für ihn Merkmal allerhöchster Kunst ist. Und alles, was er in dieser sieht, stellt sich ein: »Ungenügen am Klassizismus jeglicher Observanz«, »alberne« oder »clownshafte« Momente, »Rationalität«, ja »Logizität«, »Unlösbarkeit«, »Zwieschlächtigkeit«, »Abgebrochensein«, »Mimesis«. Nur gibt es Prozesse statt Werken, ohne die sich der Konservative die Kunst nicht denken kann, und weder Aura noch Distanz. Und auch die Autorschaft selbst ist zweifelhaft.

Køpckes und Schmits Rätsel erweisen sich zugleich als eine Parodie auf den »Rätselcharakter der Kunst« und als seine geradezu vorbildliche Erfüllung, denn zwar besitzen ihre Rätsel Lösungen, die aber selbst nur Fragen und Fallen sind. Wenn ein Rätsel aus einer Reihe distinkter Objekte (Bilder, Zeichen, Gegenstände) oder Bestimmungen, einer Aufgabe und impliziten oder expliziten Regeln besteht, die, richtig ausgeführt, eine Lösung ergeben, torpediert George Brecht das Schema, indem er jeweils einen dieser Bestandteile weglässt.

Die Schachtel »Games & puzzles« von 1970 enthält 25 Objekte, z.B. einen Golf- und einen Tischtennisball, eine Murmel, ein Yo-Yo, Dominosteine. Was damit zu tun ist, bleibt dem Rätsellöser überlassen. Hier fehlen also Regeln und Aufgaben, wenn auch der Titel suggeriert, dass gespielt und gerätselt werden soll. (Es fällt auf, dass die Anzahl der Objekte der der Buchstaben des englischen Alphabets ungefähr entspricht.)

Häufig stellt er Aufgaben, ohne Regeln anzugeben. Das »Bead puzzle« von 1965 liefert Perlen und die Anweisungen »Ordne die Perlen so an, dass sie gleich sind / Ordne die Perlen so an, dass sie unterschiedlich sind«. Sein Hauptwerk »Water Yam« (1962) ist eine Schachtel mit Anweisungskarten. Z.B. soll man, wenn das Telefon klingelt, es entweder klingeln lassen oder den Hörer abheben und wieder auflegen, oder den Anruf entgegennehmen. Das ist ein Spiel, in dem sich die meisten von uns bereits befinden. Andere sind schwieriger: »Schalte das Radio ein, schalte es beim ersten Ton wieder aus« oder »Streiche eine einzelne gerade Leiter weiß. Streiche die unterste Sprosse schwarz. Verteile die Spektralfarben auf die anderen.« Andere sind recht offen: »Tu 1. Tu 2«. Und wieder andere sperrangelweit offen, z.B. »Ein Ei«, ohne weitere Angaben. Es handelt sich also um Pseudorätsel oder Pseudospiele, weil zwar eine Aufgabe gestellt, aber nicht angegeben wird, wie sie zu bewältigen wäre. Das Rätsel bestünde darin, Regeln zu entwerfen, die der Aufgabe gerecht werden.

Gelegentlich muss das Rätselhafte selbst entdeckt werden wie in »Name kit« (1965), einer Schachtel mit Drucktypen und dem Befehl »Buchstabiere deinen Namen!« George Maciunas hat die Arbeit in den siebziger Jahren in einen Rebus verwandelt; alle seine Freunde erhielten ein Kästchen, in dem die Buchstaben ihrer Namen jeweils von Utensilien, Gewürzen oder Spielzeug symbolisiert werden. Seine Version stellt sicherlich keine Weiterentwicklung im Sinne Brechts dar, dem Offenheit über alles geht und der, wenn er einen bestimmten Namen gegen alle möglichen eintauschen könnte, nicht zögerte, aber erfasst doch das Rätselhafte an »Name kit« und ist überdies, wenn das zu sagen erlaubt ist, sehr hübsch.

Brechts »Two Ways to Arrange Six in Three Rows of Three« (1974), ein Objektkasten mit bemalten Erdnüssen, gibt nicht nur die paradoxe Anweisung, sechs Nüsse in drei Reihen à drei zu setzen, sondern auch zwei Lösungen, die es freilich erst einmal in die Konstellation der Nüsse hineinzusehen gilt:

Neuerdings (um nicht zu sagen, vor drei Wochen) hat Tomas Schmit in »ALL ways to arrange six in three rows of three ((29 years) after george brecht’s peanuts)« gezeigt, dass noch fünf weitere möglich sind.

Die Installationen Brechts benutzen häufig die Rätselstruktur, ohne echte Rätsel zu sein. Der Besucher ist eingeladen, etwas mit dem Kleiderständer, an dem bowler hats hängen, oder mit den auf einem gewöhnlichen Stuhl liegenden Dingen, Fahne, Reibe, Maßband usw., anzufangen. Wer es wirklich versuchte, den hinderte der Museumswärter daran. Andererseits ist völlig offen, was zu tun ist. Und dennoch sind diese Konstellationen im Grunde Rätsel, denn die klar bestimmten Objekte sollen nicht für sich stehen oder sich wie im Traum verbinden, sie sollen also nicht wirken, sondern nach einer unbekannten Regel behandelt oder kombiniert werden. Möglicherweise ergeben sie eine südeuropäische Hauptstadt mit drei Buchstaben.

In seinem Aufsatz »Chance-Imagery« (N.Y. 1966) hat er über die Möglichkeit nachgedacht, mit Hilfe des Zufalls, den er als »Fehlen einer bewussten Gestaltung« definiert, Bilder oder Stücke zu erzeugen. Seine Vorschläge setzen bewusste Planung ein, um bewusstlose Ergebnisse zu erzielen. Jeweils Zahl und Art der zu bestimmenden Elemente (Farbe oder Farbauftrag, Material, Noten usf.) angepasst, führt er neben den von altersher bekannten Methoden des Münzen- oder Würfelwerfens und Kartenlegens das Erzeugen von Zufallszahlen (mit dem »RAND table«) an oder den von ihm so genannten »Irrelevant Process«, der die Auswahl der Elemente unabhängig von den Elementen selbst macht; etwa Noten überall da zu setzen, wo das Notenpapier Unregelmäßigkeiten zeigt (eine Technik, die John Cage benutzt hat), oder gefärbte Murmeln über eine Oberfläche rollen lassen, um so deren nicht vorherzusehende Unebenheit auszunützen (Brecht, »7-57«).

Das Ziel, die »unendliche Erweiterung des menschlichen Geistes«, wird hier nur von der Erzeugerseite angeschaut. Rätsel sind hingegen Sache des Betrachters, sie verwirklichen sich im Ratenden. Die Rätsel- bietet aber wie die Zufallskunst bewusst geplante (und, im Gegensatz zu ihr, auch bewusst gestaltete) Artefakte, die dem gezielt angesprochenen Bewusstsein seine Grenzen und die Unendlichkeit der Möglichkeiten aufweisen. Nicht Verwirrung, sondern Entwirrung, nicht Gemüt, sondern Vernunft sind hier im Spiel, und doch zeitigt die unromantische, bis ins Letzte bestimmte Kunst offene Ergebnisse, Unbestimmbarkeit.

Damit verstärkt sie im nervösen Betrachter nur den Eindruck, zu dem er vor aller starken Kunst gelangen muss: den der Haltlosigkeit aller Interpretation. Kann er sich vor einem Velázquez des Eindrucks nicht erwehren, die Deutungen, die ihm ein Titel, allfällige Bemerkungen des Künstlers und erst recht die Historiker und bestallten Ästhetiker geben, griffen zu kurz oder gar ins Leere, kann er diesen Mangel noch auf ein Ich-weiß-nicht-was der Machart oder des Werks, das Arkanum des Künstlers, dessen diffuse Gefühlsmischung oder auf seine eigenen Idiosynkrasien und Assoziationen schieben. Genau dieser Ausweg ist ihm hier verschlossen.

Das Rätsel ist ein klar bestimmtes Verfahren, es besteht nicht etwa in den verwendeten Rebusbildern, den Karten, Formulierungen, Erdnüssen oder Murmeln, sondern im Lösen der Aufgabe gemäß festgelegter Regeln. Man müsse sich vom Wunsch leiten lassen, den Rebus zu lesen und zu lösen, denn nur so erkenne man, dass er zugleich den Sinn der Bilder und den der Wörter widerrufe, betont Marcel Broodthaers (»Marcel Broodthaers«, Katalog zur Retrospektive im Jeu de Paume, Paris 1991). Das gilt sogar für die gezeichneten Schlüssel in Køpckes Piece Nr. 33.

Doch liegt die Lösung vor, beginnt das wahre Rätsel erst. Kann das alles sein? Das kann nicht alles sein. Und das war’s? Nein, »machen Sie weiter!« Es geht dem Ratenden wie dem Kafka-Leser, dem der Germanist einreden will, das »Schloss« sei nur ein Sinnbild der k.u.k. Bürokratie, des Staates, Gottes, des Patriarchats, des Texts, was immer. Nur kann er bei einer »Water Yam«-Karte George Brechts sicher sein, nichts übersehen zu haben, denn alle Elemente sind aufgelistet, und er kann sich bei Køpcke sicher sein, den Schlüssel in der Hand zu halten, denn er hält ihn in der Hand, und er weiß bei Schmit, dass er den Lösungssatz gefunden hat, denn er steht schwarz auf weiß vor ihm. »Unendlichkeit des Geistes« ist ein großes Wort, aber wie wär’s, wenn der Rätsellöser einräumte, er komme nicht zu einem Ende, gerade weil er zu einem Schluss gekommen ist?

Und wenn in den Rätseln idealerweise Eindeutigkeit in Vieldeutigkeit umschlägt, mag er denken, dass auch die Interpretationen, die er für andere Ereignisse seines Lebens findet, nur unsichere, schwankende, fließende, flüchtige, hinfällige, zerfallende Dinge bezeichnen, res fluxae.

*

Vautier: Liebst du alles?

Brecht: Es ist unmöglich, alles zu lieben. Die Welt kann nicht alles sein. Diese Eigenschaft hört dann auf zu existieren, dasselbe würde ich von der Kunst sagen. Wenn alles Kunst ist, hört Kunst auf zu existieren.

Vautier: Hier gibt es ein Missverständnis über das Wort »alles«. Wenn ich sage, »alles ist Kunst«, klingt in »alles« schon »nichts« mit. Für mich enthält »alles« das Wort »nichts«, aber das Wort »nichts« enthält nicht das Wort »alles«.

Brecht: Ich würde sagen, dass beide gleich wahr sind.

Vautier: Ich habe kürzlich geschrieben, dass du in das Theater die Idee der Wirklichkeit eingeführt hast. Das heißt, anstatt vorzugeben, ein Glas Wasser zu trinken, führst du die echte Handlung aus. Was denkst du darüber?

Brecht: Meine Sichtweise wäre vielmehr, dass es keine Unterscheidung von Theater und Wirklichkeit geben sollte. Das heißt, dass das, was wir Theater nennen, all das ist, was geschieht; was ich sagen will: Wenn ich eine Bar verlasse, um ins Theater zu gehen, verlasse ich nicht das Leben, um ins Theater zu gehen. Das, was ich mache, ist nichts anderes. Also handelt es sich Tag und Nacht nur darum, unterschiedliche Dinge zu machen. Zum Beispiel gehen.

Vautier: Du machst keinen Unterschied zwischen Theater und alltäglichem Leben?

Brecht: Nein, es gibt da keinen Unterschied, es sei denn den, in der U-Bahn zu sein und nicht im Garten.

Vautier: Aber du gehst aus einem ganz bestimmten Grund ins Theater?

Brecht: Nein, ich gehe ohne Grund dorthin. Ich gehe ganz einfach. Ich bin dort.

Vautier: Ich wiederhole meine Frage: Ich habe geschrieben, dass du in das Theater, das heißt in die Theatertheorie, etwas Neues gebracht hast, die Idee des wirklichen Schocks, das heißt, an die Stelle des Als-Ob setzt du die wirkliche Tat.

Brecht: Vielleicht ist es möglich, das zu sagen, aber mein Beitrag, sollte es ihn für euch geben, ist, dass ich nicht glaube, dass es einen Unterschied zwischen Theater und jeder beliebigen anderen Geste, die ich mache, gibt, also ist vielleicht, was ich mache und beitrage, das, was ich in jedem Fall im Theater gemacht hätte. (…)

Vautier: Warum arbeitest du?

Brecht: Aus keinem Grund.

Vautier: Wenn du dich nicht als Künstler siehst, als was siehst du dich dann?

Brecht: Als nichts Bestimmtes … nichts Besonderes.