Gute Macht, Amerika!

Der Soziologe Michael Mann versucht sich als Wahlkampfhelfer der US-Demokraten. Von Martin Kröger

Wir schreiben das Jahr 2004. Soeben sind in den Vereinigten Staaten die Präsidentenwahlen abgehalten worden. George W. Bush wurde mit Schimpf und Schande vom amerikanischen Wahlvolk aus den Amt gejagt. Sein demokratischer Nachfolger übernimmt als Präsident die politische Verantwortung für die Schandtaten des »neuen Imperialismus« Bushs. Erste Maßnahme: Abzug aller militärischen Einheiten aus dem Irak und aus Afghanistan. Zweitens: Einstellung aller wirtschaftlichen und militärischen Unterstützung für Israel. Stattdessen umgarnen die USA die ehemaligen Feinde der von Bush konstruierten »Achse des Bösen« mit finanziellen und humanitären Reichtümern, denn dann hören sie endlich damit auf, Massenvernichtungswaffen zu entwickeln und terroristische Netzwerke zu unterstützen. Der Alptraum der letzten vier Jahre ist vorbei. Amerika, die unilateral handelnde Supermacht, ist in den Schoß der Weltgemeinschaft zurückgekehrt.

So ungefähr sieht die Vision des amerikanisch-britischen Soziologen Michael Mann aus. Der in Kalifornien lehrende Wissenschaftler hat mit seinem Werk »Die ohnmächtige Supermacht. Warum die USA die Welt nicht regieren können« das neueste Wahlkampfbuch der Demokratischen Partei vorgelegt. Und alles aus hehren Motiven. »Der Welt zuliebe«, so Mann, ist er aus dem wissenschaftlichen Elfenbeinturm hinabgestiegen, um die Bush-Administration zu geißeln, weil ihr »unerschütterlich selbstsicherer und hyperaktiver Militarismus« in der Zukunft die USA zu zerstören droht.

Der deutsche Titel »Die ohnmächtige Supermacht« täuscht. Im englischen Original heißt das Buch »The incoherent Empire«, was den Buchinhalt wesentlich exakter fasst als sein populistisches deutsches Pendant. Anhand von vier Kategorien der Macht (militärisch, ökonomisch, politisch und ideologisch) analysiert Mann die Defizite der derzeitigen amerikanischen Politik. Sein Fazit: Die USA sind zwar ein »militärischer Riese«, der in diesem Bereich weltweit konkurrenzlos ist, aber in den anderen Teilbereichen befinden sich die Vereinigten Staaten auf dem absteigenden Ast.

Ökonomisch klassifiziert er das Machtpotenzial der USA als »Trittbrettfahrer«, weil das Land von ausländischen Investitionen abhängig sei. Politisch belegt er die einzig verbliebene Supermacht mit dem medizinischen Bild des »Schizophrenen«, da die amerikanische Regierung zwischen multilateralem und unilateralem Handeln schwanke. Und auch ideologisch vermittele die einzig verbliebene Supermacht keine Stärke mehr. »Der amerikanische Traum«, schreibt Mann, ist zum »amerikanischen Phantom« verkommen, dessen ehemaliger Wertekanon von Freiheit, Frieden und Demokratie im Kanonendonner des »neuen Imperialismus« untergehe und dadurch in aller Welt unglaubwürdig gemacht würde.

Nach dieser theoretischen Einordnung verifiziert Mann seine Vorgaben anhand der Geschichte seit dem 11. September 2001. In diesem Teil seiner Untersuchung, der sich mit der Entwicklung der Kriege in Afghanistan und dem Irak befasst, bestätigt Mann seine Thesen. Die militärische Stärke ist sinnlos, wenn man sie nicht politisch absichern kann. Angesichts der anhaltenden Kämpfe und Guerillaaktionen in diesen beiden Ländern eine schwer zu bestreitende Tatsache.

Für alle, die Bedarf an einem Crashkurs in neuester Geschichte haben, ist dieser Abschnitt sicherlich der empfehlenswerteste. Bahnbrechende neue Informationen über die Abläufe und Zusammenhänge der jüngsten Vergangenheit hat Mann allerdings nicht aufzubieten. Ist ja schön und gut, wenn ein Demokrat Präsident würde, aber war denn die Ära Clinton wirklich so toll? Was geschah in Somalia und im Kosovo? Waren diese »humanitären Interventionen« tatsächlich Teile einer selig machenden Außenpolitik? Und war es nicht gerade die Clinton-Ära, in der weltweit die höchste Anzahl von Konflikten und neu aufbrechenden Bürgerkriegen zu verzeichnen war?

Nur am Rande werden die wirtschaftlichen Prozesse und Dynamiken der Globalisierung und die Entwicklungen des Kapitalismus thematisiert. Mit ein wenig mehr und gleichmäßiger verteilter Entwicklungshilfe, wie Mann sie vorschlägt, ist es sicherlich nicht getan. Mann bleibt also seinen eigenen Machtkategorien verhaftet und tut so, als ob eine »gute Ordnungsmacht« möglich wäre. Mit (Basis-) Demokratie hat das wenig zu tun, auch wenn demnächst Wahlen sind.

Michael Mann: Die ohnmächtige Supermacht. Warum die USA die Welt nicht regieren können. Campus Verlag, Frankfurt a. M./New York 2003, 357 S., 24,90 Euro