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Kein Pohrt. Nirgends. Vor geraumer Zeit, am 30. September dieses Jahres, trafen sich im Tempodrom viele, die gemeinhin zur Berliner Linken gezählt werden. Henryk M. Broder diskutierte mit Wolfgang Pohrt, und während man den einen aus dem Spiegel und der letzten Talkshow kennt, hatte man von dem anderen jahrelang nichts mehr gehört.

Und Pohrt, einst Pionier der Antideutschen, verkündete zur großen Enttäuschung des Publikums, dass es in Stuttgart Spielplätze gebe, »wo türkische Kinder von anderen Eintrittsgeld verlangen«, ja dass es bei türkischen Jugendlichen »einen ausgeprägten Deutschenhass« gebe. Als er sich rhetorisch fragte, ob das »überhaupt noch der alte Antisemitismus« sei, »wenn hier Jugendliche die Scheiben einer Synagoge einschmeißen«, antwortete Broder: »Es ist vermutlich die gleiche Synagoge, das reicht mir schon.«

Uns auch. Wir wollten das Streitgespräch dennoch dokumentieren. Das Einverständnis der Veranstalter war eingeholt, auch beide Diskutanten stimmten der Veröffentlichung zu. »Ich untersage es Ihnen«, teilte Pohrt dann überraschend mit und gab unter anderem als Begründung: »Es hat seinen guten Grund, dass nicht alles, was gesagt wird, auch aufgeschrieben wird, außer im Gerichtssaal.«

Einer nach dem anderen blamieren sich die Gurus, die die Debatten der neunziger Jahre dominierten, durch einen intellektuellen Offenbarungseid wie Pohrt, oder auch durch die Verbreitung von Hirtenbriefen wie die Krisis-Gruppe (»Scharfe Schafe. Geschorenes zum antideutschen Bellizismus«).

Damit öffnet sich das Feld für, nein, hoffentlich nicht für neue Gurus, sondern für die Debatte darüber, wie der Kapitalismus vielleicht doch noch überwunden werden kann. In dieser Woche wollen wir deshalb beginnen, über Arbeit, Kapital und Widerstand in Deutschland zu diskutieren (siehe Seite 19). Ohne Gurus, aber mit Theoretikern und Praktikern der sozialen Revolte.