Notruf unterbrochen

An Frauenhäusern, Beratungs- und Notrufstellen will Nordrhein-Westfalen kräftig sparen. Vielen autonomen Fraueninitiativen droht die Schließung. von ulrike gerstenberg und jörg kronauer

Niemand soll der rot-grünen Landesregierung Nordrhein-Westfalens vorwerfen können, sie kümmere sich nicht um die Frauen. »Depressionen sind ernst zu nehmende Erkrankungen«, informiert sie an exponierter Stelle auf ihrer Website. »Angst und Hoffnungslosigkeit können Anzeichen für eine Depression sein«, heißt es weiter. »Frauen sind häufiger als Männer betroffen.« Nähere Informationen bietet das Gesundheitsministerium an.

Um die Einrichtungen, die praktische Hilfe für Frauen anbieten – nicht nur bei Depressionen – ist es dagegen in NRW schlecht bestellt. Gerade viele Initiativen gegen Männergewalt stehen vor dem Aus.

Für die autonomen Frauenprojekte in Nordrhein-Westfalen bedeutet der jüngste Haushaltsentwurf der rot-grünen Landesregierung eine Katastrophe. Von »Umstrukturierungen« spricht das zuständige Ministerium, tatsächlich handelt es sich um drastische Kürzungen und zahlreiche komplette Streichungen. Zwar stehen manche Details noch nicht fest, die ersten Fakten liegen jedoch auf dem Tisch: Die nordrhein-westfälischen Frauenhäuser müssen ab Januar auf fast ein Drittel ihrer Landeszuschüsse verzichten, die Frauenberatungsstellen verlieren 25 Prozent ihrer Personalmittel. Gestrichen werden die Gelder für Frauennotrufe, Mädchenhäuser und Beratungsstellen für Prostituierte. Weitere Kürzungen, auch im Haushalt 2005, werden diskutiert.

Die Folgen der Kürzungen werden verheerend sein, denn die Männergewalt gegen Frauen und Mädchen ist unverändert hoch. Mehr als 13 600 Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung verzeichnet die offizielle Statistik für das Jahr 2001 in Nordrhein-Westfalen, die Zahl der nicht angezeigten Übergriffe liegt um ein Vielfaches höher. Allein in Köln werden den Behörden jährlich rund 300 Vergewaltigungen gemeldet, auch Polizeiexpertinnen rechnen mit einer Dunkelziffer, die zehn bis 20 Mal so hoch ist wie die Zahl der statistisch erfassten Fälle. Eine Studie der Uno kommt zu dem Ergebnis, dass jede dritte Frau in Deutschland Gewalt erfahren hat.

Zuflucht vor Männergewalt finden Frauen vor allem in Frauenhäusern. Mehr als 6 000 Frauen flüchten jährlich vor ihren gewalttätigen Partnern in eines der 63 nordrhein-westfälischen Frauenhäuser, die meist voll belegt, gelegentlich sogar überfüllt sind. Paarbeziehungen »haben sich als zentraler Ort der Gewalterfahrungen von Frauen entpuppt«, erklärt dazu die Sozialwissenschaftlerin Margrit Brückner, die seit mehr als 20 Jahren Gewalt gegen Frauen und Mädchen untersucht. »Frauen sind – statistisch gesehen – zu Hause bedrohter als auf der Straße«, sagt Brückner und weist darauf hin, dass Frauen, die aus einer Gewaltbeziehung ausbrechen, gewöhnlich ihr Leben völlig neu ordnen müssen. »Frauenhäuser bieten den Frauen Betreuung und Beratung an, ebnen den schwierigen Weg zu einem Neuanfang.«

Auch Beratungsstellen für Frauen können in solchen Situationen helfen. Am 1. Januar 2002 ist das neue Gewaltschutzgesetz in Kraft getreten; es sieht vor, dass gewalttätige Ehemänner unmittelbar nach der Tat aus der gemeinsamen Wohnung verwiesen werden. Mehr als 14 000 Mal wurde die nordrhein-westfälische Polizei im vergangenen Jahr wegen häuslicher Gewalt zur Hilfe gerufen, 4 900 prügelnde Ehemänner bekamen Hausverbot. Mehr als 4 000 Frauen, deren eheliche Peiniger der Wohnung verwiesen worden waren, suchten im vorigen Jahr bei Frauenberatungsstellen in Nordrhein-Westfalen Rat. »Es ist wichtig, Opfern häuslicher Gewalt in der Phase der Trennung und Neuorientierung wirksame Unterstützung anzubieten«, erkennt auch die nordrhein-westfälische Frauenministerin Birgit Fischer an. Die Behörden sind verpflichtet, den Opfern Beratungsmöglichkeiten zu nennen.

Entsprechend »wenig Verständnis« bringt Renate Blitt-Enge von der Frauenberatungsstelle Dortmund für die Düsseldorfer Kürzungs- und Streichungsorgie auf. Den sowieso schon überlasteten und unter Personalnot leidenden Beratungsstellen solle jeweils eine halbe Stelle genommen werden, berichtet sie. Dabei geht es ausgerechnet um die Stellen, die der Bewältigung sexualisierter Gewalt gewidmet sind. Das bedeutet einen in Schlag ins Gesicht für alle, die der Gewalt gegen Frauen den Kampf angesagt haben und sich für egalitäre Geschlechterverhältnisse stark machen. Ohne weitere unbezahlte Mehrarbeit, das ewige »Ehrenamt« der Frau, drohen die Beratungsstellen zusammenzubrechen.

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Peer Steinbrück lässt keinen Zweifel an seinem Einsparwillen, der Fraueninitiativen mehr als andere Bereiche trifft. Die Zuschüsse für Institutionen der »Vertriebenen« werden nur halb so stark gekürzt wie die Zuschüsse für Frauenhäuser.

Auch bei den Kommunen, die für viele Fraueninitiativen das zweite finanzielle Standbein sind, macht sich Mangel breit. Schon jetzt haben mehrere Städte verschiedenen Projekten die Unterstützung entzogen, weitere kommunale Streichungen sind im Gespräch.

Das »größte Konsolidierungsprogramm in der Geschichte des Landes«, wie ein Sprecher der Landesregierung die Kürzungspläne bezeichnete, dreht das Rad der Geschichte schnell und zielsicher zurück. Hart waren die Kämpfe der Neuen Frauenbewegung, in denen in den siebziger Jahren den Behörden die ersten Frauenhäuser abgetrotzt wurden; viel Kraft und Energie kostete das Bemühen, sexualisierte Gewalt zum politischen Thema zu machen und Perspektiven für die Opfer zu öffnen. 1976 entstand in Köln das erste Frauenhaus Nordrhein-Westfalens, 1978 in Duisburg das erste im Ruhrgebiet; beide werden nun gestutzt.

Auch die Frauennotrufe entstanden aus den Kämpfen der siebziger Jahre. Bis heute bieten sie Frauen und Mädchen, die Opfer sexualisierter Gewalt wurden, eine erste Anlaufstelle, bis heute wenden sie sich öffentlich gegen Männergewalt. »Sie sind ausgewiesene Expertinnen auf dem Gebiet der Bekämpfung sexualisierter Gewalt«, lobte die nordrhein-westfälische Frauenministerin im Sommer die Teilnehmerinnen des 20. Bundesweiten Notruftreffens in Köln: »Ihnen ist es gelungen, dieses Thema aus der Tabuzone herauszuholen und seit mehr als 20 Jahren in der öffentlichen Diskussion zu halten.« Ab Januar zahlt Nordrhein-Westfalen keinen Cent mehr an Frauennotrufe.

»Drastische Einschränkungen bis hin zum Wegfall des gesamten Beratungsangebotes« befürchtet nun die Landesarbeitsgemeinschaft autonomer Frauennotrufe. Es sind auch Frauenhäuser und -beratungsstellen bedroht, zumindest diejenigen, die nicht von einer der großen Kirchen betrieben werden und daher über eine gewisse finanzielle Absicherung verfügen. Kirchliche Fraueneinrichtungen verfügen ohnehin über eine solidere Stellung als autonome Projekte, Konkurrenz zwischen beiden um die knappen Mittel ist in Zukunft nicht auszuschließen. Falls es die autonomen Fraueninitiativen dann noch gibt.