Sleeper Cell

Hauptquartier, Meldung 3451

Dieser Tag beginnt mit Jets Richtung Ostküste und Europa, die weiße Kondensstreifen an den Himmel streichen. Hannah erzählt von der totalen Komplizenschaft. Wie unser System darin versinkt und dass die Zeichen darin keinen Sinn mehr haben. Jetzt lächelt sie sich wach. Es ist Morgen in Wonder Valley.

Hannah redet wie jemand, dem alle Worte zu wörtlich und die Bilder im Kopf zu schön sind. Wie eine Frau, die Ironie und Wüste zur Abhilfe braucht, um Distanz zu schaffen. Wir legen uns auf die Matratze. »Empty White Heart« steht auf Hannahs T-Shirt, das sie jetzt auszieht. Gegen das Nachdenken hilft guter Sex, obwohl unsere Auftraggeber davon abgeraten haben.

Am Horizont ertönt jetzt ein Plopen. Das Plopen wird ein tiefes böses Hämmern. Black Hawk-Hubschrauber kommen näher, immer näher und tauchen unter in totaler Stille. Jedes Geräusch im Raum erzeugt jetzt ein Bild. Eine Fliegentür schlägt zu. Chanel-Fläschchen zerschlagen. Der Atem wird schneller. Soft, dann härter. Endet in lustigen Spielen und Gehirnfilmen, untermalt von alten Sounds: The Smith. So vergehen zwei Stunden.

Wir haben zwei Tage und zwei Nächte nicht geschlafen. Vielleicht, um etwas Bestimmtem aufzulauern, uns dem zu stellen, jenseits der Erschöpfungsgrenze, uns nicht in den Schlaf zu flüchten, etwas herauszufordern, die Vergangenheit, die im Denken und in Träumen auftaucht. Destruktionsdruck wird wieder stärker. Alte Theorien kehren zurück. Beobachtung hilft, Fakten beruhigen das Gewissen. Heute werden wir in den Bullion Mountains eine neue Sprengautomatik testen.

Ein neuer Tag beginnt. Wie immer: Hannah lacht sich wach, ich beobachte den Horizont. Zwei Sandbuggy-Fahrer nähern sich. 07:15 AM. Es sind Marines auf Patrouille, fünf Meilen Entfernung. Sonst keine verdächtigen Bewegungen. Kein Wind. Bloß nicht die Nerven verlieren. Ich mache Bilder von den Sandbuggyfahrern. Sie beobachten unser Haus. Dann fahren sie weiter.

Alles ist Geheimnis und Herausforderung. Nachdenken ist gut, aber nie besser als Sex oder die Verführung durch eine leere Landschaft. Ich kenne das Geheimnis dieser Landschaft oder des rasenden Atems, aber ich sage nichts. Und Hannah wiederum weiß, dass ich es weiß, lüftet jedoch nicht den Schleier: die Intensität, die zwischen mir und Hannah, zwischen uns und den Auftraggebern in Deutschland, den US-Marines oder dem Sternenhimmel herrscht, ist ja nichts anderes als dieses Geheimnis um das Geheimnis. Es ist eine Komplizenschaft, die nichts gemein hat mit einer verborgen gehaltenen Information. Bloß wer zu viel erzählt in Sprache, ist bereits verloren. Das Rätselhafte im heutigen Magazin-Journalismus existiert nicht mehr. Authentizität schafft keine Freiheit. Alles, was aufgedeckt werden kann, geht am Geheimnis vorbei. Sonnenklar: Das Verborgene, das Verdrängte und die Langweiler sind dazu bestimmt, sich zu manifestieren, das Geheimnis hingegen nicht. Darum sind wir hier und beobachten das Nichts. Es ist eine implosive Form: die Verführung in das Innere des Hollywood-Stars zum Beispiel, die Wüste, Signale aus fernen Galaxien.

Hannah schüttelt jetzt ihr Haar und zündet sich eine neue Zigarette an. Der Rauch treibt langsam durchs Zimmer, dann zum Deckenventilator. Sie beugt sich aus dem Kissen vor und schlingt die Arme um ihre Beine. Sie fängt an, langsam hin und her zu schaukeln. Als würde sie Musik hören. Aber da ist keine Musik. Jedenfalls kann ich keine hören. Sie berührt mich jetzt am Arm, um mir zu zeigen, dass alles in Ordnung ist. Das ist alles.

»Sleeper Cell« erscheint als anonymer Kolumnenroman