»Sinn Féin muss sich entschuldigen«

David Ford

Am 26. November finden in Nordirland endlich die immer wieder verschobenen Wahlen für eine britisch-irische Übergangsregierung statt. Die gemeinsame Assembly-Regierung war seit Oktober letzten Jahres ausgesetzt worden. David Ford ist Vorsitzender der Alliance Party, einer Partei, die sich weder als republikanisch noch als unionistisch versteht. Vor zwei Jahren sorgte sie für Furore, als sie sich für eine kurze Zeit als unionistisch bezeichnete, weil David Trimble für die Wiederwahl zum Vorsitzenden der Allparteienregierung zu wenige Stimmen aus seiner eigenen Partei erhielt.

Petra Tabeling sprach mit David Ford über die Zukunft Nordirlands.

In Nordirland gibt es auf der einen Seite die extreme DUP des Ian Paisley. Und auf der anderen Seite Sinn Féin mit Gerry Adams. Wo stehen Sie eigentlich?

Wir wollen einen Dialog zwischen diesen Parteien herstellen, aber gleichzeitig eine Alternative zu ihnen bieten. Wir versuchen, von der Einstellung wegzukommen, wonach es nur um Unionismus oder Nationalismus gehe. Stattdessen wollen wir eine Agenda aufbauen, die alle Leute zusammenbringt, gleich welcher Konfession. Und das wollen wir vor allem durch eine integrierte Politik erreichen, die sich auf solche Aspekte konzentriert, die alle angehen.

Sie sehen: Wir sind die Opposition zum Extremismus. Wir wollen uns zum Beispiel vermehrt für kommunale Belange engagieren, zum Beispiel für mehr integrierte Schulen, in denen sowohl protestantische als auch katholische Schüler gemeinsam lernen.

Vor fast genau zwei Jahren haben Sie eine Aufsehen erregende Aktion gestartet, um die Wiederwahl David Trimbles zu retten und die Übergangsregierung vor dem Zerfall zu bewahren. Warum?

Ja, wir hatten ein Problem mit dem Wahlsystem. Es gab nicht genug Stimmen für David Trimble und Mark Durkan, den Führer der SDLP (Social Democratic Labour Partei). Ich und meine Kollegen haben uns für die Dauer von 22 Minuten entschieden, unionistisch zu werden, damit Trimble die erforderliche Mehrheit aus den eigenen Reihen bekam.

Würden Sie so etwas noch einmal machen, wenn es darum ginge, eine gemeinsame nordirische Regierung stabil zu halten?

Das Wahlsystem in der Assembly-Regierung ist falsch und kann nicht funktionieren. Wir möchten so etwas nicht mehr unterstützen. Deshalb würden wir es nicht noch einmal machen. Wir wollen ein faires System, das die Wähler nicht in bestimmte Schubladen steckt, versehen mit unionistischen oder republikanischen Schildern.

Nach aktuellen Wahlumfragen sieht es so aus, als ob Sinn Féin mehr Sitze gewinnen wird als je zuvor. Wie schneidet denn Ihre Partei am 26. November ab?

Wir glauben, dass Sinn Féin mehr Stimmen bekommen wird als die SDLP. Es gibt einen gewissen Druck bei diesen Wahlen. David Trimble von den Ulster Unionists wird von seiner extremen Schwesterpartei, der DUP des Ian Paisley, unter Druck gesetzt. Und die gemäßigte katholische SDLP bekommt Druck von Sinn Féin. Aber ich denke, dass unsere Partei mit diesen Auseinandersetzungen nichts zu tun haben wird. Eine wachsende Anzahl von Bürgern wird die Mitte wählen – und somit uns.

Sinn Féin steht unter Druck, seit Jahren verhandeln die irische und die britische Regierung unter General Chastelain über die Entwaffnungsfrage der IRA. Radikale wie Ian Paisley vertrauen Sinn Féin nicht, solange sie der politische Flügel der IRA ist. Wie sehen Sie das?

Das wirkliche Problem dabei war und ist immer noch, dass sich darüber nur die britische und die irische Regierung unterhalten. Der Rest der Parteien wurde nicht einbezogen – nur die Ulster Unionists und Sinn Féin. Bei dem so genannten Karfreitagsabkommen von 1998, das die Rückgabe der nordirischen Selbstverwaltung vorsieht, saßen wir mit zehn Parteien an einem Tisch und waren beteiligt. Als die englische Regierung aber diese zwei Problemparteien herausnahm, nahm man uns und dem Rest der Parteien die Chance, nach einer gemeinsamen Lösung zu suchen. Sie müssen die Regierung fragen, warum sie das gemacht hat.

Vor kurzem wurde die Leiche einer Mutter von zehn Kindern entdeckt, die 1971 von der IRA ermordet wurde, weil sie einem verwundeten englischen Soldaten half. Sie nahmen demonstrativ an der Trauerfeier teil, Sinn Féin jedoch nicht, weil sie wegen der Wahlen ein Komplott vermutet. Hat das Auswirkungen?

Ich war bei diesem Begräbnis dabei aus demselben Grunde, aus dem ich schon bei so vielen anderen dabei war. Ich wollte Sympathie und Solidarität mit den Familienangehörigen zeigen. Jean McConville wurde völlig unschuldig umgebracht. Ich glaube, dass die dringliche Frage für Sinn Féin im Raum steht, was mit den anderen Toten, die übrigens meistens katholisch waren, passiert. Davon gibt es mindestens elf. Sinn Féin muss die Wahrheit erzählen, sie schuldet den Familien zumindest eine Entschuldigung. Es ist schrecklich, zu einer Beerdigung einer Frau zu gehen, die schon seit 32 Jahren tot ist.

Es gibt viele offiziell ungelöste Mordfälle, deren Mörder im Grunde bekannt sind. Zum Beispiel der Fall Peter McBride, der während einer Routinekontrolle von englischen Soldaten erschossen wurde, die nun in einer Kaserne in Deutschland stationiert sind und nie wirklich angeklagt wurden. Oder der Journalist Martin O’Hagan, der von loyalistischen Paramilitärs ermordet wurde, weil er über Drogenaktivitäten der IRA aber auch der Gegenseite berichtete.

Wir haben eine klare Meinung dazu. Es ist ein Skandal, dass diese zwei Angehörigen der »Scots Guard« noch in der Armee dienen. Das darf man nicht tolerieren. Vor kurzem wurde ein britischer Armeeangehöriger gefeuert, nur weil er an einer Quizshow teilnahm. Und diese zwei Soldaten haben einen Mord begangen! Ohne Konsequenzen! Sie sind weiterhin in der Armee.

Drogenaktivitäten und paramilitärische Übergriffe sind nach wie vor ein großes Problem. Die Behörden tun immer noch zu wenig, wir fangen gerade erst mit den Maßnahmen an. Ich muss zugeben, dass ich mich geirrt habe. Vor fünf Jahren habe ich noch gedacht, dass wir jetzt viel weiter sein würden und uns über soziale und wirtschaftliche Probleme unterhalten könnten. Aber viele Probleme zwischen katholischen und protestantischen Gruppen wurden einfach noch nicht angegangen.

Welchen Ruf haben Sie bei den anderen Parteien?

Die traditionellen Parteien mögen uns nicht, obwohl sie sich selbst als ziemlich progressiv bezeichnen. Wir haben klar gesagt, dass erst einmal die Trennung zwischen Republikanern und Unionisten aufgehoben werden muss. Man kann keine liberale, offene Gesellschaft erreichen, wenn man sich immer nur auf eine Seite stellt.

Würden Sie sagen, dass das so genannte Karfreitagsabkommen gescheitert ist?

Nein, ich glaube nicht, dass es gescheitert ist. Wir brauchen aber immer noch Hilfe von Freunden von außen. Die EU hat uns sehr unterstützt, Bill Clinton hat einen sehr wertvollen Beitrag geliefert. Aber wir brauchen immer noch Freunde, die aber nicht als Feuerwehrmänner agieren, wenn’s wieder brennt. Wir müssen selbst die Initiative ergreifen und die Probleme lösen. Wenn wir in dieser Wahl ein paar Sitze zu unseren bestehenden sechs dazu gewinnen, dann können wir wirklich einen Unterschied zur bisherigen nordirischen Politik markieren.