Lebenszeichen aus dem Hörsaal

Ob in München, Frankfurt oder Berlin: Die Studierenden gehen gegen Kürzungspläne und Studiengebühren auf die Barrikaden. Ihre Forderungen sind aber nicht immer radikal

Falk Hertfelder, der Vorsitzende des Asta der Universität Frankfurt, fasst es so zusammen: »Wir protestieren gegen Bildungs- und Sozialabbau!« Die Kombination beider Forderungen sei notwendig, denn: »Der Sozialabbau trifft auch unsere Studierenden.«

Seit Anfang November wird an der Frankfurter Universität gestreikt. 5 000 Studierende beschlossen dies auf einer Vollversammlung. Streik heißt jedoch nicht, dass die Uni für den regulären Betrieb gesperrt wäre. Nur wenige Vorlesungen werden blockiert. Stattdessen finden Alternativveranstaltungen und Workshops statt. Die Besetzung des »Turms«, des Sitzes der Gesellschafts- und Erziehungswissenschaften, scheiterte. Der Präsident der Universität, Rudolf Steinberg, veranlasste die Räumung durch die Polizei.

Erfolgreicher war der Protest, als Ministerpräsident Roland Koch (CDU) die Stadt besuchte, um ein Museum einzuweihen. Etwa tausend Personen blockierten das Gebäude. Koch musste seine Limousine zurücklassen und in einem Polizeiwagen weggebracht werden. Und fast 50 000 Menschen aus den Gewerkschaften, den Universitäten und den sozialen Einrichtungen kamen am 18. November zu einer Demonstration nach Wiesbaden, um gegen die Sparpläne der hessischen Landesregierung zu protestieren.

Doch der inhaltliche Konsens ist prekär. Nicht alle Studierenden sprechen sich auch gegen den Sozialabbau oder die Lohnkürzungen aus. Die Autonome Antifa (f) kritisiert, dass Teile der Gewerkschaften und der studentischen Vertretungen immer wieder versuchten, »unter Beweis zu stellen, wie nützlich sie doch für Deutschland sind, und versichern, dass auch sie eigentlich nichts wirklich anderes wollen als Leistungssteigerung und Arbeit für alle«. Es sei nötig, »den Aufstand gegen die weitere Brutalisierung der Gesellschaft zu organisieren«, um »ein schönes Leben jenseits der Verwertungslogik« durchzusetzen. Die Gruppe Sinistra bemängelt darüber hinaus, dass die Protestbewegung den Rassismus und den Antisemitismus in der hessischen CDU nicht zum Thema macht.

Nach drei Wochen Protest an den hessischen Unis zeigt sich immer deutlicher eine Spaltung unter den Studierenden. Auf der einen Seite steht weiterhin eine große Zahl an StudentInnen, die den Protest mit der Forderung nach einem gebührenfreien Studium trägt. Auf der anderen Seite wartet die schweigende Mehrheit, die das neoliberale Glücksversprechen verinnerlicht hat und darauf setzt, auch mit Gebühren den Abschluss irgendwie zu schaffen.

paul wellsow, frankfurt/m.

Keine Elite ohne mich

Bayern, das Land der Lederhosen und der Laptops, versucht sich wieder mal an die Spitze des Trends zu setzen. Deutschland spart? Bayern spart besser!

Um zehn Prozent soll der Etat der Universitäten pauschal gekürzt werden. Allein die Universität München (LMU) soll im nächsten Jahr 25 Millionen Euro weniger zur Verfügung haben. Da ihre Professoren und Rektoren ihnen gesagt hatten, diesmal sei es nötig, gingen die Studierenden auch auf die Straße. Allein in München waren es am vergangenen Donnerstag etwa 20 000.

Es bewegt sich was in Bayern, und alle machen mit. Die Burschenschaftler, die um ihre rechten Nischen fürchten, die Bürgerrechtsbewegung Solidarität, die immer dabei ist, wenn sie glaubt, arme Seelen für ihre Mission gewinnen zu können, und kaum einen stört es. Hauptsache, es sind viele und es wird nicht über Inhalte diskutiert.

Nach links dagegen grenzen sich die meisten Fachschaften deutlich ab. Nicht dass die Gewerkschaften denken, sie könnten ihre Bewegung nutzen, um ihre Inhalte zu verbreiten. Der »notorisch gesellschaftskritische« Münchner Asta, wie ihn die Süddeutsche Zeitung nennt, wurde sicherheitshalber entmachtet.

»Gegen die Kürzungen bei der Elite von morgen und für den Standortfaktor Bildung«, so lässt sich die Botschaft der meisten Studierenden zusammenfassen. »Es war einmal ein Standortvorteil« oder »Bildung ist Deutschlands einziger Rohstoff«, verkünden die Plakate. Die Solidarität greift nur in der Universität, ganz nach dem Motto: »Wirtschaftsmathe gegen Kürzungen bei Japanologie«.

Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) wird auf dem Platz vor der Feldherrnhalle mit tosendem Applaus bejubelt, obwohl er sich nicht grundsätzlich gegen die Kürzungen stellt. Der Präsident der TU, Wolfgang A. Herrmann, Deutschlands heftigster Verfechter von Studiengebühren, wird frenetisch beklatscht.

Der Hauptgrund für die Beteiligung ist bei den meisten die Angst, abgehängt zu werden. Die Aussichten für die zukünftige Elite sind schlecht, Arbeitslosigkeit nach dem Studium ist kein Einzelschicksal mehr. Das Gefühl, das sich hier auf den Demos breit macht, ist alles, nur nicht revolutionär.

»Transrapid statt LMU?« war eine der fortschrittlichsten Losungen. Angesichts anderer peinlicher Forderungen hat sich nun immerhin ein kleines Bündnis von Linken, die über andere Themen nicht mal mehr miteinander streiten, zusammengefunden. Verzweiflung kann manchmal sehr einend sein.

nadine fischer und sarah mosche, münchen

Audimax KaDeWe

Das haut den stärksten Studi um: Eine Studentin der Geschichtswissenschaften schlägt vor, jeden Mittwochnachmittag von 14 bis 18 Uhr zu streiken und die entfallenen Lehrveranstaltungen später nachzuholen. Für diesen Diskussionsbeitrag erntet sie laute Buhrufe: »Geh’ doch nach Hause!«

In Berlin streiken inzwischen die Studierenden der Freien Universität (FU), der Technischen Universität (TU) und der Humboldt-Universität (HU). Gemeinsam zogen in der vorigen Woche etwa 6 000 Studierende zum Bahnhof Zoo und sorgten für Chaos auf den Straßen. Das Hauptgebäude der Humboldt-Universität, das Seminargebäude, die Landwirtschaftlich-Gärtnerische Fakultät und das Erwin-Schrödinger-Zentrum in Adlershof wurden besetzt.

Es fanden Protestaktionen vor dem Reichstagsgebäude statt, StudentInnen setzen sich zum Lernen in die Flure des Roten Rathauses. Es wurden Vorlesungen in S- und U-Bahnen, auf dem Alexanderplatz, im Sony-Center am Potsdamer Platz und im KaDeWe abgehalten. Einige Studis gingen zu Siemens betteln, andere trafen sich mit dem Berliner Wissenschaftssenator Thomas Flierl (PDS), um ihm die schlechte Finanzlage der Unis zu erläutern. Wie schon eine Woche zuvor fand auch am vergangenen Samstag eine Demonstration vom Pariser Platz zum Roten Rathaus statt, an der mehrere Tausend Studierende teilnahmen.

Doch Ansichten wie die der Geschichtsstudentin sind kein Einzelfall. In der Mensa diskutieren vor allem die jüngeren Semester über die Nachteile des Streiks. Wie soll man da Scheine erwerben? Weil sie mit den Zuständen an den Unis nicht zufrieden sind, sind einige Studis sogar bereit, Studiengebühren zu bezahlen. Dass ihr Geld nicht den Unis zugute kommen, sondern in die Berliner Haushaltskasse fließen soll, wissen die meisten gar nicht.

Der Sprecher des Asta der FU findet, dass sich die Protestformen ändern müssen. »Man muss den Unistreik als Interessenkonflikt begreifen«, sagt er. »Früher wurde Wissen relativ allgemein und nicht für Einzelkapitale produziert. Heute ist Wissen Produktionsmittel und soll nur einigen Wenigen zur Verfügung stehen.« Radikaler formuliert es die AG »Entwicklung eines emanzipatorischen Bildungsbegriffes«: »Nur durch das Erkennen des kapitalistischen Wesens als prozessierendes Unwesen, nur durch die rücksichtslose Kritik des Bestehenden, ohne jeglichen Gedanken an Konstruktivität zu verschwenden, nur in der Negation liegt die Utopie. Wer ›konstruktive Politik‹ betreiben will, macht sich schon der Affirmation und des Mitmachens schuldig.«

sonja fahrenhorst, berlin