Türken rein!

Reaktionen auf die Anschläge von anton landgraf

Manchmal bekommen militante Islamisten Unterstützung von einer Seite, von der sie sie wohl am wenigsten erwartet haben. »Die Beitrittsaussichten der Türkei haben sich mit den Bomben von Istanbul weiter verschlechtert«, legte der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Bosbach los, das »Terror-Problem« würde damit in die Gemeinschaft importiert.

Die Trümmer in Istanbul sind noch nicht beseitigt, da nutzt die Union die Anschläge umgehend für ihre Kampagne gegen einen EU-Beitritt der Türkei. So argumentierte der Vizepräsident des Europaparlaments, Ingo Friedrich (CSU), dass mit der angestrebten Integration ein »Kernland der islamischen Welt herausgebrochen und zwangsweise in den Westen« gezogen werden solle. Die Islamisten könnten deshalb ihren Terror noch verstärken.

»Ein schneller Beitritt liegt nicht in unserem Interesse«, fasst der bayerische Innenminister Günther Beckstein (CSU) im Focus die Lage aus Sicht der Union zusammen, um anschließend auf vermeintliche »Sicherheitslücken« in Deutschland hinzuweisen.

Alles klar: Je mehr Bomben in Istanbul explodieren, umso gefährlicher sind die Türken. Ganz nebenbei werden sie für die Anschläge selbst verantwortlich gemacht. Würden sie nicht so frech in Richtung Westen drängen, hätten sie auch keinen Ärger mit den Islamisten. Die Union versteht es bestens, die Angst vor terroristischen Anschlägen mit ihrem eigenen rassistischen Weltbild zu verbinden. Und sie nutzt die Gelegenheit, um endlich mal zu sagen, wo die Türken ihrer Ansicht nach hingehören: hinter den Bosporus.

Viel zu verlieren haben die Konservativen mit ihrer perfiden Kampagne nicht, denn schließlich würde »eher einem Moslem die Hand abfaulen«, wie kürzlich der CDU-Bundestagsabgeordnete Henry Nitzsche verkündete, »als dass er bei der Christlich-Demokratischen Union sein Kreuz auf den Wahlzettel macht«.

Dafür entschuldigte er sich zwar, aber nur, um klarzustellen, was er eigentlich damit meinte. Mittlerweile werde »offenbar, dass in unsere auf Pump finanzierten Sozialsysteme der letzte Ali aus der letzten Moschee Zuflucht nehmen kann«.

Konsequenzen braucht jemand wie Nitzsche in der Union nicht zu fürchten. Schließlich ist er in der richtigen Partei. Bereits vor Monaten kündigte die Union an, den EU-Beitritt der Türkei zum Wahlkampfthema zu erheben. Um ihre rechte Basis zu beruhigen, ist den christlichen Demokraten alles recht.

Dabei spielt die Kampagne gegen den Beitritt, wie sie die Union derzeit propagiert, den Attentätern in die Hände. Die Anschläge fanden nicht zufällig alle in Beyoglu statt, dem als westlich geltenden Stadtteil Istanbuls. Hier ist selbstverständlich, was Islamisten hassen: ein säkularer Lebensstil und eine jüdische Community, die relativ unbehelligt leben kann.

Zudem hat die Regierung gemäßigter Islamisten, um den Beitritt des Landes in die EU voranzutreiben, immerhin mehr demokratische Reformen eingeführt als jede ihrer Vorgängerinnen der letzten zwei Jahrzehnte.

Seit vergangener Woche ist deutlich, dass das Land für diese Entwicklung einen hohen Preis zu zahlen hat.

Die Antwort auf die Anschläge kann nur lauten, das Land auf diesem Weg zu unterstützen. Sie heißt also: Türken rein!