Die vierte Revolution

Die Nanotechnologie verspricht, die Basistechnologie des Jahrhunderts zu werden. Von Ferdinand Muggenthaler

»Nanotechnology – Revolutionary Opportunities & Social Implications« lautete der Titel eines gemeinsamen Workshops der EU-Kommission und der US-amerikanischen National Science Foundation. Er signalisiert: Hier geht es nicht nur um einen beliebigen technologischen Schritt, sondern um eine Technologie, die das Zeug dazu hat, die Gesellschaft grundlegend zu verändern. Ist nach der ersten industriellen Revolution, dem Fordismus mit Fließband und Massenkonsum und dem Rationalisierungsschub durch die Mikroelektronik die vierte technologische Umgestaltung des Kapitalismus angebrochen oder sein Ende?

Es ist zwar immer wieder von technologischen Revolutionen die Rede, aber selten so ausdauernd wie bei der Nanotechnologie. Mehr noch als in der Gentechnik scheint hier eine staatlich und privat stark geförderte Technologieentwicklung im Gange, die mit Hoffnung und Angst einflößenden Visionen aufgeladen ist. Erste Produkte sind auf dem Markt, aber der Bereich, der sich Nanotechnologie nennt, ist so breit und die Entwicklung ist noch so in den Anfängen, dass viel Platz für Spekulationen und Visionen bleibt. Entsprechend lose hängen diese Visionen mit dem Großteil der Entwicklungen in den Labors und Forschungsabteilungen zusammen.

Dass die Nanotechnologie Großes verspricht, darin sind sich fast alle einig, die sich mit ihr beschäftigen. Die konkreten Utopien, die mit den neuen technologischen Möglichkeiten verknüpft werden, sind aber denkbar unterschiedlich. Der Wissenschaftsjournalist Damien Broderick sieht mit Nanotech das Ende der Arbeit kommen, so genannte Transhumanisten glauben, das Mittel für ihre Vision von Unsterblichkeit durch Technik gefunden zu haben, und die Handelskammer Hamburg propagiert ein »Hanseatic Nano Valley«, das ihren Standort von einer »schlafenden Schönen« in eine »Metropole der Dynamik« verwandeln werde.

Sprechen sie alle von der gleichen Technologie? Nein. Aber all diese abenteuerlichen oder bornierten, kurzfristigen oder futuristischen Vorstellungen berufen sich auf eine gemeinsame Grundlage: auf die zunehmende wissenschaftlich-technische Kontrollierbarkeit von Atomen, Molekülen, auf die Herstellbarkeit von Strukturen in der Größe von wenigen Nanometern. Ein Nanometer, 0,000000001 Meter, das ist die Breite von drei Goldatomen, die halbe Breite eines DNA-Strangs. Ein menschliches Haar ist 100 000 Nanometer breit.

Ein Symbol für diese atomare Kontrolle ist der Schriftzug IBM, den Forscher im Jahr 1989 mit einzelnen Xenonatomen auf eine Nickeloberfläche schrieben. Die technische Entwicklung ist freilich längst über das Stadium solcher Spielereien hinaus. Einige auf den ersten Blick unspektakuläre Anwendungen kann man schon kaufen, z.B. die Antigraffiti-Beschichtung von Degussa, mit der jetzt doch die Stelen des Holocaustmahnmals in Berlin überzogen werden.

Von einer anderen Anwendung berichtet die aktuelle Ausgabe des Wissenschaftsmagazins Science. Die Redaktion recherchierte, dass die Anthraxsporen, mit denen zwei amerikanische Senatoren im Herbst des Jahres 2001 attackiert wurden, das Produkt eines Nanotechlabors sind. Die Methode, mit der dafür gesorgt wurde, dass die Sporen nicht verklumpen und klein genug bleiben, um in der Luft zu schweben, beherrschten nur eine Hand voll Labors, die sich auf die Herstellung von Nanopartikeln spezialisiert haben.

Zwar ist der Markt bisher auf einige Spezialanwendungen beschränkt. Doch die Angst geht um, den Anschluss an einen großen Zukunftsmarkt zu verpassen. Das momentane Marktvolumen wird auf 50 Milliarden US-Dollar geschätzt und das britische Handelsministerium rechnet damit, dass der Umsatz mit nanotechnologischen Produkten schon in zwei Jahren 100 Milliarden überschreiten wird. Entsprechend viele Forschungsgelder fließen in alles, was sich Nanotechnologie nennt. 2002 gaben die westeuropäischen Staaten etwa 400 Millionen Euro aus, die USA 600 Millionen und Japan über 700 Millionen. 2003 waren es in der EU schon 750 Millionen und in den USA 800 Millionen. Die privaten Investitionen steigen noch schneller und sollen inzwischen die staatlichen Ausgaben überflügelt haben.

Unterschiedlich ist die Strategie, mit der für diese Ausgaben geworben wird. Während in den USA mit Anwendungen, die direkt aus einem Science Fiction abgeschrieben zu sein scheinen, Reklame gemacht wird, gibt man sich in Deutschland nüchterner, ist aber ganz vorne mit dabei. Schon 1998 startete eine groß angelegte Forschungsinitiative, und hinter den USA liegt Deutschland auf dem zweiten Platz bei den Patentanmeldungen in diesem Bereich.

Nanotechnologie ist kein geschützter oder exakt definierter Begriff. Die am häufigsten verwendete Definition ist so breit, dass alles, was mit künstlich hergestellten Strukturen im Nanometerbereich zu tun hat, darunter fällt, von nanometerdünnen Antireflexschichten auf Brillengläsern bis zur Idee von winzigen Robotern, so genannten Nanobots, die einzelne Atome verschieben.

Entsprechend breit ist der Anwendungsbereich nanotechnischer Methoden, auch wenn es Nanobots, die im Wortsinn »alles Mögliche« Atom für Atom zusammensetzen können, auf absehbare Zeit nicht geben wird. Die zunehmende Kontrolle einzelner Atome und Moleküle macht nicht nur die Herstellung maßgeschneiderter Materialien möglich, sondern verspricht auch große Fortschritte in der Chemie, Biologie und Medizin. Die Gentechnik z.B. arbeitet ohnehin im Bereich von Nanometern, ist in gewisser Weise also eine Form der Nanotechnik, angewandt auf Genmaterial.

Entsprechend schwärmen Technikutopisten von »converging technologies on the nanoscale«, von der Vereinigung verschiedener Disziplinen beim Legospielen mit Atomen. Der Enthusiasmus, mit dem sie vom Bau künstlicher Welten, einschließlich des Baus besserer Menschen, sprechen, ruft nicht nur bei Anhängern traditioneller Schöpfungsgeschichten Alpträume hervor.

Ein Crashkurs in Nanotechnologie und einige Spekulationen über ihre Auswirkungen finden sich auf den nächsten drei Seiten.