Nanophysik und Nanoethik

Über aktuelle Produkte, greifbare Risiken und die Angst vor dem Staub. Von Ferdinand Muggenthaler

Teilt man ein Kilo Gold in zwei oder 1 000 Teile, behalten auch die Bruchstücke die für Gold typische Farbe und Härte. Erst wenn die einzelnen Teile kleiner als ca. 100 Nanometer sind, ändert sich das. Goldteilchen dieser Größenordnung sind, je nach genauer Abmessung, violett, orange, grün oder rot. Diesen Effekt nutzten Künstler schon im Mittelalter, ohne die Funktionsweise zu kennen, um Kirchenfenster zu färben.

Nanopartikel verändern im Vergleich zu ihren aus den gleichen Atomen aufgebauten Verwandten aus der Makrowelt nicht nur ihre Farbe, sondern auch ihre elektrischen, magnetischen und mechanischen Eigenschaften. Das Gleiche gilt für nanometerdünne Schichten oder Reliefs auf Oberflächen. Die meisten der heute schon eingesetzten Nanotechniken und in den nächsten Jahren wahrscheinlichen Anwendungen beruhen auf solchen Effekten. »Nanoeffekte« entstehen einerseits, weil in diesen Größenordnungen die Quantenmechanik eine zunehmende Rolle spielt, andererseits, weil die Eigenschaften dieser Partikel vor allem von den Atomen an ihrer Oberfläche bestimmt werden.

Ein Nanoeffekt, der 1988 entdeckte »gigantische Magnetwiderstand«, wird schon seit einigen Jahren in Festplatten ausgenutzt. Ein anderes Beispiel ist eine Krebstherapie, die gerade in der Berliner Charité getestet wird. Dabei werden magnetische Nanopartikel so präpariert, dass sie nur in das Krebsgewebe eingebaut werden, anschließend kann man von außen über ein Wechselmagnetfeld die Partikel erhitzen und so die Tumorzellen abtöten.

Neue Eigenschaften bergen neue Risiken. Nanopartikel sind reaktiver als die »großen« Formen des gleichen Stoffs. Deshalb kann es sein, das sich Materialien, die normalerweise harmlos sind, in der Nanovariante als giftig herausstellen. Von eingeatmeten ultrafeinen Partikeln, die z.B. schon jetzt in Autoabgasen vorhanden sind, ist das bekannt. Es besteht auch der Verdacht, dass sich Schadstoffe an die Nanopartikel binden und dann schnell ins Grundwasser transportiert werden.

Bisher gibt es sehr wenig Forschung über die gesundheitlichen Gefahren von Nanopartikeln oder die Mobilität der Partikel in der Umwelt und keine besonderen Sicherheitsbestimmungen im Umgang mit Nanopartikeln. Die etc group, die sich als erste international agierende Umweltorganisation des Themas angenommen hat, forderte deshalb Anfang des Jahres ein Moratorium für die Produktion von Nanopartikeln. Auch in den Laboren solle die Forschung gestoppt werden, zumindest für einige Monate, bis Sicherheitsbestimmungen im Umgang mit potenziell gesundheitsgefährdenden Nanomaterialien eingeführt worden seien.

Wie notwendig der Hinweis auf solche Gefahren ist, zeigt die Reaktion des wissenschaftlichen Direktors eines deutschen Nanotechnologie-Start-Up. Auf die möglichen Gefahren angesprochen, gab er zu, bisher keine besonderen Sicherheitsmaßnahmen ergriffen zu haben. Inzwischen bereite ihm die mögliche Toxizität der Partikel aber auch Sorgen, deshalb habe er seine Mitarbeiter angewiesen, »vorsichtig« zu sein.

Die Folgenforschung, in der ja keine kommerziell verwertbaren Produkte locken, hinkt hinterher. In den USA z.B. ist zwar ein Etat für Forschung nach möglichen gesundheitlichen und ökologischen Gefahren von Nanotechniken vorhanden, aber es fehlt an Projekten, die das Geld abrufen. Wenn sich das nicht ändert, ist ein neuer Asbestskandal mit dem nächstbesten Nanomaterial nicht unwahrscheinlich.

Andererseits sind mögliche gesundheitliche Schäden durch Nanopartikel die einzigen Gefahren, die in naher Zukunft durch Nanotechnologie befürchtet werden. Greenpeace, inzwischen auch mit einer Studie in der Diskussion vertreten, hütet sich denn auch, die Technologie als Ganze zu verdammen. Für neue Nanomaterialien wie für gewöhnliche Chemikalien solle künftig das Prinzip gelten »no data, no market«. Ohne Informationen zu gesundheitlichen und ökologischen Risiken soll es keine Zulassung geben.

Was künftig denkbare Anwendungen angeht, weist Greenpeace ausdrücklich auch auf die möglichen positiven Auswirkungen bei der Entwicklung effizienterer Solarzellen, besserer Wasserstoffspeicher für umweltfreundliche Brennstoffzellen oder empfindlichere Sensoren für Schadstoffe hin. An Risiken zählt Greenpeace, wie auch die etc group, vor allem solche auf, die einem aus anderen Zusammenhängen bekannt vorkommen. Dazu gehören die verbesserten Überwachungsmöglichkeiten durch die weiter miniaturisierte Elektronik und die vermehrte Erhebung von Gesundheits- und Gendaten durch Nanosensoren.

Gewarnt wird auch vor einem nanotechnologischen Rüstungswettlauf. Für diese These spricht, dass in den USA fast 30 Prozent der staatlichen Förderung aus dem Militärhaushalt kommen. Relativiert wird die Zahl nur dadurch, dass in den USA vom Pentagon traditionell auch die Grundlagenforschung bezahlt wird, die in Deutschland aus zivilen Töpfen gefördert wird.

Auch die Debatte um die Macht von Patenten lässt sich in der Nanotechnologie wiederholen. Werden sich etwa die Nanotubes zu einem universell einsetzbaren Baustein entwickeln, wie es einige erwarten, dann könnte der Besitz von Patenten auf derart grundlegende Strukturen zu einem überragenden Konkurrenzvorteil werden. Und um solche Schlüsselpatente geht es im gegenwärtigen Forschungswettlauf. Die großen Konkurrenten sind dabei die USA, Deutschland und Japan, stark engagiert sind aber auch China und Russland, die ihre Mittel überdurchschnittlich auf die Nanotechnologie konzentrieren.

Dass dieser Konkurrenzkampf nicht dazu angetan ist, das weltweite Reichtumsgefälle auszugleichen, versteht sich fast von selbst. Entsprechend prägte die etc group das Wort »nano divide« für die Kluft zwischen Profiteuren der Nanotechnologie und denen, die nicht einmal mehr Rohstoffe oder Arbeitskraft beisteuern dürfen. Alles mehr oder weniger eingängige Befürchtungen, die aber wenig über eine spezielle Eigendynamik der Nanotechnologie aussagen.

Bleibt noch das Horrorszenario von sich selbst replizierenden Nanorobotern, die außer Kontrolle geraten und sich unbegrenzt ausbreiten, bis alles auf der Erde sich in eine unterschiedslose Masse von grauer Schmiere verwandelt hat. Es kam Anfang des Jahres kurz in die Schlagzeilen, als Prinz Charles seine Sorgen um mögliche Gefahren der Nanotechnologie, angeregt von der etc group, öffentlich machte. Die Gruppe selbst hält ebenso wie Greenpeace dieses »gray goo« (graue Schmiere) getaufte Szenario für unwahrscheinlich.

Mehr Sorgen bereitet da schon »green goo«, die Verbreitung von nano- und biotechnologisch hergestellten Maschinenwesen. Eine Arbeitsgruppe der Cornell University hat tatsächlich schon einen von einem Bakterienmotor angetriebenen Metallzylinder – 750 Nanometer lang, 150 Nanometer im Durchmesser – gebaut. Bis daraus biologisch-mechanische Allesfresser werden, ist es allerdings noch ein weiter Weg. Denkbar ist aber die Entwicklung von »Nanobio-Waffen«, die bekannte Biowaffen in den Schatten stellen. Solche Spekulationen sind berechtigt. Aber wenn die etc group zu Recht feststellt, dass »im Nanobereich der Unterschied zwischen biologischem und nicht-biologischem Material verschwimmt«, dann ist das kein Argument gegen Nanotech, sondern soll das gleiche Gruseln hervorrufen wie die Feststellung, dass wir nach dem Tod zu Staub zerfallen.

Einen vergleichsweise fröhlichen Umgang mit den Gefahren von Nanomaschinen pflegt dagegen die Gemeinde von Eric Drexler und Co. Sie glaubt fest daran, dass die Entwicklung von universellen atomaren Produktionsstätten in den nächsten Jahrzehnten die Gesellschaft revolutionieren wird. Sie nimmt die Gefahren ernst, die durch entlaufene Nanoroboter entstehen könnten, und bietet praktische Gegenmittel an. So sollten nur solche Maschinchen konstruiert werden, die sich außerhalb ihrer erlaubten Umgebung selbst zerstören. Außerdem müsse man immer auf der Höhe der Nanoforschung sein, um möglichen Nanoterroristen das Handwerk legen zu können.

Andere machen sich Gedanken über eine dann nötige neue Ethik, z.B. Mike Treder vom »Center for Responsible Nanotechnology«. Auf einer sozialwissenschaftlichen Konferenz zu Nanotech in Darmstadt stellte er ein Modell einer Nanoethik vor, die auf einem Kompromiss zwischen kommerziellen Interessen und Informationsfreiheit beruhen müsse. Er geht fest davon aus, dass es bald Nanofabriken für den Schreibtisch gibt, die so gut wie alles produzieren, und schlägt folgendes System vor: Bestimmte Modelle von Schreibtischfabriken werden kostenlos verteilt, weil es sonst nur unkontrollierbare Schwarzkopien gäbe. Diese kostenlose Infrastruktur versetzt jeden und jede in die Lage, zu minimalen Rohstoffkosten so ziemlich alles herzustellen – rückstandsfrei, recyclebar und ohne Transportkosten.

Nur bestimmte Waffen und Drogen könnten diese staatlich verteilten Materiekompiler aufgrund von Sicherheitsmechanismen nicht ausspucken. Wie heute im Internet würden viele »Rezepte« kostenlos zur Verfügung gestellt, die Grundversorgung wäre gesichert. Nur die neueste Mode oder aufwändig gestaltete Produkte unterlägen dem Copyright, und eine Lizenzgebühr würde fällig, sobald man sie »ausdruckt«.

Eine hübsche Idee. Vielleicht etwas reformistisch. Aber bevor es sich darüber zu streiten lohnt, werden wir schon zu Staub zerfallen sein.