Paksas will es packen

Der litauische Präsident Rolandas Paksas wird beschuldigt, Kontakte zur russischen Mafia zu unterhalten. von xandi korb und stefan link

Seit Oktober erschüttert eine Staatskrise Litauen, in deren Mittelpunkt Staatspräsident Rolandas Paksas steht. Der 47jährige, ein ehemaliger Geschwaderkommandant der Freiwilligen Luftstreitkräfte der Sowjetunion und sowjetischer Meister im Kunstflug, ist seit Februar gewählter Präsident des Landes. Ihm wird vorgeworfen, über seine Berater der russischen Mafia zu gestatten, ihren Einfluss in dem baltischen Land auszudehnen.

Paksas’ Wahlsieg über seinen international angesehenen Amtsvorgänger Valdas Adamkus kam sehr überraschend. Zuvor hatte Paksas bereits zweimal als litauischer Ministerpräsident amtiert, aber er musste auch zweimal nach umstrittenen Privatisierungen zurücktreten. Paksas gilt den einen als volksnah, den anderen als populistisch: Vor allem sozial Benachteiligte sowie die Landbevölkerung unterstützten seine erneute Präsidentschaft. Großen Teilen des politischen Establishments hingegen ist er ein Dorn im Auge.

Mitte Oktober wurde bekannt, dass Paksas plant, den Geheimdienstchef Mecys Laurinkus zu versetzen. Kurz danach wurde ein Bericht des Geheimdienstes in einigen Zeitungen veröffentlicht, in dem Berater des Präsidenten mit der russischen Mafia in Verbindung gebracht werden.

Das Parlament berief daraufhin einen Untersuchungsausschuss ein, der Paksas in einem vor zwei Wochen verabschiedeten Papier scharf kritisiert und für die »Gefährdung der nationalen Sicherheit« verantwortlich macht. In dem Text wird auf Juri Borisov verwiesen, den russischen Chef der litauischen Flugzeugfirma Avia Baltica. Der Geschäftsmann hatte Paksas’ Präsidentschaftswahlkampf im Januar mit 1,2 Millionen Euro maßgeblich finanziert. Nach der Wahl erhielt Borisov in einem beschleunigten Verfahren die litauische Staatsangehörigkeit. Die Opposition interpretiert das als Gefälligkeitsdienst.

Borisov werden unsaubere Geschäfte nachgesagt. Angeblich war seine Firma an illegalen Waffenexporten in den Sudan und nach Syrien beteiligt. Ungeniert legte der Geheimdienst nun dem Untersuchungsausschuss die Protokolle von etwa 2 000 im In- und Ausland abgehörten Telefongesprächen vor. Belauscht hatten die Agenten vor allem die Umgebung des Präsidenten sowie in mindestens einem Fall den Präsidenten selbst. Die Protokolle enthalten Kompromittierendes: In einem Telefonat mit dem Sicherheitsberater des Präsidenten, Remigijus Acas, forderte Borisov die Erfüllung von Versprechen, die ihm für seine Wahlkampfhilfe gegeben worden seien. Anderenfalls werde er dafür sorgen, dass Paksas als »politische Leiche« ende.

Zwar wurde in dem Untersuchungsausschuss der Korruptionsverdacht gegen Paksas hinreichend bestätigt. Niemand sah es allerdings als Skandal an, dass ein von der Absetzung bedrohter Geheimdienstchef den Präsidenten überwacht und Teile des Materials der Presse übergibt, um eine politische Kampagne auszulösen. Im Gegenteil. Große Teile der Presse kommentierten, dass es doch positiv sei, wenn eine junge Demokratie so transparent sei. Die abgehörten Telefonate wurden öffentlich im parlamentarischen Ausschuss verlesen und die Sitzung im litauischen Fernsehen live übertragen. Die größte Zeitung druckte eine Sonderausgabe mit Faksimiles der Mitschnittprotokolle.

Die Affäre bedient verschwörungstheoretische Reflexe, die in den ehemaligen baltischen Sowjetrepubliken weit verbreitet sind. Die Unsicherheiten, die aus der marktwirtschaftlichen Realität resultieren, verbinden sich mit tief sitzenden antirussischen Ressentiments. Daher kann etwa in dem Geheimdienstbericht unwidersprochen vor dem »aggressiven Eindringen russischen Großkapitals« gewarnt werden. Telefongespräche, die der präsidiale Sicherheitsberater mit dem Chef der russischen Mafiaorganisation »XXI. Wek« (21. Jahrhundert) geführt haben soll, gelten als Beleg dafür, dass Mafiakreise Litauen zu einer Basis des organisierten Verbrechens auserkoren haben.

Vytatutas Landsbergis, ehemaliger Präsident und Symbolfigur der nationalen Revolution von 1991, spielte ebenfalls unverhohlen auf die ehemaligen russischen Bundesgenossen an. Paksas sei »ein Verrückter oder eine Marionette«. Man verstehe sehr wohl, wer für den Zusammenbruch der Sowjetunion Rache an Litauen nehmen wolle. Diese Leute benützten Paksas für ihre Ziele, ereiferte sich Landsbergis.

Das Label »russische Mafia« wird gerne verwendet, beinahe inflationär. Nicht nur kriminelle Vereinigungen werden unter dem Begriff subsumiert, sondern auch der russische Geheimdienst oder bisweilen der Kreml und die russische Wirtschaft im allgemeinen.

Doch auch nach sechs Wochen intensiver Recherche liegt bis jetzt nichts strafrechtlich Relevantes gegen Paksas vor. Es blieb bislang dabei, dass Borisov seine beiden Pässe bei der Polizei abgeben musste. Dennoch wird es eng für den Präsidenten, dem Ende November auch Regierungschef Algirdas Brazauskas die Unterstützung entzog.

Zu Beginn der Krise setzte Paksas die Amtsgeschäfte noch unbeirrt fort. Auf dem Höhepunkt der Krise reiste er noch zum Europäischen Parlament nach Brüssel, traf Kanzler Schröder in Berlin und besuchte das unter polnischem Oberbefehl stehende 80-köpfige litauische Truppenkontingent im Irak.

Doch in den letzten Wochen musste Paksas auf die Vorwürfe, der Konflikt um seine Person beschädige das Ansehen seines Amtes und des Landes, reagieren. Einen für den 8. Dezember geplanten Besuch bei US-Präsident George W. Bush sagte er ab.

Unwahrscheinlich ist, dass Paksas noch in dieser Amtszeit in Washington empfangen werden wird. Anfang Dezember verständigten sich mehrere Parteien darauf, ein Impeachment-Verfahren gegen Paksas einzuleiten. Die für eine Absetzung benötigte Mehrheit gilt als sicher.

Inzwischen riefen allerdings auch AnhängerInnen des Präsidenten zu einer Kundgebung in der Hauptstadt Vilnius auf. 5 000 Menschen beteiligten sich an der größten Demonstration seit der Unabhängigkeit Litauens 1991. Viele sprachen den Wunsch aus, Paksas möge rechtzeitig vor einer möglichen Amtsenthebung von selbst zurücktreten. In diesem Fall stünde bei den anschließenden Neuwahlen einer erneuten Kandidatur von Paksas nichts im Wege.

Der Präsident hat bisher alle Rücktrittsforderungen abgelehnt. Stattdessen tingelt der »fliegende Rolandas«, wie ihn AnhängerInnen nennen, durch die Sporthallen litauischer Kleinstädte. BesucherInnen dürfen dem Präsidenten Fragen stellen. Häufig lautet eine davon: »Herr Paksas, steht die Mafia hinter Ihnen?« Dann dreht Paksas sich um und weist mit dem Arm auf die Wand. »Sehen Sie«, sagt er, »niemand steht hinter mir.«