Science, Fiction, Profit

Eine kurze Geschichte des ganz Kleinen und zwei Prophezeiungen. Von Ferdinand Muggenthaler

Die Nanotechnologie steckt in ihren Anfängen, aber einen Gründungsmythos hat sie schon. Demnach begann alles mit einer Rede des Physikers Richard Feynman im Jahr 1959. Er forderte darin, den Weg der Miniaturisierung systematisch zu beschreiten. Z.B. glaubte er an verrückte Sachen wie Computer, die nicht mehr ganze Räume füllen, und phantasierte von automatischen Chirurgen, die wir schlucken könnten. Und schließlich sprach er den Satz, der ihn zum geistigen Vater der Nanotechnologie machte: »Ich scheue mich nicht, auch die letzte Frage zu stellen: Werden wir letztlich – in einer großen Zukunft – in der Lage sein, die Atome so zusammenzusetzen, wie wir es wollen? Die einzelnen Atome! (…) Die Gesetze der Physik sprechen, so weit ich sehen kann, nicht dagegen.«

Das zweite Ereignis, das in keiner Geschichte der Nanotechnologie fehlen darf, ist die Erfindung des Rastertunnelmikroskops (kurz STM von Scanning Tunneling Microscope) im Jahr 1981. Nanotechnologen schwärmen, dass man damit endlich einzelne Atome »sehen« kann. Und, was noch viel aufregender war, bald stellte sich heraus, dass das Gerät auch einzelne Atome hin- und herschieben konnte. So konnten sich die inzwischen zu Nobelpreisträgern geadelten Erfinder 1989 bei ihrem Auftraggeber mit einem hübschen Bildchen bedanken: IBM, geschrieben mit Xenonatomen auf Nickel. Die große Zukunft, von der Feynman sprach, schien ein Stück näher gerückt zu sein.

Die Prophezeiung

Diese Spielerei beflügelte die Vorstellung, alle möglichen Dinge Atom für Atom aufzubauen. Eine Idee, die vor allem einer populär gemacht hat: Eric Drexler. 1986 malte der Ingenieur in dem Buch »Engines of Creation« eine Art von Nanotechnologie aus, die in der Folge viele Science-Fiction-Autoren inspirierte, bei vielen Wissenschaftlern aber als undurchführbar gilt.

Drexlers Grundüberlegung ist einfach. Gelingt es, Alltagsgegenstände vom Teller über die Pizza bis zur Solarzelle Atom für Atom aufzubauen, dann wäre alles exakt verarbeitet, extrem zuverlässig und schadstofffrei. Man solle sich einfach eine moderne Montagestraße mit Industrierobotern entsprechend verkleinert vorstellen, schrieb Drexler. Eine solche Produktion wäre universal, denn alles besteht aus Atomen, und die Aufgabe, einem relativ primitiven Nanoroboter oder Assembler die Befehle zu erteilen, wo welches Atom hin soll, scheint einem Ingenieur lösbar.

Etwas schwieriger ist es schon, den genauen Bauplan einer Pizza zu entschlüsseln, aber hat man ihn einmal, dann kann man beliebig viele davon aus einfachen Rohstoffen, im wesentlichen Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff, herstellen. Außerdem könnte der Produktionsprozess äußerst umweltfreundlich sein. »Wenn ein Produktionsprozess jedes einzelne Atom kontrolliert, gibt es keinen Grund mehr, Luft oder Wasser mit giftigen Abfällen zu belasten.«

Die Sache hat einen Haken. Will man ein Atom nach dem anderen anfügen, so würde es astronomisch lang dauern, makroskopische Gegenstände herzustellen. Nimmt man z.B. einen unglaublich schnellen Nanoroboter, der eine Milliarde neue Atome pro Sekunde in die gewünschte Position bringt, er würde eine Million Jahre brauchen, um, sagen wir, 30 Gramm Zucker herzustellen. Doch auch für dieses Problem präsentierte Drexler eine Lösung. Bevor der Nanoroboter Zucker oder Computer herstellt, muss er Kopien seiner selbst produzieren, die sich wiederum selbst klonen. Bei der gleichen Geschwindigkeit hat man in 60 Sekunden eine Trillion unsichtbare, weil winzig kleine, Heinzelmännchen. Die schaffen dann die 30 Gramm Zucker in 0,6 Millisekunden oder 50 Kilo pro Sekunde.

Gibt es erst einmal solche sich selbst replizierenden »Nanobots«, dann gibt es kein Halten mehr. Nicht nur könnte fast alles fast kostenlos produziert werden, auch Nanomaschinen, die menschliche Zellen reparieren oder die Treibhausgase aus der Atmosphäre holen, sind dann nur noch ein kleiner Schritt.

Die Gegenwart

Drexlers Ideen haben eine treue Fangemeinde und ein reich gewordener Programmierer gab sein Vermögen für eine Firma, Zyvex, die die Methoden der »atomar präzisen Produktion« entwickeln will. Aber auch sie rechnet damit, frühestens in 15 bis 20 Jahren diese Produktion aufnehmen zu können.

So lange wollen natürlich die wenigsten Investoren warten. Und so hat das allermeiste, was unter dem Etikett Nanotechnologie läuft, mit Drexlers Ideen wenig zu tun. In der Regel geht es nicht darum, Maschinen einfach zu verkleinern, um dann wieder große Produkte herzustellen. Der Witz bei den meisten Anwendungen ist es, die speziellen Eigenschaften von Materialien mit Nanostrukturen auszunutzen. Darunter gibt es einige Anwendungen, die schon älter sind als das Wort Nanotechnologie, wie winzige Rußpartikel in Autoreifen oder Beschichtungen mit einzelnen Atomlagen.

Viele neue Anwendungen sind aber erst mit der Entwicklung von besseren Herstellungsmethoden möglich geworden. Dabei half zwar auch die Entwicklung des Rastertunnelmikroskops, aber mit dem Hin- und Herschieben einzelner Atome haben sie in der Regel nichts zu tun. Stattdessen werden chemische Verfahren verwendet, um z.B. wenige Nanometer große Kristalle, so genannte Quantenpunkte, wachsen zu lassen. Diese strahlen je nach Größe Licht einer bestimmten Farbe (d.h. Wellenlänge) aus. Mit ihnen lassen sich Quantenpunktlaser herstellen, mit denen sich z.B. Laserfernsehen verwirklichen lässt. Ein streichholzschachtelgroßes Gerät projiziert ein gestochen scharfes und farblich brillantes Bild an eine einfache Zimmerwand. Das soll’s in ein paar Jahren geben.

Wie das Beispiel zeigt, wird man den meisten Produkten nicht ansehen, dass Nanotech an ihnen beteiligt ist. Außerdem wird in erster Linie an der Weiterentwicklung bestehender Produkte gearbeitet.

Schon etwas revolutionärer scheint da die Entdeckung der Nanoröhrchen aus Kohlenstoff (nanotubes). Auch sie entstehen nicht durchs Zusammensetzen, sondern durch Selbstorganisation, man lässt sie unter bestimmten Bedingungen wachsen. Diese einen Nanometer dünnen, aber einige 1 000 Nanometer langen Strohhalme aus reinem Kohlenstoff wurden 1991 entdeckt, werden inzwischen in großen Mengen produziert und ihre ungewöhnlichen Eigenschaften schüren die Hoffnungen auf die Nanotechnologie auch jenseits der eingeschworenen Gemeinde. Sie sind 50 bis 100 Mal zugfester als Stahl und sechsmal leichter. An Methoden, die Röhrchen zu verschweißen oder zu »verweben«, wird gearbeitet, sodass schon ernsthaft darüber nachgedacht wird, mit ihrer Hilfe einen Satellitenaufzug zu bauen, der teure Raketenstarts überflüssig machen würde.

Große Aufmerksamkeit erregen auch die elektrischen Eigenschaften der Kohlenstoffhälmchen. Je nach Anordnung der Kohlenstoffatome sind sie Leiter oder Halbleiter. Deshalb gelten sie als Kandidaten für die weitere Miniaturisierung der Elektronik. Hier gibt es starke wirtschaftliche Interessen, weil die Entwicklung von immer mehr und immer kleineren Transistoren auf den Computerchips mit der bisherigen Technik langsam aber sicher an ihr Ende stößt. Würde es gelingen, die Kohlenstoffröhrchen als Leiterbahnen einzusetzen, könnten uns Intel und Co. auch in 15 Jahren noch ständig neue und schnellere Computer verkaufen.

Pragmatiker …

In der Diskussion über Nanotechnologie kann man zumindest zwei Stränge unterscheiden. Ein Teil der Forscher, eine Gemeinde von Transhumanisten, Technoutopisten, aber auch Kritiker beschäftigen sich vor allem mit Visionen und utopischen Anwendungen wie selbst replizierenden Nanorobotern. Sie betonen das revolutionäre Potenzial und sehen alle aktuellen Forschungsergebnisse und Anwendungen nur als schwachen Vorschein einer großen bzw. bedrohlichen Zukunft.

Der andere Diskussionsstrang wird von Pragmatikern und Skeptikern bestimmt. Sie glauben nicht, dass in absehbarer Zeit Nanoroboter durch unsere Adern schwimmen oder eine »Matterbox« neben dem Computer unser Essen ausdruckt. Einige dieser Visionen halten sie mit guten Argumenten für schlicht unmöglich.

Zu dieser Sorte gehören die Gutachter des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim deutschen Bundestag (TAB), die Mitte November eine Studie zur Nanotechnologie vorstellten. Den ganzen Diskurs um Nanobots ordnen sie unter die unrealistischen Langfristvisionen ein. Und auch wenn es um all die schillernden und prinzipiell realisierbaren Ideen von sich selbst gestaltenden Autokarosserien, selbst heilenden Lacken oder Satellitenaufzügen geht, heißt es lapidar: »allenfalls langfristig«.

Ein enormes wirtschaftliches Potenzial, das es in den nächsten zehn bis 15 Jahren zu entwickeln gelte, sehen die Gutachter trotzdem: »Nanotechnologische Kompetenz wird in vielen Branchen zu den Kernfähigkeiten gehören.« Als Beispiel wird die Autoindustrie genannt. »Es gibt im Grunde genommen kein Bauteil mehr am Auto, an dem nicht mit Nanotechnologie gearbeitet wird.«

Nanopartikel im Reifengummi gibt es schon länger als das Wort Nanotechnologie, aber inzwischen kann man die Eigenschaften der Partikel und damit die Haltbarkeit und Haftung des Reifens gezielter steuern. Lacke, die sich auch mit Stahlwolle nicht zerkratzen lassen, sind schon auf dem Markt, auf Knopfdruck abdunkelbare Scheiben in der Erprobung, Brennstoffzellen mit Nanokomponenten für den Antrieb in der Entwicklung.

Auch die Baubranche, die gemeinhin nicht an der Spitze der technologischen Entwicklung steht, erhofft sich Konkurrenzvorteile durch Nanotechnologie. Das fängt bei Nanopartikeln als Zusatz zum Spezialbeton an, geht über »thermotrope Schichten«, die automatisch die Erwärmung eines Gebäudes durch die Sonne regulieren, bis zu Brandschutztüren mit eingebautem Nanofeuerlöscher. Die Türen sehen aus wie herkömmliche Türen aus Holz und Glas, die Beschichtung verwandelt sich aber bei genügend Hitze in Schaum, der das Material vor dem Verbrennen schützt.

Dass pragmatische Vertreter der Nanotechnolgie auf dem Teppich bleiben, wenn es um futuristische Anwendungen geht, ist auch Strategie. Sie befürchten einen Rückschlag für die kurzfristig realisierbaren Anwendungen. Eine Strategie des »hope and hype«, so die Autoren der TAB-Studie, berge die Gefahr, »dass die Erwartungen an Nanotechnologie zu hoch geschraubt und Enttäuschungen dadurch unvermeidlich werden. Zum anderen kann in unbeabsichtigter Weise auch die Kehrseite des optimistischen Futurismus – ein mit Weltuntergangsängsten und Schreckensvisionen verbundener pessimistischer Futurismus – popularisiert werden.«

Das Bundesforschungsministerium wird sich diese Ratschläge bei der PR für den Nanostandort Deutschland zu Herzen nehmen. Bis Weihnachten will das Ministerium einen »Nanotruck« dekorieren lassen. Als rollende Ausstellung soll er Reklame für das »Rahmenprogramm Nanotechnik« machen, das Edelgard Bulmahn Anfang 2004 vorstellen wird.

… und Futuristen

In den USA sind die Forschungspolitiker offenbar weniger von Weltuntergangsängsten geplagt. Anders als die deutsche Nanotechnologie-Initiative von 1998 beruft sich die 2000 gestartete National Nanotechnology Initiative in den USA auf langfristige Visionen wie etwa die Entwicklung von unsichtbaren Flugzeugen und künstlichen Antikörpern.

Um für die Initiative zu werben, versprach man, dass Nanotechnolgie ähnlich umfassende soziale Auswirkungen haben werde wie fließendes Wasser, Elektrizität, Antibiotika und die Mikroelektronik zusammen. Nach Aussagen der National Science Foundation sei z.B. innerhalb der nächsten 15 Jahre mit dem technischen Ersatz für geschädigte Augen und Ohren zu rechnen; in einigen Jahrzehnten mit dem Scannen des ganzen Körpers auf Zellebene, dem Ersatz von Gehirnfunktionen und mit Photosynthese betreibenden Maschinen. Man müsse sich aber auch gegen Nanoterrorismus wappnen.

Diese Zukunftsvisionen kommen ohne winzige Roboter, die alles Mögliche produzieren, oder U-Boote, die durch die Blutbahn schippern, aus. Gesetzt wird nicht ausschließlich auf Nanotech, sondern auf die Weiterentwicklung auch in anderen Technologiebereichen. Gerade wenn es um medizinische Anwendungen oder sonstige Manipulationen an Lebewesen geht, bedingen sich Fortschritte in der Nanotechnologie und der Mikrobiologie/Gentechnik gegenseitig. Z.B. machen es Nanostrukturen möglich, den Chip eines künstlichen Auges effektiv an die Nervenzellen anzuschließen. Gleichzeitig muss die Signalverarbeitung des Gehirns besser verstanden werden, um den Chip richtig zu programmieren.

Kein Wunder also, dass man immer wieder auf den Begriff der converging technologies stößt, wenn es um Nanotechnologievisionen geht. Auch bei diesem Thema hatte die National Science Foundation keine Berührungsängste. Gemeinsam mit dem US-Handelsministerium richtete sie im Dezember 2001 einen Workshop aus unter dem Titel: »Converging Technologies for Improving Human Performance – Nanotechnology, Biotechnology, Information Technology and Cognitive Science«.

Der 482 Seiten starke Bericht liest sich streckenweise wie bei Transhumanisten abgeschrieben, einer Bewegung, die an die Unsterblichkeit durch Technik glaubt. Ihre Anhänger lassen nach dem Tod ihre Gehirne einfrieren und propagieren die Überwindung des unzureichenden menschlichen Körpers und der beschränkten menschlichen Intelligenz durch eine technisch vorangetriebene Evolution.

Das Verschmelzen der vier Technologien, so die Herausgeber im Vorwort, könnte ein Zeitalter der Innovation und des Wohlstands einläuten. Mögliche Entwicklungen seien das Aufhalten des Alterungsprozesses oder die Gedankenübertragung (»brain-to-brain interaction«), aber auch die verbesserte Kampffähigkeit von Soldaten. Um dies zu realisieren, hat das US-Verteidigungsministerium bereits das Institute for Soldier Nanotechnologies am Massachusetts Institute of Technology gegründet. Eines der vordringlichen Ziele ist es, die Leistungsfähigkeit des einzelnen Soldaten zu erhöhen. Die ersten Ideen, wie leichtere schusssichere Westen oder Uniformen, die sich um einen gebrochenen Arm automatisch wie ein Gipsverband zusammenziehen, klingen relativ unspektakulär. Denkbar sind freilich auch eingebaute Nachtsichtgeräte oder ähnliche Implantate. »Improving human performance« eben.

Durch solche Rhetorik konnten sich alle bestätigt sehen, die durch die technische Entwicklung die Gattung Mensch gefährdet sehen. Entweder durch entlaufene Nanoroboter, durch Nanokrieg und Nanoterror oder durch die Verdrängung des Menschen durch Cyborgs, Übermenschen, halb genetisch hoch gezüchtete Menschennachfahren, halb Maschine. Die Verschmelzung der vier Technologien wird aus dieser Perspektive zum Big Bang für die Menschheit. Bang steht dabei für Bits, Atome, Neuronen und Gene. »Warten auf Big Bang« überschrieb der Freitag einen Artikel von Florianne Koechlin zum Thema. Die Autorin lässt durchblicken, dass sie die Entwicklung von hybriden Organismen als die eigentliche Gefahr der converging technologies sieht.

Der prominenteste Warner vor einem solchen Szenario ist Bill Joy. Der Mitgründer und Chefwissenschaftler von Sun Mikrosystems veröffentlichte bereits im April 2000 in Wired einen Essay mit dem Titel: »Why the future doesn’t need us« und stellte die These auf, dass die neu entstehenden Technologien – bei ihm die Kombination aus Robotik, Gentechnik und Nanotechnologie – zu mächtig sind, um sie zu beherrschen. Würde die eingeschlagene technologische Entwicklung fortgesetzt, so werde die Menschheit eine bedrohte Spezies. Er zitierte den Dalai Lama und forderte einen Forschungsstopp für große Teile der Robotik sowie der Nano- und Gentechnik. Dieser müsse durch ein internationales Vertragswerk, ähnlich dem zum Verzicht auf die Entwicklung von Biowaffen, sichergestellt werden.

Inzwischen gibt es auch eine Auseinandersetzung mit den Gefahren der näher liegenden nanotechnologischen Entwicklungen (siehe nächste Seite). Wenn es aber um die Kritik an den visionären Aspekten der Nanotechnologie geht, scheinen immer wieder die gleichen Motive durch: Die Angst vor der Schöpfung neuer Wesen durch anmaßende Ingenieure und Wissenschaftler, vor der Übernahme der Macht durch Maschinen, vor dem Verlust der natürlichen menschlichen Identität durch die zunehmende Verschmelzung von Mensch und Technik.

Joy geht von einem vorgezeichneten Weg in eine Art Technofaschismus aus. Wenn die jetzige technologische Entwicklung nicht gestoppt werde, dann blieben nur zwei Optionen von absoluter Technoherrschaft übrig. Entweder die Maschinen übernehmen selbst die Macht oder eine kleine Elite kontrolliert zwar noch die Maschinen, hat aber die absolute Macht über den Rest der Menschheit, der überflüssig geworden ist.

Welchen Cyborg hätten’s denn gern?

»Es gibt keinen Grund, warum irgendjemand zu Hause einen Computer herumstehen haben wollen könnte«, sagte 1977 Ken Olsen, Präsident der Computerfirma Digital. So weit daneben kann man mit Prophezeiungen liegen. Hier trotzdem eine: Zum Technofaschismus wird es nicht kommen.

Die Allmachtsphantasien der Technizisten – ob wohl oder übel meinend – werden sich als nicht machbar herausstellen. Sowohl technisch als auch sozial. Dafür spricht z.B. die Geschichte der Gentechnik. Nicht dass sie ohne Gefahren wäre, aber sie ist bisher längst nicht so mächtig geworden, wie es Befürworter und Gegner einmal annahmen. Die Klontechniken sind längst nicht beherrscht, die früh verstorbene Dolly lässt grüßen. Das Klonen von Menschen propagiert nur die Sekte der Raelianer. Und dass die Gene den ausgewachsenen Menschen nicht wie eine Fernsteuerung kontrollieren, hat sich herumgesprochen, weshalb die Biotechniker nach dem Genom jetzt dabei sind, die Proteine zu »entschlüsseln«.

Außerdem ist es immer noch ein Ergebnis von Profiterwägungen und gesellschaftlichen Kämpfen, wie die technischen Möglichkeiten angewandt werden, auch das zeigt die Gentechnik. Oder der Werdegang der militärischen Erfindung Internet.

Zu stoppen sein werden die zunehmende Technisierung und das engere Verschmelzen von Mensch und Maschine dagegen nicht. Sie ist auch nichts Neues. Kosmetik, Brille, Gebiss, Hörgerät, künstliches Herz – unsere Körper sind längst nicht mehr »natürlich«, was immer das mal gewesen sein mag. Auch gesellschaftliche Prozesse formen unsere Körper ganz direkt, seit Generationen werden die Menschen dank verbesserter Ernährung und Gesundheitsversorgung größer, und bei Kindern, die mit Gameboy und Handy aufwachsen, übernimmt der Daumen Funktionen, die früher der Zeigefinger innehatte.

Kurz: Wir sind alle Cyborgs, keine Götter – auch die Nanotechnologen nicht.