Sleeper Cell

Hauptquartier, Meldung 3 260

Wieder so ein sonniger Wüstentag, heiß, verfilzt, gut ausgeleuchtet, aber mit konstantem Wind von vorn. Hannah wandert nachdenklich mit Handtuch über das Pooldeck im Palm Desert Inn: statuesk, muskulös, doch ihre Härte wird kompensiert durch große, weich aussehende Brüste und ein freundlich weggetretenes Grinsen. Sie scheint ein bisschen nervös, bildskeptisch. Sie wird gerade interviewt, von einem Reporter eines Magazins, das den Titel Bomb trägt, und sie wühlt jetzt in einer enormen Chanel-Umhängetasche, und dabei schaut das Taschenbuch »Hügel der Selbstmörder« von James Ellroy hervor. Hannah sucht nach einer Antwort auf eine Frage, die ihr der junge Bomb-Reporter gestellt hat. Er trägt ein T-Shirt von Christina Aguilera, riesige schwarze Nikes, und er liebt es, Augenkontakt zu übertreiben.

30 Sekunden Denkpause. Dann sagt Hannah: »Je kompletter der Eindruck von Wirklichkeitstreue, desto kompletter die Irreführung.« Das gefällt dem Reporter gut, wenn so eine junge Frau sexy smarte Sachen erzählt.

Hannah holt jetzt ein Päckchen Silk Cut aus der Chanel-Tasche, zündet sich eine an.

»Darum haben wir uns zur formulierten Negativität entschlossen, der expliziten Weigerung, vom Kriege, vom Terror oder von Hollywood objektiv zu berichten, in der ausgelassenen Verhöhnung derartiger Dinge liegt die Wahrheit.«

Der junge Mann zieht seine Sonnenbrille hoch, er lächelt mich an, Augenkontakt, ohne dabei die Augen zusammenzukneifen.

Ich stelle mich schlafend.

Hannah zieht die Augenbrauen pseudolasziv hoch, sie will mit dem verdammten Interview abschließen: »Es scheint immer mehr eine Kluft zwischen der abbildbaren und der nicht abbildbaren Wirklichkeit aufzureißen. Klar könnte ich jetzt auf Brechts Ausspruch verweisen, dass eine Fotografie der AEG-Fabriken oder der Zusammensturz des World Trade Centers noch nichts über das Funktionieren ausbeuterischer Industrie verrate. Aber was soll dieser alte Mist. Ich weiß auch, dass es dich viel mehr interessieren könnte, wieso ich diese Wahnsinnsbauchmuskeln habe, stimmt’s?«

Der Bomb-Reporter lacht, schaut auf seinen Notizblock und fragt: Was sind deine Lieblingskriegsfilme?

Hannah überlegt nicht lange: »›Die rote Hölle von Iwo Jima‹. Ganz ehrlich, ich schau’ mir keine Kriegsfilme an. Meine Lieblingsfilme sind von Yasujiro Ozu – Montage als oberstes Prinzip –, in den letzten 25 Jahren seiner Karriere brauchte er weder Schwenk noch Überblendung. Bei den Dreharbeiten steht die Kamera auf einem flachen Dreifuß, und hinter ihr sitzt der Regisseur, mit gekreuzten Beinen, auf dem Boden. Ozu filmte immer aus dieser exklusiv japanischen Perspektive, die für uns etwas von einer Kinderblickrichtung hat, von unten auf die Dinge schauend. Das ist die Perspektive, die wir hier draußen in der Wüste anstreben.«

Eine Fotografin namens Mary Ellen Marks wird uns jetzt vorgestellt, sie macht dieses Bild für Bomb: Hannah mit einer Skorpion-Maschinenpistole, Peace-Zeichen. Untertitel: Hiroshima war ein guter Kriegsfilm, weil es kein Kriegsfilm war.

»Sleeper Cell« erscheint als anonymer Kolumnenroman