»Beim Filmen finde ich eine Heimat«

Georg Stefan Troller

Der Dokumentarfilmer Georg Stefan Troller wurde gerade 82 Jahre alt. Geboren in Wien, floh er als Jude 1938 über Prag, Marseille und Casablanca in die USA und kehrte nach dem Zweiten Weltkrieg als GI zurück nach Europa. Seit 1949 lebt er in Paris. Das ZDF zeigte seine Reihen »Pariser Journal« und »Personenbeschreibung«, mit denen er einen unverwechselbaren Filmstil etablierte. Zurzeit dreht er einen Film über Loki Schmidt.

Mit Georg Stefan Troller sprach Petra Tabeling

Ich habe gelesen, dass der Dokumentarfilm ausstirbt.

Na, ich mache doch gerade einen. Da scheint es also noch Möglichkeiten zu geben. Dass er ausstirbt, glaube ich nicht, aber es ist schwieriger, die ernst zu nehmende Art, die wir früher praktizierten, an den Mann zu bringen.

Woran liegt das?

Ich bin überzeugt davon, dass man das Publikum mit Absicht verblödet. Ich glaube, dass man dem Publikum mit Gewalt eingeredet hat: »Ihr wollt doch gar nicht so seriöse Sachen haben, ihr wollt doch nur unterhalten werden!« Aber ich glaube auch, dass wir am Ende der Spaßgesellschaft sind, dass der Anschlag auf das World Trade Center und der Irakkrieg eine Periode einläuten, in der sich die Leute wieder mit ernsteren Sachen beschäftigen. Denn ihr Leben wird auch ernster und schwerer. Dann wollen sie auch mehr richtiges Leben im Fernsehen sehen und nicht bloß vorgemachtes. Ich fand jedenfalls immer, dass es das Interessanteste ist, was es für einen Filmemacher und fürs Publikum geben kann, einen anderen Menschen zu porträtieren.

In ihrem Buch »Selbstbeschreibung« nennen Sie diese Arbeitsweise eine Suche nach Wahrheit. Hat das bei Ihnen geklappt?

Nein, natürlich nicht.

Sondern?

Bei den Leuten, mit denen wir drehen, muss man versuchen, auf ihre eigene Wahrheit zu kommen, in der Hoffnung, dass darin eine Wahrheit ist, die möglichst viele andere Menschen auch angeht, aber das ist selten eine politische.

Aber sich selbst sind Sie durch Ihre Filme schon näher gekommen?

Absolut.

Wie das?

Sagen wir mal so: Ich habe durch meine Kindheit, die Flucht, den Krieg usw. einen schweren Identitätsverlust erlitten. Das ist bei vielen Migranten so. Heimatverlust ist auch schon Identitätsverlust. Mir hat die Filmerei dazu verholfen, mich in der Welt zurechtzufinden, da ich unentwegt andere Leute nach ihren Wahrheiten gefragt habe. Ich habe versucht herauszufinden, ob diese Wahrheiten mir etwas bedeuten. Dieser innere Drang, den man leichtfertig Neugier nennt, kommt auch aus tieferen Schichten. Das scheint mir ein besonders wichtiger Grund für unseren Beruf zu sein.

Wurden Sie wegen Ihrer Suche nach Wahrheit Dokumentarfilmer?

Das kann ich gar nicht sagen. Ich war ja lange Amateurfotograf und Rundfunkreporter, ich bin an Literatur interessiert und habe Theaterwissenschaften studiert. Fasst man all diese Dinge zusammen, ergibt sich ja beinah nur das Fernsehen, und das war gerade verbreitet, als ich 1957 anfing. Mein Talent ist der typische Gemischtwarenladen des Fernsehmenschen, der von allen Medien etwas heranziehen muss, um seine Filme zu machen.

Über 150 Menschen haben Sie filmisch porträtiert. Wer hat Sie am meisten beeindruckt?

Nein, es gibt keine Lieblinge. Ich habe eben Loki Schmidt nach ihrer Lieblingsblume gefragt, sie bekam einen Wutanfall und sagte, wenn man Pflanzen liebt, hat man keine Lieblinge. Wenn man 150 Filme mit Menschen gemacht hat, hat man keine Lieblinge. Ich habe sie alle geliebt zu ihrer Zeit.

Verstehen Sie sich als einen politischen Menschen?

Es ist nicht so, dass ich einen Drang verspürt hätte, nur politische Filme zu machen. Was mich interessierte, waren nicht die politischen oder ideologischen Überzeugungen der Menschen, sondern wie sich die Politik in ihrem Leben widerspiegelt.

Zum Beispiel im Leben eines querschnittsgelähmten Vietnamveteranen, über den Sie 1977 einen Film drehten: »Ron Kovic: Warum verschwindest du nicht?«

Ja, das ist ein gutes Beispiel. Ron Kovic hat uns sein Leben vorgeführt. Er hat gezeigt, was es bedeutet, als junger Mann in einem Krieg seine Gliedmaßen zu verlieren. Und was das für ein Wahnsinn ist, in einen Krieg einzutreten, wenn dieser Krieg nicht unbedingt der Rettung der Menschheit dient. Der Vietnamkrieg war eine Dummheit, der Irakkrieg ist eine Dummheit.

Und man muss kein politischer Mensch sein, um Krieg blöd zu finden. Das sagt einem der gesunde Menschenverstand.

Interessiert den Filmemacher Troller das Thema Europäisierung?

Das interessiert mich sehr. Ich war immer für die europäische Integration, ich empfand mich immer als Europäer. Und als ich 1949 von Amerika zurück nach Europa ging, ohne zu wissen, wo ich mich ansiedeln würde, war das die Sehnsucht nach Europa. Würde die europäische Integration nun endlich geschehen, wären wir eine Großmacht, mit der man rechnen müsste. Aber jetzt gelingt es der US-Administration immer, zwischen England, Deutschland und Frankreich Keile zu treiben. Ein vereintes Europa war schon immer der schönste meiner Träume.

Sie sind in Wien geboren, Sie haben einen amerikanischen Pass, Sie leben seit über 50 Jahren in Paris, und nun loben Sie Europa und kritisieren Amerika.

Ich habe nichts gegen Amerika. Ich habe nur etwas gegen diese Regierung. Zum ersten Mal bin ich in der Versuchung, Herrn Bush meinen Pass zuzuschicken, denn ich möchte nicht von einem Bush regiert werden. Vielleicht wird er ja doch abgewählt.

Ich fühle mich in vielen Städten zuhause, in New York, Los Angeles oder München, aber da ist eben doch kein Heimatgefühl mehr.

Ich habe in all diesen Städten gewohnt, aber Wien und Paris lassen sich ja nicht vergleichen. Wien ist eben die Stadt der Kindheit, Österreich ist das Land der Kindheit. Und dahin zu gehen, bedeutet eintauchen in pränatale Schichten. Es hat etwas ungeheuer Verführerisches, wieder Kind sein zu dürfen.

Jetzt sind Sie 82. Können Sie sich vorstellen, irgendwann keine Filme mehr zu drehen?

Ich mache gerne Filme, und wenn ich keine Filme mache, dann träume ich vom Filmemachen. Vor vier, fünf Nächten habe ich wieder einmal von meinem Kameramann geträumt, mit dem ich die ganzen »Personenbeschreibungen« fürs ZDF gedreht habe. Und ich träumte, wir sind verabredet zu einem Dreh und ich beginne zu schreiben und vergesse die Verabredung und mein längst verstorbener Vater kommt ins Zimmer und sagt: »Bist du nicht mit deinem Team verabredet?« Und ich sage: »Mein Gott, ich habe es vergessen.« Ich muss zu meinem Team kommen und die sind Kilometer weit weg und ich beginne zu laufen und die Straße ist frisch geteert und ich komme nicht voran und klebe fest. Das bedeutet ja vielleicht, dass ich im Drehen irgendwo eine zweite Heimat gefunden habe.

Über Wien, den Ort Ihrer Kindheit, schreiben Sie zurzeit ein Buch.

Ja, aber nicht über die große, sondern über die kleine Kultur Wiens in der Zwischenkriegszeit zwischen 1918 und 1938. Über die Kabarettisten und die Kaffeehausliteraten, die Praterartisten, was eben zu unserem kindlichen Leben damals gehörte, bis hin zu Karl Kraus. Leute, die uns als Jugendliche beeinflusst haben. Da gab es die ganzen Grabenkämpfe, die Sozialisten, die Kommunisten und da waren auch die Zionisten. Bis dann 1938 alles den Bach runter ging, als Wien mit dem Anschluss und der Vertreibung der Juden dem Abgrund zustrebte.