Der schlaue Weg an die Spitze

Die SPD geht in die Innovationsoffensive und fordert die Einrichtung von Eliteuniversitäten. Ausnahmsweise soll Amerika das Vorbild sein. von daniél kretschmar

Der Ausweg aus der Bildungskrise scheint gefunden. Während in ganz Deutschland so viele Studierende streiken und protestieren wie seit 1997 nicht mehr, präsentiert die SPD ein 200 Jahre altes Konzept aus den Vereinigten Staaten und bringt die Kritiker ihrer Politik damit dennoch in arge Bedrängnis.

Der Vorschlag der Sozialdemokraten, eine begrenzte Anzahl von Hochschulen für den Vergleich mit der amerikanischen Ivy League, benannt nach den mit Efeu bewachsenen Hochschulen an der US-amerikanischen Ostküste, bereit zu machen, hätte kaum zu einem günstigeren Zeitpunkt gemacht werden können. Betrachtet man das Presseecho auf die Weimarer Erklärung der SPD, so wird deutlich, dass die Hoheit über die Bildungsdiskussion erstmals seit der Veröffentlichung der Pisa-Studie bei den Sozialdemokraten liegt.

Die verwirrte Reaktion der Oppositionsparteien spricht Bände. Dem parlamentarischen Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, Volker Kauder (CDU), blieb nichts anderes übrig, als auf kleinere Mängel hinzuweisen. Der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sagte er: »Wer sich immer noch gegen Studiengebühren sträubt und gleichzeitig über eine zentrale Eliteschmiede fabuliert, ist unglaubwürdig.«

Tatsächlich hat in der SPD ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Die Unterscheidung von christdemokratischer und sozialdemokratischer Bildungspolitik fiel bisher relativ leicht. Die grundlegende Aufgabenstellung für die Parteien, günstige nationale Rahmenbedingungen für die internationale Konkurrenz in Sachen Wissen und Information zu schaffen, ließ bisher im Wesentlichen auf zwei Bewältigungsstrategien zu: erstens die frühestmögliche Selektion einer zahlenmäßig beschränkten Gruppe fähiger, leistungsbereiter Individuen unter Vernachlässigung eines größeren Teils der Bevölkerung, der von Geburt mit geringeren Bildungschancen ausgestatteten Pechvögel; zweitens die Förderung eben genau dieser »bildungsfernen Schichten«, wie das Deutsche Studentenwerk sie nennt.

Hat die Sozialdemokratie traditionell im Interesse der Chancengleichheit oder, wie es zurzeit wieder öfter zu hören ist, der »Gleichmacherei« besonders seit den siebziger Jahren die Öffnung der Hochschulen für größere Bevölkerungsschichten betrieben, stellt die Idee der Eliteuniversitäten einen Bruch oder doch zumindest eine Relativierung dieses traditionellen Bildungsverständnisses dar.

Spätestens seit Ende der neunziger Jahre arbeitet die SPD auf diesen Paradigmenwechsel hin. Was bis dahin als der Vorteil des deutschen Hochschulsystems angesehen wurde, sein relativ breites Studienangebot und seine relative Homogenität in den Ausbildungs- und Forschungsstandards – so werden etwa Abschlüsse bundesweit anerkannt und Forschungsgelder vom Bund verteilt –, wird nun zur Bedrohung stilisiert. Allenthalben wird in der Presse davor gewarnt, dass die »Gleichmacherei« ein allgemeines Absinken ins Mittelmaß zur Folge habe. Davor soll nun eine schärfere Profilierung der Wissenschaftsbetriebe, eine Differenzierung, die sich am amerikanischen Hochschulsystem orientieren soll, bewahren. Dessen Erfolg im grenzüberschreitenden Kampf um die besten lehrenden und lernenden Köpfe wird kaum angezweifelt.

Um der sozialdemokratischen Folklore Genüge zu tun, wird neben der Leistungsfähigkeit der Universitäten wie Harvard oder Stanford gerne auf die Ausgewogenheit der sozialen Zusammensetzung der dortigen Studierendenschaften hingewiesen. Wer Elite sagt, muss Studiengebühren sagen und als Sozialdemokrat unbedingt beschwichtigend hinzufügen, dass Stipendiensysteme eigentlich viel sozialer sind als der freie Zugang zu den Hochschulen. Dass auch in den USA die Ausgrenzungsmechanismen sehr viel früher ansetzen als beim Hochschulzugang und dass der Zusammenhang zwischen dem Einkommen der Eltern und den Bildungschancen der Kinder durch keine Statistik weggerechnet werden kann, wird dabei schlichtweg verschwiegen.

Offensichtlich ist die kurzfristige Erhöhung des »ökonomisch relevanten Outputs« der Hochschulen oder zumindest eine entsprechende Absichtserklärung inzwischen wichtiger als die langfristige Anhebung des allgemeinen Bildungsstandards, die ja ursprünglich auch keinen anderen Zweck hatte, als die deutsche Wissens- und Elitenproduktion den Notwendigkeiten des Weltmarktes anzupassen.

Die Weimarer Leitlinien geben den Blick auf eine mögliche Zukunft der deutschen Hochschulentwicklung frei. Es ist unwahrscheinlich, dass die Bundesregierung die ungeheuren Kosten und gesetzgeberischen Anstrengungen trotz des Umstandes, dass messbare Ergebnisse erst in Jahrzehnten zu erreichen sind, so bald auf sich nimmt. Die aktuellen Änderungen auf Bundes- wie auf Länderebene passen trotzdem zu der Idee. Die Einführung von Studiengebühren, die Verschulung durch so genannte Bachelor- und Master-Abschlüsse, die Schaffung unternehmensähnlicher Hochschulstrukturen, die sukzessive Abschaffung von Forschungs- und Lehrbereichen, denen der Ruf potenzieller Subversion anhängt, und nicht zuletzt die Reform des Dienstrechtes geben mittelfristig den Weg zur Hochschule neuen Typs frei. Diese Hochschule wird sich möglicherweise am Beispiel der Ivy League orientieren, aber ihm nicht im Detail nachgebildet sein.

Insofern bleibt die Idee der Schaffung von Eliteuniversitäten nach amerikanischem Vorbild in den nächsten fünf Jahren eine sozialdemokratische Imagekampagne, die von den real existierenden Problemen an den Hochschulen und der Planlosigkeit sozialdemokratischer Bildungspolitik ablenken und das Bild einer innovativen und zupackenden Regierung vermitteln soll.

Die Hochschulleitungen begrüßen die neuen Vorschläge dennoch mit verhalten hoffnungsvollem Applaus. Der Rektor der Ludwig-Maximilians-Universität München, Bernd Huber, sagte der Süddeutschen Zeitung: »Den Grundgedanken, dass man Spitzenuniversitäten braucht, halte ich für richtig. Neugründungen braucht es dafür nicht, bereits bestehende Hochschulen haben durchaus das Zeug dazu, sich zu etablieren.«

Die Idee von der Eliteuniversität bietet theoretisch einen Ausweg aus der Daseinskrise eines Wissenschaftsbetriebes, der zurzeit in einer zombiehaften Nebenexistenz hoffnungslos dahinvegetiert zwischen romantischer Verklärung vergangener Bedeutung und dem Problem, unter dem ständigem Kürzungsdruck ein immer flexibler Wissensdienstleister zu sein. Die Aussicht, am Ende als Eliteeinrichtung etikettiert zu werden, gibt dem ewigen Kampf um finanzielle Mittel, um die Hochschulstruktur und die Studienreform eine neue Qualität und einen Sinn. Zur Sicherheit betont Huber auch gleich, die bisherigen Schätzungen der Ausbaukosten auf rund 100 Millionen Euro seien »sehr niedrig gegriffen«.

Proteste gegen die Pläne der SPD sind nur leise hörbar. Wenn der Freie Zusammenschluss der StudentInnenschaften (fzs), der Dachverband der Asten, beklagt, »Innovationsfähigkeit« lasse sich nicht erreichen, indem man eine Hand voll Eliteuniversitäten schaffe, beweist er nicht nur ein traditionell sozialdemokratisches Bildungsverständnis, sondern auch seine Bereitschaft, das nationalistische Bestreben nach Wettbewerbsfähigkeit als Diskussionsgrundlage zu akzeptieren.

Ähnlich äußert sich der bildungspolitische Sprecher der Berliner PDS, Benjamin Hoff. Er weist darauf hin, »dass die bundesdeutschen Hochschulen bereits heute in wissenschaftlicher Konkurrenz zu Hochschulen wie Oxford, Harvard und anderen ausgezeichneten Hochschulen stehen«. Doch genau diesen Standortnationalismus anzusprechen, war das Ziel der SPD. Der Coup der Sozialdemokraten ist geglückt.