»In Glasgow ist es sehr gefährlich«

Sian Evans, Semret Fesshaye

Seit es für Flüchtlinge immer schwieriger wird, die Schengen-Staaten Europas zu erreichen, steigt in Großbritannien die Zahl der Asylbewerber. Nun hat die Abschottungspolitik der britischen Regierung eine neue Eskalationsstufe erreicht: Personen ohne gültige Aufenthaltserlaubnis kann die Sozialhilfe gestrichen werden. Ein neuer Entwurf sieht sogar vor, sie von jeder Krankenversorgung auszuschließen. Sian Evans ist Vertreterin der Crossroads Coalition for Justice for Asylum Seekers und arbeitet in einem Frauenzentrum für Flüchtlinge. Semret Fesshaye ist selbst aus Eritrea nach Großbritannien geflohen und war lange Zeit obdachlos. Sie ist aktiv in der Eritrean Women’s Association. Mit ihnen sprach Matthias Becker

Welche Auswirkungen haben die neuen Gesetze der britischen Regierung für Asylsuchende?

Fesshaye: Wenn das Innenministerium jetzt einen Asylantrag für unbegründet hält oder denkt, er sei zu spät eingereicht worden, kann jede Form von Sozialhilfe verweigert werden. Weil ich Mutter bin, habe ich mittlerweile eine Unterkunft zugewiesen bekommen. Aber andere Frauen erhalten überhaupt keine Unterstützung von den Behörden. Sie schlafen auf der Straße oder in Nachtbussen. Besonders für Frauen, die ohne Begleitung unterwegs sind, ist das natürlich sehr gefährlich.

Evans: Die neue Gesetzgebung betrifft unsere Arbeit ganz direkt. Viele Frauen, die in unser Zentrum kommen und Hilfe wollen, sind obdachlos. Durch den Absatz 55 im neuen Asylgesetz kann die Regierung zum ersten Mal in der britischen Geschichte Flüchtlinge obdachlos machen.

Fesshaye: Dabei handelt es sich nicht nur um Neuankömmlinge in diesem Land, sondern auch um viele abgelehnte Asylbewerber. Als ich auf der Straße lebte, habe ich Leute kennen gelernt, die schon sechs oder sieben Jahre hier waren. Manche werden noch am selben Tag aus ihren Unterkünften geworfen, sobald ihr Prozess zu Ende ist.

Evans: Bisher war es gängige Praxis, abgelehnte Asylbewerber zu dulden. Nun werden ganze Familien obdachlos gemacht, wenn sie das Land nicht verlassen wollen.

Der Innenminister David Blunkett hat kürzlich eine neue Gesetzesvorlage veröffentlicht. Demnach sollen abgelehnte Asylbewerber von dem staatlichen Gesundheitssystem ausgeschlossen werden. Wie können die betroffenen Flüchtlinge reagieren?

Evans: Wie sollen Menschen auf der Straße ihre Widerspruchsrechte wahrnehmen? Wie sollen sie dort eine Krankenversorgung erhalten? Tatsächlich ist bereits ein großer Teil der abgelehnten Flüchtlinge von der Gesundheitsvorsorge ausgeschlossen. Erschreckend an den Plänen der Regierung ist vor allem, dass dieser Ausschluss nun sogar gesetzlich festgeschrieben werden soll. Es ist durchaus möglich, dass dieses Gesetz demnächst in Kraft tritt.

Welche Rolle spielen dabei die Wohlfahrtsverbände?

Evans: Wir verurteilen die unklare Haltung der großen Wohlfahrtsverbände in diesen Fragen scharf. Die so genannten Flüchtlingsorganisationen müssen sich entscheiden, auf welcher Seite sie stehen. Immer mehr Frauen kommen zu uns, weil sie bei diesen Organisationen keine Hilfe erhalten.

Der Hintergrund ist, dass große Wohlfahrtsverbände wie das Refugee Council oder das Refugee Arrivals Project seit 1999 mit der Regierung Verträge abgeschlossen haben, in denen sie einerseits Millionen Pfund für ihre schlechten Unterkünfte zugesichert bekommen, aber sich andererseits verpflichten, keine Flüchtlinge zu unterstützen, auf die der Absatz 55 zutrifft. Außerdem verpflichteten sie sich, bei Abschiebungen zu kooperieren. Das bedeutet, dass Frauen wie Semret dort keine Hilfe erhalten können.

In der Praxis sieht das so aus: Um überhaupt eine Unterkunft des Refugee Council zu erhalten, müssen abgelehnte Asylbewerberinnen einen Vertrag unterschreiben, in dem sie sich verpflichten, in ihr Heimatland zurückzukehren.

Warum haben sich die Wohlfahrtsverbände auf solche Verträge eingelassen?

Evans: Mir fällt kein anderer Grund ein als Geld und Macht. Sie ignorieren nicht nur die Wahrheit, sondern sie unterstützen sogar die rassistische Politik der Regierung. Vor 1999 organisierten die Verbände Unterkünfte für abgelehnte Asylbewerber, seitdem ist damit Schluss. Es handelt sich bei ihnen um Regierungsorganisationen, quasi um eine Privatisierung. Mit dem Geld der Regierung führt eine angeblich unabhängige Organisation die Regierungspolitik aus. Es ist absurd: Nach dem Asylverfahren kommt der Brief, in dem steht, dass du deine Unterkunft verlassen musst, nicht von der Regierung, sondern von der Wohlfahrtsorganisation!

Fesshaye: Es ist für uns sehr schwierig, das in der Öffentlichkeit klar zu machen. Die Wohlfahrtsverbände gelten als »die Guten«. Unserem Zentrum wurden alle staatlichen Zuschüsse gestrichen. Und zwar nur aus dem Grund, weil wir nicht mit der Regierung zusammenarbeiten oder bei Abschiebungen mithelfen.

Worin besteht der Unterschied zwischen den Wohlfahrtsorganisationen und dem Bündnis, in dem Sie tätig sind?

Evans: Unser Interesse ist es nicht, die Flüchtlinge zu verwalten, sondern sie zu organisieren. In unserem Bündnis sprechen Asylbewerberinnen für sich selbst. Besonders die Erfahrungen von Frauen kommen in den öffentlichen Debatten ja so gut wie nie zur Sprache. Wir organisieren eine Plattform, auf der sie ihre Interessen vertreten können, ohne irgendwelche Pressesprecher, die keine Ahnung haben, wie es ist, auf der Straße zu leben.

Wie reagieren die Flüchtlinge in Großbritannien auf diese neue Situation?

Evans: Wir wissen von vielen, die in Nachtbussen übernachten, in den Notaufnahmen von Krankenhäusern. Oder sie versuchen, bei Freunden unterzukommen. Eine Frau in unserer Gruppe teilt sich ihre Wohnung mit sechs anderen. Aber es gibt keine erfolgreichen Strategien, nur einen Kampf ums Überleben, ohne staatliche Gelder, ohne Unterkunft. Und Arbeit ist sowieso verboten.

Ist die Strategie der Regierung erfolgreich?

Evans: Bisher hat sie dazu geführt, dass es für Flüchtlinge immer schwerer wird, einen Anwalt für ihr Asylverfahren zu finden. Außerdem wurde die Rechtsbeihilfe für Asylbewerber eingeschränkt. Es geht weniger darum, sie in die Illegalität zu drängen, als sie möglichst schnell außer Landes zu schaffen.

Es gibt in Großbritannien durchaus noch Möglichkeiten, etwas zu bewegen. In den vergangenen Jahren gab es eine schreckliche Hexenjagd in diesem Land, die von der Regierungspropaganda angestachelt wurde. Aber unsere Erfahrung ist auch, dass die Menschen in der Regel schockiert sind, wenn Flüchtlinge mit ihren eigenen Worten ihre Situation erklären; trotz der rassistischen Kampagnen der Boulevardzeitungen. Wir mobilisieren für Demonstrationen am 31. Januar, dem internationalen Tag gegen Abschiebungen, und bereiten eine Art Flüchtlingscamp in London vor.

Außerdem lautet eine der zentralen Forderungen für den Frauenstreiktag im 8. März: dieselbe internationale Freizügigkeit für Menschen wie für das Kapital!

Fesshaye: Es gibt große regionale Unterschiede hier. London ist erträglich, aber in Glasgow zum Beispiel ist es gefährlich. Bislang habe ich persönlich allerdings wenig Rassismus auf der Straße erlebt.