Campbells Suppe

Über die gesteuerte Meinung der Briten zum Irakkrieg. von matthias becker

Haben vor dem Irakkrieg nicht die Informationen unserer Geheimdienste das Handeln der Regierung bestimmt, sondern umgekehrt?«, fragt bange ein Kommentator der Times. Ein schrecklicher Verdacht treibt dieser Tage die Briten um; er raubt ihnen den Schlaf und den letzten Rest Vertrauen in ihr politisches System. Als vor einem Jahr die amerikanische Regierung beschloss, das Regime unter Saddam Hussein loszuwerden, sah sich ihr Bündnispartner gezwungen, einen äußerst unpopulären Krieg zu führen. Konfrontiert mit einer starken Friedensbewegung, mit Vorbehalten im politischen und militärischen Establishment und einer feindseligen Presse, nahm Premierminister Tony Blair Zuflucht zur Lüge. Nur eine dreiviertel Stunde würde es dauern, bis der orientalische Tyrann seine Massenvernichtungswaffen einsatzbereit machen könne, so die Behauptung der Regierung.

Das alles wäre kaum erwähnenswert. In repräsentativen Demokratien, und nicht nur dort, lügen Politiker; so gewöhnlich ist das, dass abgeklärten Zynikern die Erwähnung der Banalität fast peinlich ist. Die Zeiten, in denen der Souverän seinem Volk unangenehme Wahrheiten ins Gesicht sagte, sind lange vorbei, und Geheimdiplomatie und Propagandalügen gehören zum Tagesgeschäft. Der ehemalige Herausgeber der Sunday Times, Harry Evans, der den investigativen Journalismus in Großbritannien wie kein anderer prägte, empfahl seinen Kollegen, sich im Gespräch mit Berufspolitikern grundsätzlich die Frage zu stellen: »Warum lügt mich dieser verlogene Bastard jetzt wieder an?« Warum also die Aufregung über die Propagandalügen von gestern, die mittlerweile zu sieben Rücktritten und zwei Untersuchungskommissionen geführt hat? Es lohnt sich, dort anzufangen, wo sie ihren Anfang nahmen: bei dem engen Vertrauten und Berater des Premierministers, Alastair Campbell.

Er war bis zu seinem Rücktritt zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung und maßgeblich an den zwei Dossiers über die Gefährlichkeit des Irak beteiligt, mit denen die Regierung im Frühjahr 2003 die Öffentlichkeit auf ihre Seite ziehen wollte. Der oberste Spin Doctor der Nation – von ehemaligen Kollegen mit antideutschen Ressentiments auch »the Spinmeister« genannt – hat New Labour so stark geprägt wie der Regierungschef selbst, und Anekdoten über sein Geschick in der Medienmanipulation füllen einige Bücher. Der ehemalige Boulevardjournalist ist typisch für jene Medienberater, die glauben, dass auch ein Unfall in einem Atomkraftwerk mit der richtigen Presseerklärung nett verpackt werden kann. Die Massenpsychologie eines Gustave LeBon müssen sie gar nicht lesen, denn sie kennen die grenzenlose Dummheit des Volkes aus eigener Erfahrung.

Campbell selbst bestätigt immer wieder seine Überzeugung, die öffentliche Meinung lasse sich technokratisch steuern. Mittlerweile hat er das Fach gewechselt und tritt im Theater auf, wo er das zahlende Publikum mit Anekdoten aus seiner Laufbahn unterhält: »Als ich Clinton traf, schüttelte ich ihm die Hand und sagte, dass es mir ein Vergnügen sei, mit dem größten politischen Kommunikator des späten zwanzigsten Jahrhunderts zusammenzuarbeiten … Er antwortete, es sei für ihn ein Vergnügen gewesen, mit dem besten Medienberater der Welt zusammenzuarbeiten.«

Größenwahn? Wahrscheinlich. Campbells Versuch jedenfalls, die Kritik an der Regierungspolitik nach dem Irakkrieg zum Schweigen zu bringen, wurde zum Debakel und beschädigt die Labour-Regierung jetzt wie kein anderer Skandal. Das erste Kapitel im Lehrbuch der so genannten Krisenkommunikation betont, dass auf vehemente Kritik nicht mit Einlenken reagiert werden darf, weil dies als Schuldeingeständnis gewertet wird. Angriff ist die beste Verteidigung: Die Regierung, die in zahllosen Artikeln und Beiträgen verdächtigt wurde, das Volk belogen zu haben, eröffnete den Kampf um die öffentliche Meinung auf einem Nebenkriegsschauplatz. Der BBC-Reporter Andrew Gilligan hatte behauptet, die Regierung habe gewusst, dass die Sache mit der dreiviertel Stunde falsch war. Campbell begann, von der Rundfunkanstalt eine Entschuldigung und Gegendarstellung zu fordern. Schließlich wurde der Name von Gilligans Informant aus dem Verteidigungsministerium bekannt: der Experte für Massenvernichtungswaffen David Kelly.

Die Kunst des Gegenangriffs besteht darin, die Berichterstattung selbst als interessengeleitet darzustellen. In Großbritannien bietet sich hierfür die BBC an. Die öffentliche Anstalt ist zwar mittelbar vom Staat abhängig, aber hat in der Vergangenheit immer wieder die britische Regierung gegen sich aufgebracht. Die ehemalige Premierministerin Thatcher attackierte die Anstalt immer wieder, weil sich diese in Kriegszeiten beharrlich weigerte, von »unseren Truppen« zu sprechen, und das neutrale »die britischen Truppen« vorzog. Die Rundfunkgebühren machen die BBC außerdem bei den Vertretern des ganz freien Marktes unbeliebt, die schon lange den Medienmarkt weiter liberalisieren wollen. Und bei vielen Konsumenten schließlich gelten die Programme, die vor allem die Mittelschicht bedienen, als elitär.

Obwohl kein Theoretiker, dafür aber mit den Feinheiten der Medienpraxis bestens vertraut, setzte Campbell auf Image, Narration und Personalisierung. Das hätte funktionieren können, hätte sich David Kelly nicht nach seiner Vernehmung das Leben genommen. In einer Mail an einen Bekannten hatte Kelly zuvor geschrieben: »Viele dunkle Figuren spielen mit meinem Leben.« Das klang erstaunlich nach der Beschreibung von Claire Shorte, der zurückgetretenen Entwicklungshilfeministerin, die Alastair Campbell einst als »einen von denen, die im Dunkeln ihre Fäden ziehen«, beschrieb. Für die Friedensfreunde war der Experte des Verteidigungsministeriums ein Geschenk des Himmels: ein Vertreter des Establishments, der angeblich ihre Sache vertrat. Von Campbell und den Seinen sei er in den Tod getrieben worden, ein Opfer der Machenschaften einer skrupellosen Regierung. Das ist eine populäre Erzählung, die schwer zu entkräften ist, auch wenn sie einige Schönheitsfehler enthält.

Kelly glaubte durchaus an Iraks Massenvernichtungswaffen, hatte sich in der Vergangenheit nicht als Friedensfreund hervorgetan und fühlte sich von dem Journalisten Gilligan wohl ebenso verraten wie von seinem Ministerium.

Der Bericht der Untersuchungskommission unter dem Richter Lord Hutton über die Umstände von Kellys Tod hat nun die Regierung von jeder Schuld freigesprochen. Die BBC dagegen musste sich harsche Worte gefallen lassen. Kurz nach der Veröffentlichung des Berichts traten Andrew Gilligan, der Generaldirektor Greg Dyke und der Vorsitzende des Aufsichtsrates, Gavyn Davies, zurück. Letzterer ist mittlerweile vorübergehend durch Richard Ryder ersetzt worden, der in den achtziger Jahren der persönliche Sekretär Margret Thatchers war und bestimmt kein Freund der BBC. Schon jetzt gibt es Anzeichen, dass die Berichterstattung künftig freundlicher mit der Regierung umgehen wird. In der vergangenen Woche wurde sogar ein satirisches Fernsehprogramm umgeschrieben, in dem Blair scherzhaft als Lügner dargestellt wurde.

Verlorenes Vertrauen hat die Regierung, die jetzt gerne einen Schlussstrich unter die Affäre ziehen würde, deshalb nicht zurückgewonnen. Eine zweite Untersuchungskommission soll sich mit der Arbeit der Geheimdienste beschäftigen, ihren Auftrag spart die Regierung selbst wieder aus. Aktuelle Meinungsumfragen deuten darauf hin, dass immer mehr Briten den Regierungschef für einen Lügner halten – nicht trotz, sondern wegen der Spin-Maschine. Und wenigstens das ist ein gutes Zeichen.