Leser Hitler

Was Adolf Hitler wirklich las. Führers Bettlektüre, letzter Teil. von axel klingenberg

Empor ins Reich der Edelmenschen«, lautete der Titel eines Vortrages, den Karl May 1912 in Wien hielt. Er sprach über sein Buch »Und Frieden auf Erden«, das er der bürgerlichen Kriegsgegnerin Bertha von Suttner gewidmet hatte, die als Ehrengast in der ersten Reihe saß.

Auch der Bewohner eines Männerwohnheimes soll damals anwesend gewesen sein. Er wurde gut zwanzig Jahre später deutscher Reichskanzler und nahm sich dennoch immer wieder die Zeit, die Bücher des sächsischen Abenteuerschriftstellers zu lesen. Denn Adolf Hitler, so behauptete der Rüstungsminister der Nazis, Albert Speer, hätten Karl Mays Bücher so aufgerichtet »wie andere Menschen ein philosophischer Text oder ältere Leute die Bibel«.

Dass Hitler Karl-May-Fan war, ist umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass er kaum belletristische Literatur las, da er, durch seine hohe politische Position gezwungen gewesen sei, hauptsächlich »wissenschaftliche« Abhandlungen zu lesen. Es ist nicht einfach herauszufinden, von welchen Werken und Schriftstellern Hitler beeinflusst wurde, da er sowohl in offiziellen Reden als auch in privaten Unterhaltungen Quellenangaben meist vermied, vermutlich um den Eindruck zu erwecken, dass alles, was er sagte, auf seinen eigenen Gedankengängen beruhte.

Ein Teil seiner Privatbibliothek, die in der Reichskanzlei und im Berghof auf dem Obersalzberg untergebracht war, ist einsehbar. Gut 1200 Bände finden sich in einer speziellen Sammlung in der Library of Congress in Washington, DC in den USA, weitere 80 Bände stehen in der John Hay Library an der Brown University in Providence, Rhode Island. Nach Schätzungen stellen diese Bücher nur etwa zehn Prozent der gesamten Sammlung dar, der Rest ging in den Kriegswirren verloren.

Diese Bücherbestände als Erkenntnisquelle blieben von Hitlers Biografen, wie etwa Joachim Fest und Ian Kershaw, weitgehend unberücksichtigt. Erst ein Artikel in The Atlantic Monthly machte im vergangenen Jahr auf dieses Versäumnis aufmerksam. Zudem gibt es auch eine 550 Seiten umfassende Bibliographie, in der sämtliche dieser Bücher aufgeführt sind, ergänzt durch Abschriften von Hitlers handschriftlichen Anmerkungen.

Die Reste von Hitlers Privatbibliothek ergänzen die bisherigen Annahmen über das, was Hitler zu seiner bevorzugten Lektüre zählte. Die Unvollständigkeit der Büchersammlungen ist genaueren Analysen zwar hinderlich, auffallend ist jedoch, dass sich darunter alleine 200 autobiografische Werke von Teilnehmern des Ersten Weltkriegs befinden, so auch eines von Ernst Jünger, das dieser handschriftlich dem »Führer« widmete. Auch Leni Riefenstahl schenkte ihrem »lieben Führer in tiefester Verehrung« einige Bücher, davon zwei über die Olympischen Spiele sowie eine achtbändige Gesamtausgabe des nationalistischen Philosophen und Dichters Johann Gottlieb Fichte.

Einige andere Bücher wurden Hitler von Eva Chamberlain zugeeignet, die nicht nur Richard Wagners jüngste Tochter war, sondern auch die Ehefrau des antisemitischen Schriftstellers Houston Stewart Chamberlain, dessen Hauptwerk »Die Grundlagen des 20. Jahrhunderts« Hitler schon in seiner Wiener Zeit las. Eines der ältesten Bücher in Hitlers Sammlung ist eine Ausgabe von Henrik Ibsens »Peer Gynt« aus dem Jahr 1917. Übersetzt und überreicht wurde es von Hitlers frühem Weggefährten, dem Gründer des parteieigenen Verlages, Dietrich Eckardt, im Oktober 1921.

Anhand von Randnotizen, Unterstreichungen und Fingerabdrücken lasse sich dem Bericht in The Atlantic Monthly zufolge sehr genau nachweisen, welchen Büchern Hitler seine Aufmerksamkeit gewidmet habe. So fänden sich nur wenige Unterstreichungen in Paul de Lagardes »Deutsche Essays«, andere Bücher, zwei Ausgaben von Alfred Rosenbergs »Der Mythos des 20. Jahrhunderts«, scheinen gänzlich ungelesen zu sein, was mit Hitlers Äußerung übereinstimmt, er halte es für »unlesbar«. In der Fichte-Ausgabe fänden sich dagegen zahllose Unterstreichungen, Fragezeichen, Ausrufezeichen und Randbemerkungen.

Zudem hatte Hitler eine Vorliebe für obskure Literatur, die sich mit okkulten, parapsychologischen und religiösen Themen beschäftigte. Sie reicht von einer Beschäftigung mit Nostradamus bis zu einem Buch von Mathilde von Kemnitz, der Frau von Erich Ludendorff, einem ehemaligen General und Parteigänger Hitlers, der Ende der zwanziger Jahre eine völkische Religionsgemeinschaft gründete.

Vor dem Ersten Weltkrieg las Hitler, wie verschiedene Zeugen berichten, vor allem Autoren aus dem Umfeld der österreichischen so genannten alldeutschen Bewegung, in deren Milieu die abstrusesten Verschwörungstheorien gediehen. Im Mittelpunkt standen dabei meist die Juden und als deren angebliche Handlanger wahlweise Tschechen, Katholiken oder Freimaurer. Auch wenn es leicht fällt, diese dilettantischen Hobby-Historiker samt ihrer von arischen Edelmenschen belebten Urzeit und die Männerbünde selbst ernannter Adeliger mit ihrer paranoid wirkenden Frauenfeindschaft zu verspotten, so darf nicht vergessen werden, dass ihre Theorien in jener Zeit Teil des politischen und kulturellen Mainstreams waren.

Richard Wagner genoss damals eine breite Anerkennung, ja fast religiöse Verehrung. Der Kult um den Komponisten pompöser Opern, die sich meist auf den germanisch-keltischen Sagenkreis bezogen, wurde immer ausgeprägter. Nicht zufällig galten die Wagner-Festspiele während der Nazizeit als ein wichtiges gesellschaftliches Ereignis. Auch Hitler waren dessen antisemitische Schriften schon früh bekannt.

Und was hatten nun Winnetou und Old Shatterhand auf des Führers Nachttischchen zu suchen? Es ist nicht verbürgt, dass Hitler Mays gewissermaßen antiamerikanische, gegen die »Yankees« gerichtete Phantasien von einer »neuen germanisch-indianischen Rasse jenseits des Atlantic, deren Prototyp Winnetou ist«, bekannt waren. Verbürgt ist jedoch, dass Hitler seinen Militärs den Indianerhäuptling als »das Musterbeispiel eines Kompanieführers« nahe legte.