Der Runde muss ins Eckige!

Die Verhaftung seines Präsidenten hat bei den Fans des TSV 1860 Begeisterungsstürme entfacht. von elke wittich

Einen Imageberater dürfte Karl-Heinz Wildmoser senior nicht konsultiert haben, bevor er sich kurz nach der Entlassung aus der Untersuchungshaft unter anderem im »Aktuellen Sportstudio« des ZDF präsentierte. Denn der hätte ihm wahrscheinlich dazu geraten, in einigen kurzen Sätzen seine Unschuld zu beteuern, ein bisschen darüber zu sprechen, wie traumatisch die Festnahme gewesen sei, und zu erzählen, wie schockierend es ist, sich als bis dato unbescholtener Leistungsträger dieser Gesellschaft von einer Minute auf die andere in einer Gefängniszelle wiederzufinden.

Aber Wildmoser schwadronierte unverdrossen los: Irgendwie seien »die Roten« Schuld, konnte man dem granteligen Geschwurbel entnehmen, also in etwa die Bayern und die SPD, wobei Franz Beckenbauer ja irgendwie auch Steuern hinterzogen habe, dies aber der Öffentlichkeit verschwiegen werde. Und selbstverständlich sei er, Wildmoser senior, völlig unschuldig. Dass die Süddeutsche-Zeitung gerade berichtet hatte, er habe persönlich Dokumente abgezeichnet, in denen zumindest teilweise der Eingang von Schmiergeldern erkennbar gewesen sei, interessierte den 1860-Präsidenten nicht, aber klarstellen wollte er auch nichts. Er lese das »Käseblatt« nicht, beschied er dem verdatterten Moderator Rudi Cerne kurz und bündig, denn »die haben keine Ahnung vom Sport«.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt begann bei den zuschauenden Fans des TSV 1860 München das große Schämen. Der Auftritt sei »arrogant« und »selbstherrlich« gewesen, schrieben sie unter anderem im größten 1860-Internet-Forum (1860.foros.de). Der Verein bietet seinen Anhängern seltsamerweise keine Möglichkeit, sich direkt auf der offiziellen Homepage auszutauschen. So gesehen eine gute Entscheidung, denn statt Mitleid gab es ohnehin ausschließlich Hohn und Spott für Wildmoser. »Am geilsten war seine Aussage im Sportstudio: ›Es tut mir leid, dass meinem Sohn das passiert ist.‹ Tja, so geht’s halt, wenn man Kinder hat ... Nix als Ärger mit den kleinen Rackern, ständig machen sie irgendwelche Dummheiten!« – »Wehe, meinem passiert mal so eine Dummheit und er kommt mit 2,8 Millionen nach Hause!«

Selbst Anhänger anderer Vereine fragten sich: »Wer hat den denn wohl auf Selbstdemontage-Tour durch die Medien geschickt? Ist ja megapeinlich, wie sich dieser, so wirkt es jedenfalls, plump-gierige Mensch reinwaschen will, der wilde Moser, der!«

Und so regnete es folgerichtig auf die verzweifelte Frage eines seine Wildmoser-Leiden adäquat illustrieren wollenden Users »Wo ist bloß das Kotz-Smilie?« förmlich kleine, gelbe, sich erbrechende Virtual-Kugeln, bis schließlich jemand fragte: »Wird jetzt in allen Threads gekotzt?«

Karl-Heinz Wildmoser scheint jedoch keinen Internet-Zugang zu haben. Denn sonst hätte er nach seiner Haftentlassung nicht so fröhlich verkündet, dass man ihm im Knast mit viel Freundlichkeit begegnet sei. Eigentlich seien alle dort 1860-Fans gewesen, berichtete er. Was entweder kein gutes Licht auf die Löwen-Anhänger wirft oder bedeutet, dass nur der dümmere Teil der Vereinssupporter einsitzt.

Denn diejenigen Weiß-Blauen, die sich auf freiem Fuß befinden, können ihren Präsidenten schlicht nicht ab. Und sie freuen sich daher sehr über die Bestechungsvorwürfe gegen die Wildmosers.

Eigentlich ist das ungewöhnlich, denn üblicherweise nehmen Fans Angriffe von außerhalb auf die Vereinsführung sehr, sehr übel, selbst wenn sie das Präsidium eigentlich nicht mögen.

Am letzten Dienstag um Punkt 11 Uhr 08 war es mit der Ruhe im 1860-Forum vorbei. Das Posting von User »nell«, der im Radio von der Festnahme der Wildmosers gehört hatte, löste große Begeisterung aus. »Ein Wunder« sei geschehen, freute man sich, »wir werden den Dicken und seinen greisligen Buam los!«

Die meisten konnten es zunächst kaum glauben. »Ja, ist denn heut’ schon Weihnachten?« Und als die vage Radiomeldung offiziell bestätigt wurde, sahen sich die meisten endlich am Ziel: »Jetzt ist er endlich weg!« Persönliche Rückschauen (»Ich hatte die Hoffnung schon aufgegeben und dachte, uns stehen noch 40 Jahre Wildschweinmoser-Diktatur bevor! Zuerst noch fünf Jahre Senior, dann der Junior...«) und Zukunftsfragen (»Heißt das, der Verein gehört jetzt wieder uns?«) wurden ebenso gepostet wie Pläne für das Leben »ohne den Sausack« und die Aufforderung, sich um 18 Uhr zu einer kleinen Freudenfeier vor der Geschäftsstelle zu versammeln.

Selbst dem Erzrivalen gegenüber gab man sich angesichts »dieser großartigen Nachricht« tolerant. Hämische Bayern-Kommentare, die die Auflösung des TSV prophezeiten oder wenigstens den Zwangsabstieg in die fünfte Liga, wurden zunächst mit dem Verweis auf die Rechtslage gekontert, bis man einem besonders hartnäckigen Roten kurz und knapp beschied: »Geh du jetzt mal nach Hause und lass uns hier unsere eigene Party feiern!«

Denn rasch hatte sich herausgestellt, dass der Verein für die seinem Präsidenten zur Last gelegten Machenschaften nicht bestraft werden kann – ein Umstand, der wenig später im Forum von Hertha BSC Berlin bedauernd zur Kenntnis genommen wurde, denn dort hatte man schon frohlockt, dass »neben Köln damit auch 1860 schon als Absteiger feststeht und wir also so oder so in der Liga bleiben!«

Besser, jedenfalls aus Sicht der Wildmoser hassenden Löwenfans, die ihrem Präsidenten neben »selbstherrlichem Regierungsstil« auch noch vorwerfen, ohne Not das traditionsreiche Grünwalder Stadion gegen »einen später dann sicherlich von den Bayern dominierten seelenlosen Neubau« eingetauscht zu haben, ist, dass es sich bei den Vorwürfen gegen Wildmoser um genau diesen Neubau einer »Allianz-Arena« handelt.

So herrschte also viel Freude in den 1860-Foren, bis Wildmoser senior am Wochenende plötzlich und unerwartet aus der U-Haft entlassen wurde. Viele Fans befürchten seither, dass die Ära ihres Präsidenten doch länger als erhofft dauern könnte. Damit niemand auf die Idee kommt, sie stünden hinter Wildmoser, wird derzeit eifrig an Slogans gebastelt, die den restlichen Präsidiumsmitgliedern zeigen sollen, wie die Stimmung unter den Supportern tatsächlich aussieht. Zumal »das Ekelpaket« vollmundig ankündigte, »selbstverständlich« beim sonntäglichen Spiel gegen Stuttgart auf der Tribüne sitzen zu wollen.

»Wir müssen was anderes rufen als ›Wildmoser raus!‹, denn das ist er ja schon«, versuchte ein User in einem selbstverständlich mit Kotzkugeln illustrierten Beitrag, das Rufen eventuell zweideutig auslegbarer Parolen rechtzeitig zu unterbinden. Viel schöner seien doch Spruchbänder, auf denen etwa Wildmoser eine Zukunft als »Präsident des FC Stadelheim!!« prognostiziert werde, denn dort steht der Knast.

»Wenn wir das nur klar genug machen, dann wird sich auch beim Letzten die Erkenntnis durchsetzen, dass der Mann für den Verein nicht mehr tragbar ist – und seine Vasallen gleich mit in die Wüste geschickt werden müssen!«

Denn, so heißt es überzeugend: »Das Runde muss ins Eckige! KHW ins Zuchthaus!«