»Die reine Nation beschmutzen«

Boban Stojanovic

Die Situation der Homosexuellen in Serbien ist weiterhin geprägt von Intoleranz. Nach gewalttätigen Angriffen auf eine Demonstration von Schwulen und Lesben vor drei Jahren soll nun am 17. Juli wieder eine Gay Pride Parade in Belgrad stattfinden. Boban Stojanovic von der Vorbereitungsinitiative erklärt, auf welche Schwierigkeiten sie trifft. Mit ihm sprachen Claudia Lichnofsky und Boris Kanzleiter.

Vor drei Jahren wurde die Gay Pride Parade in Belgrad brutal überfallen und konnte deshalb nicht stattfinden. Wie sieht der Alltag Homosexueller in Serbien heute aus?

Obwohl man in den vergangenen Jahren mehr über schwul-lesbische Rechte spricht, ist die Situation nicht besser geworden, besonders in der Provinz. Inzwischen geht zwar ein Teil der jüngeren Schwulen und Lesben viel schneller mit seiner Identität an die Öffentlichkeit. Nicht selten passiert es aber, dass sie deswegen von ihren Eltern rausgeworfen werden. Hier ist es ohnehin schwierig, einen Job zu finden, eine eigene Wohnung zu bezahlen, die grundlegenden Lebensbedingungen zu sichern. In diesem Kontext ist die Stellung der Schwulen und Lesben sehr schwierig.

Was hat sich vor drei Jahren genau ereignet?

Es war einfach schrecklich. Auf der einen Seite war eine kleine Gruppe Schwuler, Lesben und Bisexueller, auf der anderen Seite eine Menge Hooligans, Nationalisten und Skinheads. Einer ihrer Anführer war ein Priester der serbisch-orthodoxen Kirche. Mit seinem Segen haben die Randalierer die Schwulen und Lesben verprügelt, die sich trauten, ihre Sexualität sichtbar zu machen. Die Polizei reagierte nicht. Die Straße war blutig. Niemand kam zu Tode, aber viele Leute wurden brutal zusammengeschlagen. In der Folge haben sich viele schwul-lesbische Aktivisten politisch zurückzogen. Wenn wir auf unseren Partys die Leute dazu einladen, sich der Pride-Parade anzuschließen, lautet häufig die Antwort: »Ich möchte mich nicht umbringen!«

Am 17. Juli wollen in Belgrad Schwule und Lesben auf die Straße gehen, um gegen Homophobie zu demonstrieren. Besteht nicht die Gefahr, dass sich dann etwas Ähnliches ereignen wird wie vor drei Jahren? Die lesbische Gruppe »Labris«, welche die Gay Pride damals mitgetragen hat, unterstützt die diesjährige Parade aus Angst vor erneuten Übergriffen nicht.

Die Möglichkeit, dass das noch einmal passieren kann, besteht. Häufig besuche ich Foren auf nationalistischen Internetseiten und bemerke, dass Nationalisten, Hooligans und Traditionalisten eine Gegendemo planen. Es ist sehr schwierig vorherzusehen, was alles passieren kann. Ich fürchte mich vor allem davor, dass sie zur Bewaffnung aufrufen, um »serbisches Blut und serbische Ehre« zu verteidigen. Dabei scheinen sie sogar bereit, Tote in Kauf zu nehmen. Besonders wichtig ist die Verknüpfung der serbisch-orthodoxen Kirche und verschiedener faschistischer Gruppen. Klerofaschistische Gruppen publizieren eigene Zeitschriften, veranstalten Podiumsdiskussionen und sind in der Öffentlichkeit sehr aktiv. Da wundert es nicht, dass einige schwul-lesbische Gruppen nicht auf die Straße gehen wollen. Angst ist eine legitime Kategorie und nicht zu verurteilen. Aber auf der anderen Seite muss man etwas tun.

Wie haben die Kriege, die autoritären Herrschaftsformen und sozialen Umbrüche der vergangenen Jahre in Serbien die Geschlechterverhältnisse allgemein verändert?

Zu Beginn der Kriege haben viele Menschen angefangen, ihre nationale Identität zu verändern. Es war nicht mehr möglich, einfach »Jugoslawe« zu sein. Im Kriegswahnsinn wurde es vielmehr wichtig, sich einer bestimmten nationalen Seite in der auseinanderbrechenden Gesellschaft zuzuordnen. Die damaligen Politiker haben angefangen, eine neue serbische Identität zu kreieren, die sich auf angeblich traditionelle Werte beruft. In Wirklichkeit war das nur eine Maske für die Bedürfnisse der Milosevic-Regierung. Die Stellung von Männern und Frauen in der Gesellschaft wurde neu bestimmt. Es wurde darüber gesprochen, wie ein »serbischer Hausherr« aussehen soll. Bei allem bezog man sich auf eine angebliche »Natürlichkeit«. Schwule und Lesben sind vor diesem Hintergrund nur Personen, die die »reine serbische Nation« beschmutzen.

Auf einer Podiumsdiskussion hat ein junger Nationalist gesagt, dass seine Tochter niemals Lesbe sein wird, solange in ihr »sauberes, gesundes, serbisches, männliches Blut« fließt. Diese Aussage ist nichts anderes als reiner Faschismus, aber die Regierung und die Menschen erkennen das nicht. Die serbische Kirche, die während des Krieges Verbrechen unterstützte, will jetzt so viele Gläubige gewinnen wie möglich, so dass ihre Verbrechen im Namen des Volkes gerechtfertigt werden. In Belgrad wird derzeit die größte orthodoxe Kirche der Welt fertig gebaut, der Tempel des Heiligen Sava. Dieses Bauwerk wurde unter anderem mit Spenden von Leuten finanziert, die auf den Kriegsschauplätzen raubten und Menschen abschlachteten. Interessanterweise folgen aus der Mobilisierung der nationalen und religiösen Mythologien auch andere Probleme, die man nicht vorhersehen kann. Als wir vor einiger Zeit den 17. Juli als Tag der Gay Pride festlegten, haben wir nicht bedacht, dass an diesem Tag der große nationalistische Tschetnik-Führer Draza Mihajlovic gestorben ist oder dass am selben Tag die russische Zarenfamilie ermordet wurde, mit der sich die serbischen Nationalisten traditionell identifizieren.

Wer organisiert die Gay Pride und wie wird sie vorbereitet?

Der Hauptinitiator des ganzen Ereignisses ist die Vereinigung »Belgrade Pride«. Wir arbeiten bis jetzt ohne Büroräume und irgendwelche größere finanzielle Unterstützung. Aber wir arbeiten mit einigen Gruppen zusammen, so mit der Antikriegsorganisation »Frauen in Schwarz«, die uns von Beginn an unterstützen. Wir brauchen viel Geld, vor allem für private Sicherheitsdienste, die unabdingbar sein werden. Bis jetzt gibt es keine Honorare für das, was wir tun, aber es ist uns sehr wichtig, dass die Frage der Rechte der Schwulen, Lesben, Bi- und Transsexuellen in die Öffentlichkeit kommt. Die Arbeit auf theoretischer Ebene, die sich immer auf die gleichen Kreise von Leuten begrenzt, reicht uns nicht. Wir wollen heraus auf die Straße.

Wie der Tag genau verlaufen wird, hängt aber nicht zuletzt von der politischen Situation und der Sicherheitslage ab. Uns ist es wichtig, dass an diesem Tag die Menschen endlich sehen, dass wir existieren und auch dass die Gay Pride nicht nur eine Parade der Sonderbaren ist, sondern eine politische Frage.

Von welchen politischen Kräften aus Serbien erwartet Ihr Unterstützung? Erwartet Ihr Unterstützung aus dem Ausland?

Natürlich erwarten wir das. Wir betreiben Lobbyarbeit in der ganzen Welt, damit Leute kommen und uns unterstützen, weil das einer der Wege ist, Druck auf die Polizei auszuüben, dass sie ausländischen Bürgern Sicherheit garantiert. Außerdem würde die Ankunft von Aktivisten aus der ganzen Welt zeigen, wie viel Solidarität zwischen schwul-lesbisch-bisexuell-transgender-Gruppen weltweit existiert. Auf eine offene Unterstützung der politischen Parteien hoffen wir dagegen seit den Wahlen im Dezember 2003 nicht mehr. Denn auch die »demokratischen« wollen nicht als »Schwuchtel-Parteien« bezeichnet werden.

Mehr Informationen unter: www.belgradepride.org