Schall und Rauch

Zehn Jahre Cannabisurteil des Bundesverfassungsgerichts von hansjörg fröhlich

Derzeit ist »Reform« das Lieblingswort der Politiker. Reform des Gesundheitswesens, Rentenreform, die Reform der Reform. Reformstau. Die hektische Suche nach Konzepten bestimmt die Politik und ermüdet die Wähler. Doch bestimmte Themen, die einem Teil der Bevölkerung am Herzen liegen, werden ignoriert, erst recht wenn sie nicht zur populistischen Rhetorik von Aufschwung, Verzicht und Sicherheit passen.

Vor zehn Jahren, im März 1994, verkündete das Bundesverfassungsgericht (BVG) das so genannte Haschisch-Urteil. Das oberste deutsche Gericht stellte in seinem Beschluss fest: »Das gesundheitliche Gefahrenpotenzial von Haschisch wurde in der Vergangenheit wahrscheinlich überschätzt. Die gesundheitlichen Gefahren sind bei Alkoholkonsum wahrscheinlich höher. Die Strafverfolgung von Haschischkonsumenten wird in den Bundesländern unterschiedlich gehandhabt. Dies ist ein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.«

Der Gesetzgeber wurde aufgefordert, die Gesetzesmäßigkeit der verhängten Strafen zu prüfen und für eine in allen Bundesländern einheitliche Rechtspraxis zu sorgen. Bald zeigte sich damals, dass die Länder sich im Bundesrat nicht auf eine einheitliche Mengenregelung einigen wollten. Trotzdem kam es bisher zu keiner Neuregelung durch den Bundestag.

Zuletzt beschloss die Justizministerkonferenz der Bundesländer im November 2002, mit einer Angleichung der Regelungen zur straffreien Verfahrenseinstellung bei geringen Mengen von Cannabis (Paragraf 31a Betäubungsmittelgesetz) auf eine Studie des Max-Planck-Instituts zu warten, die voraussichtlich im Sommer dieses Jahres abgeschlossen sein wird.

Eine existierende Studie der kriminologischen Zentralstelle Wiesbaden aus dem Jahre 1997 hat bereits »teilweise gravierende Unterschiede bei der Handhabung des Paragrafen 31a BtMG in den einzelnen Ländern« festgestellt. Diese Studie wurde jedoch von den Ministern so interpretiert, »dass die Einstellungspraxis der Strafverfolgungsbehörden den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts im Wesentlichen entspricht«, was im krassen Gegensatz zu den Kernaussagen der Studie steht. Seit dem Frühjahr 2002 hängt zudem eine Normenkontrollklage des Amtsgerichts Bernau in der Warteschleife des BVG. Zur Klage kam es, weil ein Staatsanwalt während eines Verfahrens Gesetzgeber gespielt hatte, indem er kurzerhand den Grenzwert der geringen Menge veränderte.

Auf Anfrage beim Bundesverfassungsgericht, wie mit der zehnjährigen Ignoranz des Gesetzgebers zu verfahren sei, sagte die Sprecherin Gudrun Schraft-Huber der Jungle World: »Wir können nicht bei jedem Jahrestag einer Entscheidung Stellung nehmen.«

So sieht es also aus. Das BVG, das zu jedem beliebigen Anlass als Garant der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gepriesen wird, kann in dieser Sache urteilen, wie es will, es wird einfach nicht berücksichtigt. Hauptsache, die Richter in den roten Roben wurden angehört, danach geht man wieder zum parteipolitisch Gewünschten, zum Tagesgeschäft über.

Mit einer sinnvollen Praxis, die von Ermittlungsverfahren bei Mengen bis – sagen wir – 50 Gramm Haschisch absieht, und mit Coffeeshops in Deutschland ist in Zukunft nicht zu rechnen. Kiffer werden also auch in den nächsten zehn Jahren das Genussmittel ihrer Wahl im Knast oder noch in Freiheit, jedenfalls im reformfreien Raum genießen, und zwar steuerfrei, versteht sich.