»Der Subjektbegriff reicht nicht aus«

Marlene Streeruwitz
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Marlene Streeruwitz gilt als eine der bedeutendsten österreichischen Schriftstellerinnen der Gegenwart. Sie erhielt unter anderem den Mara-Cassens-Preis des Literaturhauses Hamburg (1997), den Hermann-Hesse-Literaturpreis (2001) und den Walter-Hasenclever-Literaturpreis der Stadt Aachen (2002). Nach Hörspielen und Dramen schreibt sie seit Mitte der neunziger Jahre auch Romanprosa, im April erscheint ihr neues Buch »Jessica, 30« im Fischer-Verlag. Sie lebt in Wien, dort unterhielt sich Lisa Mayr mit ihr.

Weil die ÖVP-Kandidatin für das Bundespräsidentenamt, Benita Ferrero-Waldner, ihn Ihnen übereichen sollte, haben Sie jüngst den Badener Kulturpreis abgelehnt. Dabei ist er doch einer der bedeutendsten Kulturpreise in Österreich. Warum machen Sie sowas?

Der Preis an sich unterscheidet sich nicht von allen anderen. Ich halte Kulturpreise in der jetzigen Zeit als finanzielles Notpflaster und auch als Öffentlichkeit für Kunst- und Kulturschaffen für absolut wichtig. Das Problem ist die Übergabe durch Benita Ferrero-Waldner. Sie führt Wahlkampf, und es ist klar, dass man da vereinnahmt wird. Ich habe starke Vorbehalte gegen die Außenministerin in ihrer Amtsfunktion. Ich erinnere an Genua, wo sie sich über die Künstler und Künstlerinnen der österreichischen Volxtheater-Karawane verächtlich und denunziatorisch geäußert hat. Die Verfahren gegen die so genannten verdächtigen Subjekte sind mittlerweile eingestellt, die italienischen Polizisten stehen vor Gericht und ich denke, dass eine Entschuldigung angebracht wäre. Denn ich halte es nicht für eine natürliche Folge von Kunstausübung, dass man mit polizeistaatlichen Methoden in Konflikt gerät.

Ferrero-Waldner versteht sich nach eigener Aussage »zu allererst als Mensch und erst dann als Frau«. Was halten Sie von einem solchen Satz?

Die Außenministerin repräsentiert alles, was einem ermöglicht wird, wenn man die Geschlechterdifferenz nicht mitdenkt: Sie kann sich als konservative Frau dadurch ermächtigt fühlen, wie ein Mann zu handeln, wenn wir die anthropologische Erinnerung von Mensch und Mann hier voraussetzen. Das macht stark und ist verführerisch für viele Frauen, die sich direkt in eine Grundstruktur von Zweitrangigkeit einordnen. Es erlaubt, wie ein Mann zu handeln und zwingt gleichzeitig, alle Probleme von Frauen zu verstecken. Etwa alle strukturellen Behinderungen, die Frauen jeden Tag erleben. Die gibt es dann einfach nicht mehr, die müssen ausgeblendet werden. Das führt zu der Dissolidarität dieser Frauen untereinander, weil es kein gemeinsames weibliches Bewusstsein geben kann, sondern immer nur ein männliches. Es gibt die Frau nicht, sie ist ausgelöscht. Das ist politisch sehr praktisch für eine bürgerlich-neoliberale Partei. Und dem will ich einfach nicht mehr nahe kommen. Weil ich aus genau dieser Welt komme als Tochter eines ÖVP-Politikers in einer bürgerlichen Kleinstadt.

Welche Erfahrungen von Unterdrückung und struktureller Benachteiligung von Frauen machen Sie im Kulturbetrieb?

Frauen werden heute so lange im Markt der Möglichkeiten gehalten, bis ihre Bewusstseinsunschuld aufgebraucht ist oder so lange sie ihr Bewusstsein nicht nach außen kehren und schwierig werden, weil sie Benachteiligungen aufdecken. Das ist es, was das Patriarchat immer gemacht hat: Es ermächtigt junge Frauen, gegen ältere und gegen die, die sich nicht einordnen, loszugehen. Ich verweise hier auf den Konflikt Feldbusch-Schwarzer, bei dem das ganz offensichtlich wurde. Im Kulturbetrieb wird der Betreuungs- und im weitesten Sinn der Hostessenbereich immer den Frauen zugeschoben. Dieses Zuarbeiten in Sekundärhaltungen ist eine Katastrophe.

Bleibt Frauen nichts anderes übrig?

Die ganze Gesellschaft beruht darauf. Wenn ich an die Koedukation denke: Die basiert darauf, dass das Sozialpotenzial von Mädchen dafür verwendet wird, ganze Klassen in Zaum zu halten. Jobs, die Machtlosigkeit und politische Äußerungsunmöglichkeit verbinden, sind politisch natürlich eine Katastrophe. Was ich noch mehr beklage, besonders im Kultur- und Medienbereich, sind die Volontariate und Praktika von Frauen. Unglaublich viele geschickte junge Frauen halten ohne Bezahlung ganze Medien in Betrieb und werden nach spätestens zwei Jahren ausgewechselt. Ich kenne Legionen von arbeitslosen Kulturjournalistinnen in Berlin, die überhaupt nie wieder eine Chance haben werden und die von den jungen Männern in den Redaktionen mit einem Hui überholt wurden, die dann als Abteilungsleiter die ersten sind, die diese Frauen entlassen. Es gibt keinen Schutzraum.

Das sind doch Schemata, die sich auch in der Linken finden: Gerade jene Bereiche, in denen es um Selbstaufgabe geht, um das oftmals unbezahlte Arbeiten an einer »großen Idee«, bauen ja stark auf dieser unsichtbaren Arbeit von Frauen auf.

Die Linke hat neuerlich nicht signalisiert, dass sie die Frauenfrage nicht mehr als Nebenwiderspruch behandeln wird. Ich glaube, dass der Subjektbegriff, den die Linke heute verweigert, und über den sie sich natürlich schon im Proletariat hätte Gedanken machen müssen, für die Lebenspraxis von Frauen nicht ausreichend ist.

Sie berichteten jüngst über eine Veranstaltung von Rotariern, auf der sie über Frauen im Kunstbetrieb referierten. Entspricht ein Auftritt vor so einem männerbündischen Verein nicht dem freiwilligen Gang in die Löwengrube?

Für das, was ich mache, gibt es die Verpflichtung zur Veröffentlichung. Ich bin in Österreich von niemandem abhängig und kann und muss mir das daher leisten. Es geht darum, eine bestimmte politische Klasse, die Österreich bestimmt, zu beschreiben. Das sind Personen mit viel Macht, die sich versammeln und über Rahmenbedingungen entscheiden, jeden Tag einzeln und insgesamt als pressure groups und Lobbys im Großen und Allgemeinen. Es ist interessant zu sehen, wie deren innere Öffentlichkeit aussieht und welche Formen von Eingrenzung und Ausgrenzung vorhanden sind. Ich habe festgestellt, dass mir dabei nicht einmal mehr die bürgerliche Existenz der Dame zugestanden wird, sondern dass Frauen, weil diese Männer wiederum so denken wie die Außenministerin, da gar nicht vorhanden sind.

Sie sagten einmal, dass unter dem neoliberalen Effizienzdenken Belastungen auf alle verteilt werden, dass es aber in jenen Bereichen, wo Profite zu realisieren sind, plötzlich wieder um die Eigentumsfrage geht. Wie sehen sie als Literatin den Eigentumsbegriff im Bereich der Urheberschaft?

Das Internet spielt hier eine fatale Rolle. Es verstärkt konservativ-reaktionäre Muster, etwa in Form von Ausbeutung. Es sind neue Zusammenschlüsse notwendig, da der vollkommene Zusammenbruch der Distributionskanäle für Kunst und Kultur von allen ein hohes Maß an politischer Effizienz erfordert. Ich verkaufe meine Bücher in Deutschland beispielsweise in einer Kette, die einem großen Parfümeriekonzern gehört. Bei den Büchern ist es wie bei den Düften: Wenn drei Tage lang nichts von mir verkauft wird, falle ich aus dem Warenangebot. Das sind erschreckende Vorgänge, die mit der Bewegungsform Geist und mit geistiger Auseinandersetzung überhaupt nichts zu tun haben. Im Internet funktioniert es genauso: Man verschwindet schnell, wenn man nicht angefragt wird. Und das führt zur Auslöschung von vielen Möglichkeiten. Wir werden alle in große Bereiche gezwungen, in denen uns nichts anderes übrig bleibt, als uns in unserer gesamten Person kolonialisiert einzuordnen. Und da ist es ganz wichtig, sich Räume offen zu lassen.