Perlen vor die iPods

Nachruf auf den Plattensammler von axel grumbach

Das tonträgerlose Zeitalter begann so um die Jahrtausendwende, als MP3 und das Internet eine Revolution ermöglichten, die das Musikgeschäft komplett veränderte. Die von den Musikkonzernen zunächst verschlafene Entwicklung war auch einer der Gründe für den beispiellosen Niedergang einer Branche – in Deutschland 50 Prozent Umsatzeinbruch in den letzen vier Jahren –, die nun hofft, mit der Doppelstrategie aus legalem Download-Angebot bei gleichzeitiger Strafverfolgung illegalen Herunterladens wieder halbwegs auf die Füße zu kommen.

Für den physischen Tonträger bedeutet dies trotzdem noch nicht das endgültige Aus. Während die Jugend immer weniger Musik kauft, halten ihm doch wenigstens die geburtenstarken Nachkriegsjahrgänge einigermaßen die Treue, jedenfalls im angloamerikanischen Raum. Diesen Trend belegen neue Zahlen aus Großbritannien, wo 2002 zum ersten Mal die 40jährigen zu fast 20 Prozent die größte Käufergruppe bei Musikalben stellen, während unter den 20- und 30jährigen der Anteil kontinuierlich abnimmt. Dies hat einerseits sicherlich demografische Gründe, ist aber auch bedingt durch eine andere Form kulturindustrieller Sozialisation. Für die Generation der unter 30jährigen, für die es normal geworden ist, dass ihnen ein Song zuerst als Handyklingelton, Filmsoundtrack, Musikvideo, Computerspieluntermalung u.a. begegnet, ist Musik in ihrer allgegenwärtigen Verfügbarkeit eine Sache, die mit allen geteilt und getauscht wird.

Der klassische Plattensammler, der viel Zeit und Geld in seine Leidenschaft investiert hat, würde den Vorwurf des Fetischcharakters seiner nüchtern betrachtet als Warenanhäufung bezeichneten Tätigkeit entrüstet zurückweisen. Erst recht seitdem sein Tun durch Nick Hornby in »High Fidelity« höhere Weihen bekommen hat: »Plattensammeln ist nicht so wie Briefmarken oder Bierdeckel oder antike Fingerhüte sammeln. Da steckt eine ganze Welt drin, eine schönere, schmutzigere, gewalttätigere, friedlichere, farbenfrohere, schlüpfrigere, gemeinere und liebevollere Welt als die, in der ich lebe.«

Trotzdem werden Selbstbild und Identität des Plattensammlers regelmäßig erschüttert, wenn ein dowloadender Jugendlicher in ein paar Monaten seinen zigarettenschachtelgroßen MP3-Player randvoll mit ebenso viel Musikgeschichte gestopft hat, wie der Collector es nur durch jahrelanges Durchforsten von Plattenläden schaffte. Das scheibenweise erworbene Gefühl der Exklusivität ist verloren gegangen, das vermeintliche Geheimwissen offenbart. Es ist nun für jedermann verfügbar im Internet. Die große coole Plattensammlung, die stolz die Stationen der individuellen musikalischen Sozialisation repräsentierte, hat für den Sammler selbst zwar noch einen großen Wert, aber nicht mehr so sehr für seine unmittelbare Umgebung: Immer seltener wird er von seinen Mitmenschen gefragt, ob er vielleicht so gnädig ist, von seinen raren Perlen die eine oder andere Aufnahme zu machen. Er wird zwar weitherhin seiner lebensinhaltsformenden Tätigkeit nachgehen, aber nicht mehr mit dem Stolz und der Arroganz früherer Zeiten, und in spätestens 40 Jahren wird das letzte Exemplar seiner Spezies ausgestorben sein. Zum Glück.