Die urbanen Kämpfer

Zur Entstehung und Bedeutung der Self-Defence Units. Von Alex Veit
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Vor 14 Jahren war Phola Park ein Squatter Camp, eine informelle Siedlung am Rande des Township Thokoza südöstlich von Johannesburg. Die Siedlung ohne Strom und Wasser, die im Wesentlichen aus einfachen Wellblech- und Papphütten bestand, beherbergte mehrere zehntausend Menschen. Am Sonntag, dem 12. August 1990, wurde eine Einwohnerversammlung der Resident’s Association von einigen Männern aus einem benachbarten Wanderarbeiterheim unterbrochen. Sie seien, so berichteten die Männer, von anderen Bewohnern ihres Heims, »den Zulus«, mit Gewalt aus ihren Zimmern vertrieben worden. Die Versammlung beschloss, die Vertreibungsopfer in Phola Park aufzunehmen, um weitere gewaltsame Konfrontationen zu vermeiden.

In der folgenden Nacht griffen einige hundert zulusprachige Wanderarbeiter Phola Park an. Die Bewohner der informellen Siedlung verteidigten sich, wie es die chaotische Situation zuließ. Es kam zu einem Kampf, bei dem die Angreifer auch schossen.

Die anwesenden Polizeikräfte griffen nicht ein. Erst am frühen Nachmittag des nächsten Tages bezogen sie Positionen zwischen den gegnerischen Gruppen. Doch sie verfolgten oder verhafteten nicht etwa die Angreifer, sondern setzten Tränengas gegen die aufgebrachten Bewohner von Phola Park ein. Auf einem Feld unweit der Siedlung wurde daraufhin eine weitere Versammlung abgehalten. Die Teilnehmer beschlossen, sich auf einen länger anhaltenden gewaltsamen Konflikt vorzubereiten und von nun an ihre Verteidigung gemeinsam zu organisieren.

Das war die Geburtsstunde der Phola Park Self-Defence Unit (SDU). Er war eine von Hunderten solcher kollektiven, von Township-Bewohnern gegründeten Verteidigungseinheiten. Insbesondere im Reef, der industrialisierten Region um Johannesburg, aber auch in vielen anderen städtischen und ländlichen Gegenden Südafrikas waren solche bewaffneten Gruppen aktiv.

Obwohl die Bewohner von Phola Park sich nicht auf einen Krieg vorbereiteten, waren sie nicht völlig ahnungslos. Bereits drei Wochen vor den ersten Angriffen auf ihre Siedlung war es in Sebokeng, einem südlicher gelegenen Township, nach einer Demonstration der Inkatha Freedom Party (IFP) zu einem Massaker gekommen, bei dem 27 Menschen starben.

Ein Konflikt zwischen Anhängern des ANC und der IFP innerhalb eines Wanderarbeiterheims, eines so genannten Hostels, griff schnell auf Wohnviertel über, die als politisches Einflussgebiet des ANC galten. Beinahe gleichzeitig überfielen so genannte Hit Squads in Soweto Vorortzüge. Auch aus Crossroads, einem Squatter Camp im benachbarten Township Katlehong, berichteten Anfang August Bewohner von uniformierten Männern mit auffälligen roten Stirnbändern, die die informelle Siedlung angegriffen hatten.

Die dritte Kraft

Die politische Wende, die Präsident Frederik Willem de Klerk im Februar 1990 mit der Wiederzulassung des ANC und der Ankündigung von Verhandlungen über eine neue staatliche Ordnung einleitete, wurde von vielen weißen Politikern und Angehörigen der Polizei und der Armee nicht begrüßt. Viele von ihnen hofften auf ein Scheitern der Verhandlungen.

In den achtziger Jahren waren die Mitglieder des militärisch-bürokratischen Apparats, die so genannten Securocrats, innerhalb des Regimes immer wichtiger geworden. »Sicherheit« für den Staat und die weißen Bürger war die wichtigste Aufgabe der Apartheidsregierung, und ihre Gewährleistung wurde mit allen legalen und illegalen Mitteln durchgesetzt. Wie die oft klandestin agierenden Securocrats auf de Klerks Pläne reagieren würden, war eine der zentralen politischen Fragen in dieser Situation.

Die Unbekannten, die die Townships seit dem August 1990 gemeinsam mit Anhängern der Inkatha angriffen, wurden »Third Force« getauft. Bis heute sind die Existenz, die Art, der Einfluss und die Befehlsstruktur dieser »dritten Kraft« umstritten. Nelson Mandela, der den Begriff im September 1990 einführte, definierte sie damals als eine von der Regierung unabhängige, aber wahrscheinlich Mitglieder des staatlichen Sicherheitsapparats umfassende Kraft. Einige Kommentatoren vermuteten hingegen, die »Third Force« sei ein Teil der Verhandlungsstrategie der Regierung und erhalte zumindest indirekt von ihr Befehle oder werde von ihr gedeckt.

Die Wahrheits- und Versöhnungskommission (TRC), in deren Anhörungen Menschenrechtsverletzungen während der Apartheid aufgearbeitet wurden, konstatiert in ihrem abschließenden Bericht im Jahr 1999 zwar, dass eine »Third Force« existierte, auch wenn das Netzwerk wohl nicht zentral gesteuert wurde. »Ein Netzwerk aus Sicherheitskräften, das regelmäßig gemeinsam mit rechtsradikalen Elementen und/oder Teilen der IFP handelte, war in Aktionen involviert, die als das Schüren von Gewalt aufgefasst werden können und die in schweren Menschenrechtsverletzungen, unter anderem in zufälligen und gezielten Tötungen, resultierten.«

Im Bericht der TRC heißt es zwar, dass die Mitglieder der »Third Force« zum Teil mit dem Einverständnis hoher Offiziere handelten und dass sie von der Regierung de Klerks nicht genügend bekämpft worden seien. Doch die Regierung, die ihren eigenen Apparat demzufolge entweder nicht kontrollierte, ihn wissentlich Verbrechen begehen ließ oder sie befahl, wird für die Taten der »Third Force« nicht verantwortlich gemacht. Der Friedensnobelpreisträger von 1993, Präsident de Klerk, wird zwar kritisiert, weil er vor der Kommission nicht zu den Vorgängen aussagte, doch eine persönliche Schuld wird auch ihm nicht vorgeworfen. De Klerk selbst schrieb in seinen Memoiren: »Ich bestreite einschränkungslos, dass meine Regierung jemals hinter der Gewalt steckte.«

Dass die Regierung in irgendeiner Form mit der Gewalt zu tun hatte, stand für die meisten Menschen in den betroffenen Townships hingegen von Beginn an fest. Zahlreiche Augenzeugenberichte über vermummte Weiße, die bei Angriffen gesehen worden waren, sowie über das parteiische Verhalten der Polizei, die den so genannten Inkatha Hostel Dwellers zum Teil offen zu Hilfe kam, reichten den Township-Bewohnern als Beweis für die Existenz der »Third Force«. Die Führung des ANC vermutete, dass die Regierung mit der Gewalt entweder eine geheime Agenda verfolge oder im Begriff sei, die Kontrolle über ihre Sicherheitsorgane zu verlieren, die entweder eine Sabotage der Verhandlungen oder einen Coup planten.

Gegenangriff und Zuluness

Auch in Phola Park bestätigten zahlreiche Zeugen, dass seit Beginn der Auseinandersetzungen Weiße an den Angriffen beteiligt waren. Gegenüber einer Anwälteorganisation sagte ein Bewohner im September 1990: »Inkatha kam mit der Polizei und begann, auf die Bürger von Phola Park zu schießen. Die Polizei brannte einige Hütten nieder. Am nächsten Tag kamen die Polizei und die Inkatha zurück und brannten noch mehr Hütten nieder. Ich und andere versuchten, uns durch Steinwürfe und mit Latten gegen die Polizei und die Inkatha zu verteidigen.« In anderen Aussagen war die Rede von einzelnen weißen Männern unter den Angreifern aus den Wanderarbeiterheimen, die ihre Gesichter mit schwarzer Schuhcreme beschmiert hatten und ihren Komplizen auf Afrikaans zuriefen: »Kommt, Zulus, kommt.«

Bhekindile Ndwangu, der erste Kommandeur des Phola Park SDU, beschrieb die Ereignisse vor der Wahrheitskommission: »Es gab keine Möglichkeit für uns, in unseren Hütten zu bleiben. Wann immer wir uns in den Feldern ausruhen konnten, standen wir früh am morgen auf und eilten zu unseren Hütten. Dann konnten wir sie im Wanderarbeiterheim singen hören. Wenig später sahen wir sie zu unseren Hütten kommen, sie jagten uns weg, zerstreuten uns. Deshalb setzten wir uns in den Feldern zusammen und diskutierten als Community.«

Die Angriffe auf Phola Park waren vom unmittelbar benachbarten Hostel Kalanyoni ausgegangen. Es dauerte einige Wochen, bis die Phola Park SDU zu einem Gegenschlag ausholte. »Die Community hielt ein Treffen ab und beschloss, gemeinsam in das Heim einzudringen und diejenigen, die für die Angriffe verantwortlich waren, zu attackieren«, berichtete der politische Aktivist Prince Mhlambi später. »Als die gesamte Community sich zu dem Heim bewegte, schoss die Polizei auf die Menge. Neun Menschen wurden getötet. Aber der Angriff der Community auf das Heim war erfolgreich und die Hostel Dwellers wurden vertrieben.«

Die Bewohner von Phola Park plünderten nicht nur die Inneneinrichtung, sondern trugen sogar die Mauern des Hostel ab, Baumaterial wurde nach den Zerstörungen im Squatter Camp dringend benötigt. Die Vertriebenen zogen in andere Heime um, die rund um die Township Thokoza gebaut waren.

In den Hostels rund um Thokoza lebten 1990 fast 30 000 Wanderarbeiter, ein Zehntel der gesamten Einwohnerschaft. Wanderarbeit war seit langem eine wichtige ökonomische Stütze der ländlichen Bevölkerung. Doch insbesondere in Kwazulu, dem wichtigsten Herkunftsort der Wanderarbeiter der Fabriken rund um Johannesburg, war die Agrarwirtschaft wie in anderen Homelands in eine schwere Krise geraten und konnte kaum noch zum Familieneinkommen beitragen. Das machte die Wanderarbeiter, die für einen großen Teil des Jahres ihre Familien und ihr Stück Land im Homeland zurückließen, ökonomisch abhängig von den in den Fabriken verdienten Löhnen. Doch auch die Industrie Südafrikas durchlief in dieser Zeit eine Rezession. Die Arbeitsmigranten, die kaum formale Schulbildung besaßen, waren in dieser Phase erhöhter Konkurrenz um Arbeitsplätze eine der verwundbarsten Gruppen.

Hostels galten neben Squatter Camps als die menschenunwürdigsten Unterkünfte im Land, und trotzdem stellten sie für die Arbeitsmigranten die verteidigenswerte Basis ihrer ökonomischen Existenz dar. »Der migrantische Lebensstil wurde zugleich von der urbanen und der ruralen Seite her zerstört«, schreiben die Historiker Philip Bonner und Noor Nieftagodien. »Insbesondere Zulu-Migranten lebten in immer stärker werdendem Stress und in Gewalt. In den Hostels entstand eine hetzerische Situation.«

Viele migrantische Arbeiter fühlten sich aus den Townships ausgeschlossen. Insbesondere Streiks, mit denen Anliegen der Bewohner wie Mietsenkungen und Wasserversorgung erkämpft werden sollten, stießen auf den Widerstand von Arbeitsmigranten, die um Löhne und Arbeitsplätze fürchteten. Dass militante Jugendliche Streiks in den Townships auch gewaltsam durchsetzten, erzeugte unter den oft älteren Migranten zum Teil offene Ablehnung.

Unter Zulu-Hostel Dwellers wurden mit den Veränderungen der achtziger Jahre ethnische Identitätskonzepte dominant, die im politischen Diskurs des schwarzen urbanen Südafrika bis dahin keine signifikante Rolle gespielt hatten. Ein wesentlicher Faktor war dabei die Politik der Inkatha. Sie verstand es, die »Zuluness« die chauvinistische Bedeutung einer »Kriegerkultur« zu verleihen.

Die Arbeitsmigranten aus Kwazulu befürchteten, nach einem Machtwechsel von den ANC-Anhängern aus den Townships vertrieben zu werden. ANC-Politiker hatten in ambivalenten Äußerungen den Fortbestand des Systems der Wanderarbeiterheime in Frage gestellt. Sie propagierten eine Umwandlung der bisherigen »Männerwohnheime« in »Familieneinheiten«. Da die Wanderarbeiter aus Kwazulu ihre Familien nicht in die Städte holen wollten, da sie dadurch ihren Landbesitz im von Inkatha beherrschten Homeland verlieren würden, fassten sie dies als ihren geplanten vollständigen Ausschluss aus den Townships auf. Dieser Eindruck wurde von der Inkatha zur Mobilisierung der Hostel Dwellers verwendet.

Das Boipatong-Massaker

Unter weißen Wählern der regierenden Nationalen Partei (NP) schürte die in vielen Medien als »black-on-black violence« bezeichnete Gewalt Ängste vor einer zukünftigen »schwarzen« Regierung. Die Regierung nutzte diese Stimmung und gab sich in den Verhandlungen mit dem ANC über eine neue Verfassung kompromisslos. Der ANC hingegen war durch die Gewalt wie gelähmt. Lokale Strukturen konnten in der Kriegssituation nicht aufgebaut werden. Die Führung war zwischen den Militanten, die eine härtere Gangart gegenüber dem Regime forderten, und den Moderaten, die an ihre Verhandlungsmacht glaubten, gespalten.

Diese Situation änderte sich durch das Massaker in Boipatong am 17. Mai 1992, das zugleich zum Wendepunkt der Verhandlungen und des Krieges wurde. Bis dahin hatte der ANC von der Regierung zwar gefordert, die Gewalt und die »Third Force« zu bekämpfen. Doch das Risiko des vollständigen Scheiterns des Verhandlungsprozesses war der ANC nie eingegangen. Erst nach diesem Massaker zwang die ANC-Führung durch ihre nun ultimative Haltung die Regierung zum Nachgeben.

In Boipatong, einem Township südlich von Johannesburg, wurden in einer Nacht 45 Menschen von IFP-Anhängern unter offensichtlicher Mithilfe der Polizei ermordet. Die Polizei räumte vor dem Angriff die Barrikaden, die der lokale SDU in Erwartung des Angriffs errichtet hatte, vertrieb seine Mitglieder mit Tränengas und ignorierte die Bitten der Bewohner um Schutz. Auch hier bestätigten zahlreiche Zeugen, dass sich unter den Inkatha-Anhängern zahlreiche weiße Männer mit geschwärzten Gesichtern befanden.

Der ANC zog unmittelbar Konsequenzen und suspendierte die Verhandlungen. Die vom militanten Flügel favorisierte so genannte Leipzig Option, ein durch Massendemonstrationen herbeizuführender Zusammenbruch des Regimes, wurde nun in Betracht gezogen. Eine Welle von Streiks und Demonstrationen kulminierte schließlich im August 1992 im größten Streik der Geschichte Südafrikas. Ermutigt von diesem Erfolg führte der militante ANC-Politiker Ronnie Kasrils am 7. September zehntausende Demonstranten nach Bisho, der Hauptstadt des Homelands Ciskei, um den dortigen Militärmachthaber Oupa Gqozo zu stürzen. Dessen Truppen eröffneten allerdings das Feuer auf die Demonstranten, 29 ANC-Anhänger und ein Soldat der Truppen Gqozos starben. Nach dieser Katastrophe war die Idee der »Leipzig Option« im ANC nicht länger mehrheitsfähig.

Enthüllungen, die die tatsächliche Existenz der »Third Force« nahe legten, und die beginnende internationale Kritik an de Klerks Haltung zur Gewalt ließen seine Nationale Partei über eine Neuausrichtung ihrer Strategie nachdenken. Auch die kontinuierliche Schwäche der Inkatha-Partei in Umfragen, die eine gemeinsame Mehrheit von IFP und NP nach den Wahlen unwahrscheinlich machte, trug zu dem Schwenk bei.

Im September 1992 einigte sich die NP mit dem ANC auf den »Record of Understanding«. Es war das erste Abkommen, das de Klerk ohne seine politischen Partner in der Inkatha abschloss. In der Vereinbarung wurden unter anderem das vom ANC seit langem geforderte Verbot »traditioneller Waffen« und die Einzäunung der Hostels vereinbart.

Dem »Record of Understanding« ließ der ANC ein Verhandlungsangebot an die NP folgen, die so genannte »Sunset Clause«. Darin bot der ANC eine Regierung der nationalen Einheit nach den Wahlen an. De Klerk reagierte zunächst zurückhaltend, einigte sich mit dem ANC letztlich aber auf dieser Basis. Diese Abkommen bedeuteten das Ende der Koalition des Regimes mit der Inkatha. Zugleich waren sie der Beginn einer wirklichen Zusammenarbeit der beiden wichtigsten Verhandlungspartner, die schließlich zu den Wahlen von 1994 führte.

De Klerk entließ viele Hardliner aus dem Sicherheitsapparat, und die Zahl der gezielten Angriffe durch Mordkommandos, die der Third Force zugeschrieben wurden, nahm stark ab. Die Gewalt in den Townships endete mit der neuen Verhandlungspolitik zwar keineswegs, wurde aber weniger.

Als sich im Juli 2003 ANC und NP schließlich auf ein Wahldatum einigten, sah sich der Inkatha-Vorsitzende Mangosuthu Buthelezi politisch an den Rand gedrängt. Nun setzte er alles daran, eine endgültige Vereinbarung über eine neue Verfassung zu verhindern. Die Inkatha, die einen Sonderstatus für Kwazulu verlangte, und die weiße extreme Rechte zogen sich aus den Mehrparteiengesprächen zurück. Die Auseinandersetzungen zwischen Anhängern des ANC und der IFP wurden mit neuer Härte aufgenommen. Allein in den nächsten drei Monaten kamen 2 000 Menschen ums Leben.

Ambivalente Verteidiger

Eines der wichtigsten Schlachtfelder in dieser Zeit war Thokoza. Dort waren bislang vor allem informelle Siedlungen wie Phola Park betroffen. Erst 1993 führte der Krieg zwischen den Self-Defence Units und den Inkatha Hostel Dwellers zu Kämpfen in allen Vierteln Thokozas. Die Kombattanten beider Seiten sicherten ihre Gebiete gegen ihre Gegner und kämpften an Frontlinien um territoriale Gewinne. In diesem Jahr bildeten sich in Thokoza die meisten SDU. 1993 wurde für ihre neuen Mitglieder, zu einem großen Teil Jugendliche aus den lokalen Anti-Apartheid-Organisationen, zu einem entscheidenden Jahr in ihren Biografien.

Die Self-Defence Units verstanden sich, zumindest nominell, als im Dienst ihrer Communities stehend, gegenüber denen sie eine Pflicht erfüllten. Ihre Waffen, die meist aus Spenden finanziert wurden, galten als Gemeineigentum und nicht als Privatbesitz. Gleichzeitig nutzten manche SDU diese Waffen jedoch, um sich innerhalb ihrer Communities eine Machtposition zu verschaffen, die sie als Jugendliche bis dahin nicht hatten. Das Verhältnis zwischen den SDU und den Communities, die sie verteidigten, war angespannt. Denn die Definition der Befugnisse der SDU gegenüber der Community und die Kontrolle der Community über ihre SDU war nicht klar geregelt. Anders als in regulären Armeen, in denen sehr viel striktere Disziplin herrscht, existierte in den Townships keine Instanz, die außer Kontrolle geratene SDU gewaltsam zur Räson bringen konnte.

Ein Bereich dieses angespannten Verhältnisses waren Straßensperren, an denen die SDU nach Waffen suchten. »Wenn wir bei einem Mitglied der Community Waffen fanden, wurde diese Person mit einem Prügel diszipliniert«, berichtete das SDU-Mitglied Buli David Gumbi vor der Wahrheits- und Versöhnungskommission, wo er sich um Amnestie für illegale Handlungen während des Krieges bewarb. »Wenn die Person nicht zur Community gehörte, war er oder sie vielleicht ein Feind. Diese Person wurde getötet.« Auch Vergewaltigungen, Raub, Mord, Erpressung und Diebstahl gehörten bald zum Repertoire einiger SDU-Mitglieder.

In Thokoza einigten sich die lokalen ANC-Kader mit den SDU-Mitgliedern schließlich auf einen schriftlich fixierten Verhaltenskodex, der ein wichtiges Instrument der Disziplinierung der SDU wurde. »Es gibt verschiedene Etappen beim Aufwachsen eines Babys zum Erwachsenen«, erklärte Bongani Nkosi, oberster Kommandeur der SDU in Thokoza vor der TRC. »Wir machten Fehler, weil wir nicht im richtigen Umgang mit Schusswaffen trainiert waren. Wir unterschieden nicht zwischen dem Richtigen und dem Falschen. Alles, was wir wussten, war, wo die Inkatha-Leute lebten.«

Nun hielten in den verschiedenen Vierteln lokale politische Aktivisten Beschwerdestunden ab, bei denen sich Bewohner über das Fehlverhalten von Soldaten äußern konnten. Der Verhaltenskodex und die Beschwerdekomitees beruhigten die Lage. Trotzdem blieben die »Verteidiger der Community«, als die sich die SDU begriffen, auch eine Gefahr für die zivile Bevölkerung.

Feindbetrachtungen

Das Apartheidsystem versuchte, ethnische Identitäten schwarzer Südafrikaner durch die Homelands zu definieren. In den Städten, den Townships, wurde dieser verordnete Tribalismus hingegen als Teil der Apartheidsideologie betrachtet und abgelehnt. SDU-Mitglieder nahmen an den bislang letzten großen Auseinandersetzungen um diese Fragen teil. Die jugendlichen SDU-Mitglieder interpretierten ihre eigene Rolle dabei in einer spezifischen Form. Sie begriffen sich als Vertreter und Verteidiger einer modernen, jugendlichen und dem ANC loyalen urbanen Kultur, die der ruralen, exklusionistischen Ethnizität ihrer Gegner entgegenstand.

Den SDU-Mitgliedern waren ethnische Identitäten bewusst. In der Tat definierten sich sehr viele in Thokoza selbst als Zulu. Dies hinderte sie jedoch nicht daran, ihre Feinde als »die Zulu« und die IFP als »die Zulu-Partei« anzusehen. Ein SDU-Kommandeur, Victor Mabaso, versuchte, der TRC die Problematik zu erklären: »Die Inkatha war eine Zulu-Organisation, aber es gab auch viele Zulu, die sich der Inkatha nicht anschlossen. Da ich selbst ein Zulu bin, würde ich sagen, dass wir geteilt sind. Es gibt die Zulu, die aus Natal sind, und diejenigen aus den Townships, die nicht mit den anderen einverstanden sind.«

In einem Interview pflichtete ihm ein anderes SDU-Mitglied bei, der die Inkatha-Anhänger aus dem ländlichen Kwazulu als »grün« beschrieb: »Ein grüner Zulu versteht nichts. Ich meine, du kannst ihm dieses und jenes erklären, aber er wird weiter Fragen stellen. Diese Leute sind nicht zur Schule gegangen, sondern mussten Kühe hüten.«

Obwohl sich die SDU-Mitglieder ihrer eigenen ethnischen Identität durchaus bewusst waren, verbanden sie damit kein politisches Programm. Deshalb konnten sie in den SDU den Krieg gegen die IFP-Anhänger führen. Das urbane Bewusstsein der SDU war aber keineswegs offen für alle Südafrikaner, wie es den universalistischen politischen Zielen des ANC entsprochen hätte.

Zwar stellte der Unterschied zwischen dem Ruralen und dem Urbanen vor dem Krieg in den Townships keine unüberbrückbare Dichotomie dar. Schließlich war die Township-Bevölkerung erst seit der Industrialisierung in den sechziger Jahren rapide gewachsen, der Umgang mit Migration und Migranten war also eine dreißigjährige, weitgehend konfliktfreie Erfahrung (die es mit Migranten, die nicht aus Kwazulu stammten, auch während des Kriegs weiterhin gab). Doch durch den Krieg wurde die Community, die für Loyalität zum ANC, Kampf gegen die Apartheid und Urbanität stand, von den SDU als unvereinbar mit dem ruralen Zulu-Habitus angesehen. Nun wurden die Zulu-Wanderarbeiter tatsächlich aus den Townships ausgeschlossen.

Die SDU-Mitglieder interpretierten den Krieg als den letzten Kampf gegen die rassistische Unterdrückung. »Ja, die Weißen haben diesen Krieg unterstützt, die alte Regierung, die damals an der Macht war«, erinnerte sich ein SDU-Kommandeur. »Sie benutzten die Inkatha durch die ›Third Force‹. Sie gaben der Inkatha Geld für Waffen.« Zugleich sah er den Kampf der SDU bemerkenswert unabhängig vom ANC. Ziel seiner SDU sei die Rückeroberung der an die Inkatha verlorenen Häuser in seinem Viertel gewesen: »Der ANC hatte keine Macht im Krieg, sondern am Verhandlungstisch. Sie waren mit all diesen Dingen beschäftigt, Frieden und so weiter. Aber wir waren mit dem Kampf beschäftigt. Und wir kämpften nicht für den ANC, sondern um unsere Häuser wieder zu bekommen. Aber wir sind Mitglieder des ANC, die meisten von uns.«

Diese Abgrenzung spiegelt die Skepsis vieler militanter Aktivisten über die Verhandlungen mit dem Regime wider. Ein Kader der ANC-Guerilla Umkhonto we Sizwe, der mit SDU zusammenarbeitete, wusste um dieses Dilemma: »Ich erklärte den SDU-Aktivisten die Politik des ANC. Dass wir zu den Verhandlungen aus diesen und jenen Gründen gekommen waren und dass wir nun sehen mussten, was wir in ihnen erreichen konnten. Selbst in dieser Situation des Gebens und Nehmens mussten wir kämpfen, um das größere Stück des Kuchens zu erhalten.«

Doch offensichtlich war es nicht verlockend, das eigene Leben zu riskieren, um nur »ein größeres Stück« zu erkämpfen, anstatt durch eine bewaffnete Revolution den ganzen Kuchen zu bekommen. In diesem Gespräch wurde deutlich, dass der Guerillero den Strategiewechsel von der Revolution zu einem Verhandlungskompromiss selbst nicht uneingeschränkt begrüßte. »Man bereitet sich auf etwas vor, und plötzlich ändert sich einfach alles. Es war, als hätten wir uns ergeben.«

Die SDU-Mitglieder sahen sich in der Tradition des Befreiungskampfs. Teilweise bezogen sie sich dabei auf die militanten Positionen des ANC aus den achtziger Jahren. Dies hing auch mit der parteiischen Rolle der Aufstandsbekämpfungseinheiten während des Kriegs zusammen, also jener Feinde, denen Jugendliche in den Townships schon in den achtziger Jahren gegenüber gestanden hatten.

Kriegsende

In den letzten Monaten vor den Wahlen im April 1994 spitzte sich der Krieg weiter zu. In Kwazulu erreichte die Gewalt eine bislang unbekannte Intensität. Auch in Thokoza und in anderen Townships nahe Johannesburg wurde der Krieg noch einmal mit neuer Härte aufgenommen. In den von Gewalt betroffenen Gebieten schien eine demokratische Wahl undurchführbar, falls sich Inkatha nicht doch noch auf eine Teilnahme einließe.

Der Vorsitzende der Wahlkommission forderte einen Armeeeinmarsch in Kwazulu, damit der Wahlkampf und die Wahlen dort stattfinden könnten. Täglich tobten erbitterte Kämpfe, Wahlhelfer und Wahlkämpfer des ANC wurden bedroht oder ermordet. Durch eine Demonstration von 40 000 Zulu-Nationalisten erreichte der Krieg zuletzt die Innenstadt Johannesburgs. Als die Demonstranten das ANC-Hauptquartier erreichten, eröffneten ANC-Sicherheitsleute, die wohl einen Sturm auf das Gebäude befürchteten, das Feuer.

Über das Homeland Kwazulu und die Provinz Natal wurde der Ausnahmezustand verhängt. Die Armee besetzte strategische Punkte und übernahm das Kommando der Kwazulu Police, die bis dahin eine informelle Inkatha-Armee war. Die Hoffnungen auf eine friedliche Wahl schienen nun pure Illusion. Auch ein prominentes internationales Vermittlerteam konnte keine Einigung zwischen ANC, NP und IFP erreichen.

Doch am 19. April 1994, acht Tage vor dem Wahltermin, entschied der Inkatha-Vorsitzende Mangosuthu Buthelezi schließlich, seine Partei doch an den Wahlen teilnehmen zu lassen. Vielleicht sah er ein, dass er sein Spiel überdehnt hatte. In Kwazulu und in einigen Townships hätte die Wahl wohl verhindert werden können, aber nicht im gesamten Land. Und nach den Wahlen und dem gleichzeitigen Inkrafttreten der Interimsverfassung würde seine Machtbasis, das Homeland Kwazulu, keinen Bestand mehr haben. Dann würde Inkatha auch den öffentlichen Dienst und das vom Zentralstaat zur Verfügung gestellte Budget verlieren. Letztlich nahm Buthelezi, was er bekommen konnte: die Einbindung in die Regierung der nationalen Einheit (er wurde nach den Wahlen Innenminister und Vizepräsident) und eine relativ mächtige Regierung in der nun entstehenden Provinz Kwazulu-Natal.

Mit den Wahlen vom 26. bis 29. April 1994 endete der südafrikanische Bürgerkrieg. Die Wahltage selbst waren beinahe frei von Gewalt, ein Umstand, der viel zur Mystifizierung der Transition als friedlichem Übergang beitrug. Auch in Thokoza, wo eine Woche vor den Wahlen noch heftig gekämpft worden war, kam es zu keinen größeren Auseinandersetzungen.

Wegen Unregelmäßigkeiten und Chaos während des Wahlgangs vor allem in Kwazulu wurden die Ergebnisse der ersten freien Wahlen Südafrikas nicht an der Urne, sondern von den Parteien am Verhandlungstisch festgelegt. Doch das Verhandlungsergebnis, eine große Mehrheit für den ANC, der Sieg Inkathas in Kwazulu-Natal und 20 Prozent für die NP, entsprachen in etwa den Umfragen und Erwartungen. Im Distrikt Alberton, zu dem Thokoza gehörte, erreichte die IFP knapp fünf, der ANC 74 Prozent.

Bis 1996 gehörte de Klerk der Regierung der nationalen Einheit als Vizepräsident an, danach verließ die NP die Regierung. Buthelezi blieb bis zu den Wahlen vor zwei Wochen Innenminister. In Kwazulu-Natal regierte die IFP mit wechselnden Mehrheiten, zuletzt zusammen mit dem ANC. Die politische Gewalt in einigen Townships hielt noch einige Zeit an, wenn auch mit sehr viel niedrigerer Intensität. Kwazulu-Natal allerdings ist in einigen Gegenden noch immer nicht zur Ruhe gekommen. Die politische Gewalt nach 1994 war aber weitgehend gelöst von nationalstaatlicher Politik, auch wenn ANC- und IFP-Politiker offenbar beteiligt waren.

Der Krieg hörte auch in Thokoza nicht plötzlich auf, und es kam immer wieder zu Gewalt zwischen Angehörigen der beiden Lager. Andererseits bildete sich auch das Selbsthilfeprojekt »Simunye« (»Zusammen«), in dem IFP-Kombattanten und SDU-Mitglieder zusammentrafen. Nach einem Aufruf des neuen Präsidenten Nelson Mandela gab schließlich ein großer Teil der SDU-Mitglieder die Waffen ab.