Die Streikmeister

ich-ag der woche

Welcher Industriestaat beherbergt das streikfreudigste Proletariat? Dass Deutschland und Österreich in der Statistik des Magazins The Economist auf die hintersten Plätze verwiesen wurden, erstaunt nicht. Doch der Pokal gebührt auch nicht den Italienern oder Franzosen. Der Überraschungssieger heißt Island, dessen Werktätige mit jährlich 554 Streiktagen pro 1 000 Beschäftigten selbst die stolzen Spanier (knapp 250) auf den zweiten Platz verwiesen.

Die Streikfreude verschaffte den Isländern den zweithöchsten Lebensstandard der Welt, obwohl die frostige Insel für die Besiedlung eigentlich gar nicht geeignet ist. Doch als Harald Schönhaar sich Ende des 9. Jahrhunderts zum König Norwegens machte, setzten sich alle, die ihre Ernte und ihren Met nicht mit dem Monarchen teilen wollten, in ihre Boote und besiedelten Island.

Dort duldeten sie keinen König, und da sie auch nicht strammstehen mochten, hat Island bis heute keine Armee. Im Laufe der Jahrhunderte setzte sich aber doch die Klassengesellschaft durch. Da eine erneute Auswanderung nicht mehr möglich war, wurde der Streik zum nationalen Hobby. Gestreikt wird nicht allein in Arbeitskämpfen, 1975 gab es auch einen Frauenstreik.

Im Arbeitsrecht setzten die Isländer eine schöne Regelung durch: »Repräsentanten der Arbeitgeber sind gesetzlich verpflichtet, nicht zu versuchen, die politischen Ansichten ihrer Arbeiter zu beeinflussen.« Bei konsequenter Anwendung würde sie das Ende der bürgerlichen Politik bedeuten. Offenbar sind mit den Repräsentanten der Arbeitgeber aber nur deren Angestellte gemeint.

gunnar hellström