Buko to Go

Ist der Neoliberalismus am Ende? Und wird »Volxküche« neu buchstabiert? Vom Jahreskongress der Bundeskoordination Internationalismus berichtet carlos kunze

Die Uni in Kassel ist ein schnuckeliges, verwinkeltes Etwas aus massenweise Klinker, Holz und Glas. Grün ohne Ende. Hier findet der diesjährige »Buko« statt, das Treffen der Bundeskoordination Internationalismus. Bierbänke und Biertische sind aufgestellt, 200 bis 300 Leute sitzen rum, plaudern, futtern, trinken. Eine lange Schlange von Leuten, die sich anmelden wollen. Küsschen hier, hallo da.

Ein Blick ins Programm: Themen sind Privatisierungen weltweit, EU-Erweiterung und -Militärpolitik, Migration und Antirassismus, Neokolonialismus/Imperialismus im Nahen Osten, »solidarische Ökonomie« (was immer das sein mag) in Brasilien und anderswo, »Arbeit ja – Ausbeutung nein!« zu Kinderarbeit im Trikont, dazwischen: »Volxküche neu buchstabiert?« Alles in allem eine kunterbunte Mischung aus Versuchen radikaler Kritik, begriffslosem linken Soli- und Alternativkrempel.

Apropos Volxküche. Es gibt Linsensuppe. Hundertprozentig vegan. Im Spülmobil steht der zuständige Spül-Imam. Sieht zumindest so aus, mit seinem meterlangen, grauen Vollbart. Halt, falsch. Hat ein T-Shirt an, auf dem steht: »Her mit dem schönen Leben.« Das ist nicht imamtypisch.

Mit was im Magen fühl’ ich mich stark genug für die Auftaktveranstaltung »Neoliberalismus am Ende?« Hauptsache, dem Kapitalismus geht’s gut, denk ich mir. Eröffnungsansprache: »Netzwerke … Kampagne … Jeder Buko ist ein Unikat. Und es ist euer Kongress. Feiern wir das Ende der Bescheidenheit!« Kommt mir vor wie das Pfeifen im finsteren Wald. Ist aber das Motto dieses Jahr: »Das Ende der Bescheidenheit«. Nix gegen zu sagen. Die Anspruchsinflationsrate tendiert gesamtgesellschaftlich ja gegen Null. Dagegen hilft nur eins: »Aneigung«. Das ist das zentrale Stichwort des Kongresses. Muss nur noch mit Inhalten gefüllt werden. Und mit Praxis natürlich. Oder mit Praxen.

Alessandro Pelizzari (Attac Schweiz, Uni Fribourg) hat steile Thesen mitgebracht: »Unglaubliches Jahr der Bewegungen, Antikrieg, gegen Sozialabbau. Auch in der Schweiz. Neoliberalismus als kapitalistische Enteignungsökonomie. Imperialistischer Raubzug im Irak. Enteignung der Menschen von ihren sozialen Rechten. Mehr Privatisierung, auch durch EU-Erweiterung. Finanzmärkte drücken auf Rentenversicherung. Beschleunigung der Angriffe. Frankreich gegen Irakkrieg, weil Angst vor zweiter Front im Innern neben der gegen Sozialabbau.«

Nicola Bullard von Focus on the Global South (Bangkok) erzählt aus Asien: »Neoliberalismus dem Süden seit 30 Jahren aufgedrückt. Staaten durch Strukturanpassungsprogramme unterminiert. Ebenso die Befreiungsbewegungen. Positiv: WTO sehr geschwächt. Durch Aufweichen des Neolib-Konsenses neuer politischer Spielraum. Neue Formation G 20: 20 Entwicklungsländer gegen Dominanz des Nordens, sprich EU/USA. Aber G 20 will nur Teil des globalen Kuchens. Neuer Gegensatz im Süden: Elite setzt auf nationalistisch aufgeladenen Kapitalismus. Dagegen Volkssouveränität der Bewegungen.« Volkssouveränität? Klingt nicht nach ’68 folgende, eher nach 1789. Ist aber auch schwierig mit dem Internationalismus heute, bei der weltweiten Regression der Gesellschaftskritik.

Katharina Pühl (Berlin/Kassel) referiert zur feministischen Rangehensweise: »Neolib ist Bündel von Herrschaftstechniken. Keine falsche Homogenisierung der Bewegungen. Über Paradoxien neue …« – Mist, ich kann mein eigenes Gekrakel nicht mehr entziffern. Hab die zentrale These aber auch nicht kapiert. Dann ist Christoph Görg (Uni Frankfurt, www.links-netz.de) an der Reihe. »Funktionskrise des Neolib: kriegt kein stabiles Wirtschaftswachstum hin. Legitimationskrise: nicht mehr Versprechen wie bei New Economy, sondern Zwang, Reformzwang. Nicht mehr ›Reformstau‹ wie bei Kohl, sondern ›Reformstress‹. Begriff Neoliberalismus zweifelhaft. USA nicht neoliberal, sondern konservativ mit Rüstungskeynesianismus. Demos gegen Sozialabbau 1. November, 4. April. Neue Apo? Rückenwind für Bewegungen???«

Das ist der Rahmen, in dem diskutiert werden soll. Aber ich geh erst mal pennen. In ’nem Bauwagen. Wir fahren durch die halbe Stadt, vorbei am Yachtklub, rauf aufs Hafengelände. »Der Eigentümer des halben Hafengeländes will den Bauwagenplatz abräumen lassen«, erzählt der nette Typ, der uns Unterschlupf gewährt. Vorbei an Speicherhallen. Eine Nachtigall trällert vor sich hin, singt von Liebe, Freiheit, Leidenschaften. Weiter geht’s, vorbei an einem Bagger und 15 Lkw, an einem schicken Haus mit hochsicherheitstrakttauglichem Zaun. Dahinter stehen die Bauwagen: grüne Idylle mit Dixie-Klo.

Neuer Tag, neues Glück. Muss aber erkämpft werden, das Glück. Punkt 1: Marathonlauf zurück ins Zentrum der Stadt, Bäcker finden. Punkt 2: Debatte auf dem »Forum 1: Arbeit und soziale Reproduktion«. Darüber breite ich lieber den Mantel des Schweigens. Will mich ja nicht selbst in die Pfanne hauen. Punkt 3: Workshops. Nur unzureichend übersetzt mit »Arbeitsladen«. Ich geh zu »Sozialversicherungsumbau: warum und für wen?« mit Nadja Rakowitz und Rolf Schmucker. Da geht’s um die Zukunft des Gesundheitssystems. Nadja widerlegt einige offizielle Mythen. Den der Kostenexplosion im Gesundheitswesen z.B. Zum Mythenknacken muss man nur andere Maßstäbe anlegen als die offiziellen. Das prozentuale Aufkommen für die Krankenkassen etwa hat sich, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, in den letzten 30 Jahren kaum verändert. Insgesamt spiegele sich in den Gesundheitsreformen die Tendenz des Kapitalismus wieder, alle gesellschaftlichen Bereiche dem Kapital nicht nur formell, sondern reell zu subsumieren.

Rolf beschäftigt sich mit dem Einfluss der europäischen Integration auf die nationalstaatlich verfassten Gesundheitssysteme. Seine zentrale These: Auf nationalstaatlicher Ebene wird der »Unternehmenscharakter« der Krankenkassen vorbereitet (in Deutschland durch Tendenz zu Konkurrenz von gesetzlicher und privater Krankenversicherung), auf europäischer Ebene wird dann der gesetzlichen Krankenversicherung der Status als »soziale Institution« letztlich genommen werden. Letztlich, prognostiziert Nadja, dürfte die Bundesregierung dann auf die übliche nationalistische Tour den Schwarzen Peter auf Europa schieben: Jetzt machen uns die Brüsseler Bürokraten auch noch unser schönes Bismarcksystem kaputt. Klingt plausibel.

Abends Diskussion in der Mensa: Ost-Erweiterung der EU und Internationalismus. Einige muntere Aktivisten aus Polen sind da. Aber ich bin zu müde, um der Diskussion richtig zu folgen.

Samstagmorgen: Kritik & Praxis Berlin lädt zu »Aneignung und Klassenpolitik«. Schwieriges Thema in dieser dürftigen Zeit. Wie soll die Vermittlung zwischen hierzulande derzeit nicht existierendem Klassenkampf (im emphatischen, d.h. revolutionären Sinne!) und auf Verteilungsebene ansetzenden Aneignungsaktionen aussehen? Ein Notnagel: Es gibt ja noch den »Klassenkampf von oben«. Auf dem kann man immer rumhacken.

Das Treffen soll nicht einfach verpuffen. Via Fragebogen »Feedback zum Buko 27« sollen die Kongressergebnisse ausgewertet werden. Fragen über Fragen. Hat dir der Buko viel gebracht? Wie fandest du die Stimmung? Inwieweit konntest du dich inhaltlich einbringen? Höchste Zeit abzuzischen. Der prekäre Alltag ruft, bevor sich der Buko von seiner praktischen Seite zeigt.