»Man kann nicht einfach wegrennen«

Etgar Keret

Etgar Keret, Jahrgang 1967, schildert ironisch und liebevoll, was es heißt, in Zeiten des Konflikts und des Terrors ein Alltagsleben in Israel zu führen. Seine Bücher »Der Busfahrer, der Gott sein wollte« (2001) und »Gaza Blues« (2002) sind auch in Deutschland sehr erfolgreich. In seinem neuesten Kurzgeschichtenband »Mond im Sonderangebot« geht es um philosophierende Fische, nicht tot zu kriegende Hunde, den Preis des Mondes und um Versager und Gewinner. Petra Tabeling hat sich mit dem Autor und Filmemacher unterhalten.

Haben Sie schon einmal ernsthaft überlegt, aus Israel wegzugehen?

Ich denke oft daran, aber ich fühle mich irgendwie auch der Generation der Holocaust-Überlebenden verpflichtet. Ich bin ja privilegiert, mir den Ort, in dem ich lebe, aussuchen zu können. Das hatten die Juden vorher nicht. Es ist meine Heimat – auch wenn das Land politisch oft am Ende zu sein scheint. Ich liebe die Offenheit der Menschen, die unterschiedlichen Auffassungen, die hebräische Sprache. Und ich kann im Meer schwimmen. Außerdem habe ich israelische, palästinensische und arabische Freunde, viele kommen auch aus der Kunstszene.

Ich habe das Gefühl, dass man der Gewalt nicht immer entkommen kann. Ich glaube, dass es sogar noch schlimmer wird, in einigen Jahren wird es immer weniger sichere Plätze auf der Welt geben. Die Dinge, die ich nicht mag, kann ich aber versuchen zu ändern. Aber man kann nicht einfach wegrennen, man muss sich dem stellen.

In Ihrem neuen Buch gibt es eine Kurzgeschichte mit dem Titel »Kinderüberraschung«. Darin schreiben Sie über eine junge Frau, die bei einem Attentat ums Leben kommt. Bei der Obduktion stellt man fest, dass sie früher oder später sowieso an Krebs gestorben wäre. Wie kommen Sie auf solche Geschichten?

Wann immer ich direkt über Selbstmordattentate schreibe, merke ich, dass ich sehr schnell die Sprache der Medien benutze. Es gibt diese vielen Klischees von Trauer und Begriffe wie »unfassbar« oder »unbegreiflich«, wenn man über solch ein Attentat berichtet. Aber ich finde, dass sie nicht ausdrücken, was ich empfinde, wenn so etwas geschieht. Was ich fühlte, war viel ambivalenter. Dann hatte ich die Idee, eine Frau in den Mittelpunkt einer Geschichte zu stellen: Die Mutter einer guten Freundin von mir entkam nur knapp einem Anschlag. Sie war sehr glücklich, ihn überlebt zu haben, aber dann entdeckte man, dass sie Krebs hatte. Das war der Anlass für meine Geschichte. Ich wollte sie aus der Sicht eines Pathologen schreiben, der sieht, was der Patient für ein Problem hat, ihm aber nicht mehr helfen kann, weil er ja tot ist.

Worin liegt für Sie der Reiz dieser Erzählkonstruktion? Geht es um das Makabre der Situation?

Als Pathologe musst du dich von den Umständen lösen. Du fragst nicht mehr, wie es passiert ist, sondern übernimmst eine klinische Perspektive. Das spiegelt die Situation wider, in der ich lebe. Ich bin diesem Pathologen ähnlich. Ich lebe in einer Realität, die ich sehr gut analysieren kann, aber ich kann nicht helfen.

Würden Sie sich als Zyniker bezeichnen? Wie wichtig sind Ironie und Komik?

Der Humor ist sehr, sehr wichtig. Er ist eine Waffe für diejenigen, die schwach sind. Du kannst zwar nichts ändern, aber wenn du einen Witz machst, protestierst du zumindest. Juden sind immer schon sehr berühmt für ihren Humor gewesen. Aber der Witz ging mit der Zeit verloren und wurde in Pathos verwandelt. Humor ist eine Methode, um Kritik zu üben. Wenn ich es schaffe, meinen Leser zu amüsieren, habe ich ihm auch was gegeben. Es ist wie eine Verbindung mit ihm.

Muss man also Berufszyniker sein, um die Situation so zu beschreiben, dass man auf sie aufmerksam macht?

Wenn du über eine tragische Geschichte schreibst, dann kriegst du auch schnell einen tragischen Ton drauf. Dann wirkt man genauso stereotyp wie die Fußballspieler, die nach dem Spiel immer dieselben Sachen daherplappern. Für mich war es schwierig, das aufzubrechen. Es ist nicht einfach, wenn du etwas sehr emotional erlebst und es nicht begreifen kannst und schon gar keine Sprache dafür findest. So ging es mir manchmal mit dem Schreiben. Ich versuche jedoch, so zu schreiben, dass es nicht provokant wirkt, so, wie ich das erfahre, und nicht so, wie es ein Reporter von CNN sieht, der einen bestimmten Jargon hat.

Das Wichtigste ist aber, dass ich nicht den Bezug zur Realität verliere, dass ich authentisch bin. Ich habe kein Problem damit, über etwas zu schreiben, was auch ziemlich peinlich sein kann, solange es nur wahr ist.

Wie ist Ihr Verhältnis zu Ihren Lesern?

Ich war am Anfang sehr unsicher, ich fühlte mich wie jemand, der ziemlich arm dran war, eben fucked up. Und ich habe durch das Interesse meiner Leser schon viel mehr Selbstvertrauen gewonnen. Durch den Zuspruch und das Interesse an meinen Geschichten.

Wer liest denn Ihre Geschichten?

In Israel sind es meistens Teenager und Leute bis 30.

Sind es bevorzugt jüdische Leser?

Israelische, orthodoxe oder arabische Israelis kaufen meine Bücher. Vielleicht hat diese Offenheit auch etwas mit dem Alter zu tun, ich kenne zum Beispiel keine 40jährigen, die mich lesen. Ich bin der erste Schriftsteller, der vor einem Jahr auf Arabisch übersetzt und in Palästina veröffentlicht wurde. Ich glaube, ich schreibe so, dass sich alle in meinen Geschichten wiederfinden. Ich beschreibe keine Gruppe, sondern individuelle Charaktere.

Wie beurteilen Sie die Medienberichterstattung über den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern?

Die Medien spielen eine wichtige Rolle. Sie haben die Realität abzubilden, aber sie erzeugen auch eine Wirklichkeit. Ein Beispiel: In Israel gab es vor einem Jahr eine interessante Umfrage. Eine der Fragen lautete: Welche Ereignisse haben Sie selbst gesehen und welche nur im Fernsehen? 40 Prozent der Befragten konnten nicht unterscheiden, ob sie z.B. die Ermordung des israelischen Ministerpräsidenten Rabin selbst gesehen haben oder nicht. Fernsehen ist nur ein anderes Fenster in einer Wand. Man sieht durch dieses Fenster zum Beispiel das World Trade Center zusammenbrechen.

Welche Wirkung haben solche spektakulären Bilder?

Der Terrorismus wäre bedeutungslos ohne die Medien. Man kann eine Gesellschaft nicht terrorisieren, wenn es keiner zeigt. In Israel ist es extrem. Wir hatten einen Fernsehsender, der ausgiebig über terroristische Gewalt berichtete. Dann gab es sofort einen Konkurrenzsender, und sie überboten sich gegenseitig mit blutigen Bildern. Wer das grausamste zeigte, hatte bessere Einschaltquoten, weil die Leute das einfach sehen wollten. Gute Sender sind die, die dich am meisten verängstigen, am meisten schockieren. Ich glaube nicht, dass die Medienmacher schlecht oder korrupt sind, sondern sie reflektieren nur, was die Menschen sehen möchten. Einmal fand ein wichtiges Fußballspiel statt, gleichzeitig gab es auch viele Anschläge. Aber die Leute wollten beides im Fernsehen verfolgen. Schließlich wurde beides ausgestrahlt, indem das Fernsehbild einfach aufgeteilt wurde. Das ist so, wie ich mein Leben lebe. Man möchte wissen, wie es beim Fußball steht, aber auch, was bei den Anschlägen passiert. Das ist manchmal schon etwas zynisch.